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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verbraucher zur Kasse, bitte Das wird bald noch teurer werden
Teurerer Sprit, teureres Heizen, teurere Flüge – das wird für Verbraucher in der EU bald Realität werden. Grund ist die Reform des Emissionshandels. Ein Überblick.
Die Preise steigen – ob im Supermarkt, an der Tankstelle oder bei der Nebenkostenabrechnung. Doch künftig könnte es im Sinne des Klimaschutzes noch teurer werden. In der vergangenen Woche verabschiedete das EU-Parlament eine Reform und Ausweitung des Emissionshandels, Herzstück der europäischen Klimapolitik. Am Dienstag erfolgte auch der formell letzte Schritt mit der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat.
Fest steht damit: Industrie wie Verbraucher werden für den Klimaschutz draufzahlen. Doch das Emissionshandelssystem, wie es in schönster Brüsseler Sprache heißt, erscheint als abstrakt und kompliziert. Worum geht es also konkret? Was ändert sich? Und wie viel teurer wird es wirklich? Ein Überblick:
Was ist der europäische Emissionshandel?
Die Idee des europäischen Emissionshandels (ETS für Emissions Trading System) ist simpel: Wer viel klimaschädliches CO2 verursacht, darf dies nur in die Atmosphäre pusten, wenn er dafür einen der Erlaubnisscheine gekauft hat, die sogenannten CO2-Emissionszertifikate. Jede Tonne CO2 hat also einen Preis – wer weniger verursacht, kann sparen – wer viel ausstößt, muss draufzahlen.
Erhältlich sind die Zertifikate bei regelmäßigen Auktionen, außerdem können Konzerne untereinander handeln. Der Clou dabei: Die Zahl der Zertifikate ist begrenzt und wird regelmäßig reduziert. Insgesamt lässt sich dadurch die Menge CO2, die in der Atmosphäre landet, steuern.
Den Rest erledigen die Wirkmächte der Marktwirtschaft: Laufen parallel alle Fabriken in Europa an, wollen alle Firmen gleichzeitig sehr viel CO2 ausstoßen, wächst die Nachfrage nach den Zertifikaten. Und weil das Angebot gleich bleibt, steigt auch der Preis. Aktuell liegt er bei mehr als 85 Euro pro Tonne CO2, vor drei Jahren waren es noch weniger als 20 Euro. So entsteht ein Anreiz zum CO2-Sparen – zumal nicht gebrauchte Zertifikate von den Unternehmen gewinnbringend verkauft werden können.
Den Emissionshandel ETS gibt es bereits seit 2005. Neben den 27-EU-Mitgliedsstaaten nehmen auch Norwegen, Island und Liechtenstein teil. Derzeit unterliegen ihm vor allem die fossile Energieerzeugung, also zum Beispiel Kohlekraftwerke, und die energieintensive Industrie, wie die Stahlproduktion oder die Chemieindustrie.
Was ist neu?
Mit der geplanten Reform will die EU den Emissionshandel nun reformieren und ausweiten. Zum bestehenden kommt ein neuer Emissionshandel hinzu, genannt ETS 2. Ab 2027 gilt er dann auch für Gebäude und den restlichen Verkehr – also vor allem für das Heizen und den Straßenverkehr. Sollte es eine ähnliche Energiekrise wie 2022 geben, wird der ETS 2 um ein Jahr verschoben.
Das alte ETS wird in den bestehenden Sparten auch auf kleinere Industriebetriebe, die bislang ausgenommen waren, erweitert. Ab 2024 kommt auch die Schifffahrt hinzu. Zudem – und hier wird es schnell kostspielig – sollen die Subventionen für den innereuropäischen Flugverkehr entfallen. Für ihn gilt der Emissionshandel in der Theorie bereits. In der Praxis jedoch bekamen die Fluggesellschaften ihre CO2-Zertifikate bislang kostenlos zugeteilt. Dieses Vorgehen will die EU nun schrittweise beenden. Ab 2026 müssen die Airlines vollständig für ihre Emissionen zahlen. Ähnliches soll bis spätestens 2034 auch für einzelne Industriezweige gelten.
Das Ziel: Der Anteil aller Emissionen, die der ETS abdeckt, soll von 40 Prozent auf künftig 75 Prozent steigen. Die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase soll zudem schneller sinken. Bisher war eine Reduktion um 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2005 vorgesehen, im Zuge der Reform werden nun bis zum selben Zeitpunkt 62 Prozent angestrebt. Bis 2050 will die EU klimaneutral werden, also unter dem Strich gar keine Treibhausgase mehr verursachen.
Fit for 55
Die Reform des ETS ist Teil des Klimaplans "Fit for 55", mit dem die EU ihren Treibhausgasausstoß bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken will. Wie wichtig es ist, die Emissionen zu reduzieren, hatte auch der letzte Bericht des Weltklimarats betont: Die weltweiten CO2-Emissionen müssen bis 2030 halbiert und bis 2035 um zwei Drittel sinken, wenn die 1,5-Grad-Grenze mit einer Chance von 50 Prozent eingehalten werden soll. Auf diese hatte sich die Staatengemeinschaft 2015 in Paris geeinigt, um die Folgen der Erderhitzung in einem zu bewältigenden Rahmen zu halten. Bislang steuert die Welt allerdings auf eine Erhitzung von 3,2 Grad bis 2100 zu.
Wie stark werden Verbraucher belastet?
Das lässt sich momentan noch nicht genau abschätzen. Fakt ist: Gerade im Verkehrssektor, beim Tanken, beim Fliegen, dürften die Preise steigen. Und auch das Heizen mit fossilen Brennstoffen wird ab spätestens 2027 abermals deutlich teurer.
So muss zwar niemand privat ein entsprechendes Verschmutzungszertifikat kaufen. Aber die Tankstellenbetreiber werden die Aufschläge, die die Mineralölkonzerne für die Dieselproduktion erheben, wohl weitergeben.
Steigende Preise an der Tankstelle aufgrund des CO2-Preises kennen Autofahrer in Deutschland bereits: Seit 2021 gibt es den nationalen Emissionshandel für Heiz- und Kraftstoffe. Dessen Einführungsphase läuft noch bis 2027 – also bis der ETS 2 in Kraft tritt. Das deutsche System soll laut Bundeswirtschaftsministerium dann in das europäische überführt werden.
Wie teuer wird damit der Liter Benzin?
Das hängt davon ab, wie teuer die Tonne CO2 tatsächlich wird. In den Anfangsjahren, nach Verständnis der Parlamentarier bis 2030, soll der Preis nach Willen der EU nicht über 45 Euro steigen. Ist das der Fall, sollen 20 Millionen zusätzliche Zertifikate für den Markt freigegeben werden, um so das Angebot zu erhöhen und den Preis zu drücken. Ob das als tatsächlicher Preisdeckel ausreicht, ist aber nicht garantiert.
Beispiele lassen sich dennoch ausrechnen: Die Experten des Forschungsprojekts Ariadne, das sich unter Schirmherrschaft des Bundesforschungsministeriums mit der Energiewende befasst, gehen bei einem Preis von 50 Euro pro Tonne CO2 von Mehrkosten von 10 Cent pro Liter Benzin und 12 Cent pro Liter Diesel aus – falls der CO2-Preis vollständig an die Verbraucher weitergegeben wird.
Der nationale Emissionshandel strebt für das Jahr 2026 jedoch einen höheren Preis an – er soll dann zwischen 55 und 65 Euro liegen. Zum Wechsel auf das europäische System könnte es also zunächst sogar zu sinkenden Spritpreisen kommen, wenn die Bundesregierung nicht zusätzlich gegensteuert.
Der Brüsseler Think Tank Transport & Environment hat berechnet, wie sich die CO2-Bepreisung der Frachtschifffahrt auswirken wird. Das Ergebnis: Selbst im Worst-Case-Szenario verteuert sich der Berechnung zufolge ein Fernseher aus China nur um drei Cent, ein Kühlschrank um 27 Cent – den hohen Stückzahlen sei Dank.
Wie teuer es nach 2030 wird, ist zudem aktuell noch kaum abzuschätzen. Es kursieren CO2-Preise von teils mehr als 300 Euro pro Tonne – entsprechend würden dann auch die Preise zum Beispiel für Sprit deutlich stärker steigen. Ob das wirklich so kommt, kann jedoch noch niemand verlässlich prognostizieren.
Wird es einen Ausgleich geben?
Durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten wird die EU Einnahmen in Milliardenhöhe haben. 65 Milliarden Euro daraus rechnen die Haushälter in Brüssel für einen neuen Klimasozialfond ein. Dieser soll Unternehmen und Haushalten bei den steigenden Kosten helfen. EU-Kommissionsvize Frans Timmermans versprach auf Twitter, der Fonds werde dazu dienen, "ihre Häuser zu isolieren, eine Wärmepumpe zu installieren oder ein Elektroauto zu kaufen".
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Einen vollständigen Ausgleich wird es aber nicht geben – das ist nicht Sinn der Sache. Gerade der steigende Preis für klimaschädliche Technologien soll als Anreiz für den Umstieg auf klimafreundlichere Alternativen dienen.
Europäische Grüne und Sozialdemokraten kritisieren allerdings, dass der Klimasozialfonds mit einem Budget von 86,7 Milliarden Euro – ein Viertel tragen die Mitgliedsstaaten – deutlich schmaler ausfällt als ursprünglich anvisiert. Dies sei "ein Tropfen auf dem heißen Stein", rügte etwa die Grünen-Abgeordnete Henrike Hahn.
Um zu verhindern, dass Industrien jetzt in Staaten abwandern, in denen es keinen CO2-Preis gibt, haben sich EU-Parlament und die Mitgliedstaaten zudem auf ein sogenanntes CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) geeinigt. Es soll auch die innereuropäische Industrie vor Billigkonkurrenz aus Drittstaaten schützen.
Die Pläne sehen vor, dass Importeure zum Beispiel von Stahl, Zement oder Düngemitteln CO2-Zertifikate entsprechend der Klimaschädlichkeit ihrer Produkte kaufen müssen. De facto handelt es sich somit um eine Art Klimazoll. Die Details soll die EU-Kommission noch ausarbeiten, eingeführt werden soll das Grenzausgleichssystem zwischen 2026 und 2034.
- dehst.de: "Ausgestaltung des EU-ETS"
- ariadneprojekt.de: "Report: Ein fairer und solidarischer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr"
- transportenviroment.org: "Green shipping would add just 8 cents to a pair of Nikes"
- spiegel.de: "Was die CO₂-Börse im Verkehr bedeutet" (Bezahlangebot)
- dw.com: "EU reforms Emissions Trading System: What you need to know" (Englisch)
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters