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Plastikmüll im Meer: Wie wirksam sind Sammelsysteme?


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Expertin warnt vor Katastrophe
"Dann wird immer mehr Plastik in unsere Umwelt gelangen"


Aktualisiert am 20.11.2023Lesedauer: 4 Min.
Die Barriere eines Systems von The Ocean Cleanup (Archivbild): Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt 90 Prozent des Plastikmülls auf dem Meer zu sammeln.Vergrößern des Bildes
Die Barriere eines Systems von The Ocean Cleanup (Archivbild): Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, 90 Prozent des Plastikmülls auf dem Meer zu sammeln. (Quelle: imago-images-bilder)
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Plastikmüll gefährdet unsere Weltmeere. Sammelsysteme sollen Abhilfe schaffen. Doch die Wissenschaft hat Zweifel an der Wirksamkeit der Projekte. Greenwashing oder Hoffnung?

150 Millionen Tonnen Plastik schwimmen in den Meeren unserer Welt – das entspricht zehn Billionen Plastikflaschen. Aufeinander getürmt würden sie rund 30 Mal zum Mars reichen. Doch seit einigen Jahren machen neue Müllsammeltechnologien Hoffnung. Die Ziele sind ambitioniert: 90 Prozent des auf den Meeren treibenden Plastiks will beispielsweise das Projekt The Ocean Cleanup beseitigen, wie es auf der Website des Projekts heißt.

Vor dem Hintergrund der UN-Konferenz zur Eindämmung von Plastikmüll, die vom 13. bis zum 19. November stattfindet, warnen Forschende vor zu hohen Erwartungen an die mechanischen Reinigungssysteme.

Doch wie funktionieren die Systeme? Wie effizient sind sie? Und was hat das Ganze mit Greenwashing zu tun? t-online ist den wichtigsten Fragen nachgegangen.

Wie funktionieren die Plastiksammler?

Zur Bekämpfung von Plastikmüll in Häfen kommen sogenannte Seabins, zu Deutsch: Mülleimer im Meer, zum Einsatz. Die "Mülleimer" schwimmen auf der Wasseroberfläche und sammeln Plastik und Müll ein, der größer als zwei Millimeter ist. Bis zu 50 Kilogramm Müll soll einer der schwimmenden Mülleimer pro Tag sammeln können, heißt es auf der Website des gleichnamigen Unternehmens Seabin. Mittlerweile gibt es weltweit Tausende der Müllschlucker. Eingesetzt werden diese von Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen.

 
 
 
 
 
 
 

Bei der Bekämpfung von Plastikmüll auf dem offenen Meer ist das größte Projekt The Ocean Cleanup, welches seit 2018 läuft. Bisher gibt es die Sammelsysteme im Pazifik, der Nordsee und auf Flüssen in Asien. Das System funktioniert dabei immer gleich: Auf dem Wasser schwimmende Barrieren, die bis zu 1,6 Kilometer lang sind, fangen das Plastik an der Meeresoberfläche ein. Im Anschluss wird es eingesammelt und an Land gebracht. Das größte System, welches sich derzeit im Pazifik befindet, soll pro Tag 100 Tonnen Plastikmüll sammeln können, wie es von The Ocean Cleanup heißt.

Wie hoch ist die Wirksamkeit der Plastiksammler?

Während Seabin und The Ocean Cleanup damit werben, die Weltmeere mit ihren schwimmenden Müllfressern bereits von großen Mengen Plastik befreit zu haben, gibt es auch Kritik an den Systemen. "Ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich noch nicht belegt", sagte Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), im Gespräch mit t-online.

Im Fall der Seabins hat eine 2022 veröffentlichte Studie aus Großbritannien bereits gezeigt, dass die Effizienz der schwimmenden Mülleimer gering ist. Bei der Untersuchung sammelte einer der Mülleimer gerade einmal 180 Gramm Müll in einem Monat. Bergmann sagte dazu: "Seabins arbeiten recht ineffizient."

Am schlimmsten ist die Plastikkatastrophe im Pazifik. Einer der Müllteppiche auf dem größten Ozean der Welt ist mittlerweile viermal so groß wie Deutschland. Das ambitionierte Ziel, das sich The Ocean Cleanup gesetzt hat, macht Hoffnung. In puncto Umsetzbarkeit gibt es jedoch starke Bedenken. "200 'Ocean-Cleanup'-Geräte müssten 130 Jahre laufen, um fünf Prozent des an der Meeresoberfläche treibenden Plastiks der Welt einzufangen", schätzt Bergmann die Effizienz der Systeme ein.

Welche Gefahren drohen durch die Plastiksammler?

Forschende warnen vor Umweltgefahren durch die Sammelsysteme. Studien hätten gezeigt, dass die in Häfen eingesetzten Seabins, mehr Tiere und Algen als Plastik einsammeln, warnt Bergmann.


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Wir befinden uns in einer Artenvielfaltskrise, deswegen müssen solche Folgen unbedingt mitbedacht werden.


Melanie Bergmann – Meeresökologin


Werden die Systeme über einen längeren Zeitraum eingesetzt, könnten sie bedrohte Arten noch stärker gefährden als ohnehin. Auch die Überfischung könnte durch den Beifang in den Seabins, zunehmen. Die Müllsammler könnten "mehr Schaden anrichten als zu schützen", sagt Bergmann. Um eine Gefährdung durch Seabins und Co. zu minimieren, fordern Forschende Umweltverträglichkeitsprüfungen – bisher gibt es diese nicht.

(Quelle: Privat )

Dr. Melanie Bergmann ist Meeresökologin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Seit dem Jahr 2012 liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf der Plastikverschmutzung der Meere. Das Problem der Plastikverschmutzung hat sie 2015 in ihrem Buch "Marine Anthropogenic Litter" beschrieben.

Sammelsysteme als Greenwashing-Kampagne?

Die Plastikproduktion könnte sich bis 2060 verdreifachen, warnen Wissenschaftler in der Fachzeitung "One Earth". Mit Müllsammelprojekten könnten Konzerne ihre Plastikproduktion "greenwashen", so die Befürchtung der Forschenden. Als Greenwashing bezeichnet man Projekte, die Unternehmen einen nachhaltigen Anstrich geben sollen, ohne dabei wirklich nachhaltig zu sein.

"Wir befürchten, dass Kunststoffproduzenten diese Technologien mitfinanzieren, um über ein solches System ihre wachsende Plastikproduktion zu kompensieren", sagte Bergmann, die an der Publikation beteiligt war. Im Fall von The Ocean Cleanup bestehen bereits Kooperationen mit großen Plastikproduzenten, wie beispielsweise Coca-Cola.

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Vertreter der Plastikbranche nehmen auch an der UN-Konferenz zur Eindämmung von Plastikmüll teil. Der Koalition von Forschenden steht dort eine fast viermal so große Gruppe an Lobbyisten gegenüber: Auf 38 Forschende kommen hier 143 Branchenvertreter. Da diese Zahlen anhand von freiwilligen Offenlegungen erhoben wurden, könnte die tatsächliche Zahl höher liegen.

Zudem würden Vertreter der Plastiksammeltechnologien versuchen, die Seriosität der Forschenden in Zweifel zu ziehen. "Einige Forschende sind Diskreditierungskampagnen ausgesetzt", berichtet Bergmann, die selbst Teil der Wissenschaftskoalition ist. "Forschende werden als Aktivisten bezeichnet – ihnen wird somit ihre Expertise abgesprochen", sagt Bergmann.

Wie könnte die Plastikkatastrophe eingedämmt werden?

Zuletzt warnten die Vereinten Nationen davor, dass im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische in den Weltmeeren schwimmen könnte. Für Bergmann ist klar: "Wir müssen den Hahn zudrehen. Solange wir immer mehr Plastik produzieren, wird immer mehr davon in unsere Umwelt gelangen."

Die Vermeidung von Plastik sei aus Sicht der Wissenschaft nicht nur die effektivste Maßnahme, sondern auch die kostengünstigste. Bei der Konferenz in Nairobi hofft Bergmann auf ein "ambitioniertes rechtswirksames Abkommen, welches auch eine Senkung der Plastikproduktion beinhaltet".

Die Reinigungssysteme könnten der Expertin zufolge in Zukunft trotzdem einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Plastikkatastrophe leisten. Nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung könnten sie in extrem stark verschmutzten Regionen eingesetzt werden.

Verwendete Quellen
  • greenpeace.de: "Immer mehr Plastik im Meer"
  • ciel.org: "Fossil Fuel and Chemical Industries Registered More Lobbyists at Plastics Treaty Talks than 70 Countries Combined" (englisch)
  • cell.com: "oving from symptom management to upstream plastics prevention: The fallacy of plastic cleanup technology" (englisch)
  • sciencedirect.com: "To clean or not to clean? A critical review of beach cleaning methods and impacts" (englisch)
  • sciencedirect.com: "Evaluating the performance of the ‘Seabin’ – A fixed point mechanical litter removal device for sheltered waters" (englisch)
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Dr. Melanie Bergmann
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