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Luisa Neubauer kritisiert Olaf Scholz: "Wieso lässt ein Kanzler das zu?"


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Neubauer über Scholz
"Wieso lässt ein Kanzler das zu?"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 22.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Luisa Neubauer spricht bei einer Veranstaltung der Grünen (Archivbild): Die Entwicklungen beim Heizungs- und beim Klimaschutzgesetz kritisiert sie aufs Schärfste, ebenso die fossilen Pläne des Kanzlers.Vergrößern des Bildes
Luisa Neubauer bei einer Veranstaltung der Grünen (Archivbild): Die Entwicklungen beim Heizungs- und beim Klimaschutzgesetz kritisiert sie aufs Schärfste. (Quelle: Imago/Political Moments)

Wenn sein Kabinett sich streitet, schaut der Bundeskanzler meist vom Rand aus zu. In der aktuellen Situation kosteten Scholz' Führungsstil und Prioritäten allerdings Menschenleben, mahnt Luisa Neubauer.

Olaf Scholz ist nicht unbedingt bekannt für klare Worte und entschiedenes Handeln. Dass er durchgreifen kann, wenn seine Minister es zu bunt treiben, zeigt er eher selten. Dabei bleibt er das wichtigste Machtwort weiterhin schuldig, sagt Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Im Interview spricht sie darüber, wieso der achselzuckende Politikstil des Kanzlers inzwischen radikal zerstörerisch ist und welches längst gemachte Versprechen er zu brechen droht.

t-online: Der Bundeskanzler kann Machtworte. Beim klimapolitischen Zermürbungskrieg in der Ampel greift er dennoch nicht durch – und Fridays for Future ist stiller denn je. Warum so leise?

Luisa Neubauer: Die Regierung hatte anfangs versprochen, dass die Zeit vorbei sei, in der 1,5 Millionen Menschen auf die Straße gehen müssen, damit in Berlin mal jemand etwas von Klimaschutz flüstert. Stattdessen droht die Ampel sogar hinter die unzureichenden Klimaziele der Großen Koalition zurückzufallen. Es ist dramatisch.

(Quelle: IMAGO/Olaf Schuelke)

Luisa Neubauer

Die studierte Geografin (27) gilt als bekanntestes Gesicht der deutschen Klimabewegung Fridays for Future. Sie engagiert sich für stärkeren Klimaschutz und internationale Solidarität im Kampf gegen die Klimakrise. Ihre Kritik galt zuletzt besonders den Änderungen am Klimaschutzgesetz, dem Kompromiss zum Heizungsgesetz und der LNG-Strategie der Bundesregierung.

Umso drängender müsste die Klimabewegung dann jetzt mobilisieren. Durchgehend sichtbar sind gerade einzig die umstrittenen Klebeaktionen der "Letzten Generation".

Wir sind mit Hunderten Ortsgruppen von Fridays for Future überall in Deutschland präsent, wir arbeiten auf die Umsetzung von Klimazusagen hin und rufen für September zum 13. globalen Klimastreik auf. Ich glaube, wir müssten aber auch darüber sprechen, wie absurd die Erwartung ist, dass junge Menschen dafür sorgen, dass die Politik sich an ihre eigenen Gesetze hält. Wir sprechen hier über absolute Selbstverständlichkeiten. Der Fokus muss darauf liegen, was die gewählten Politikerinnen und Politiker tun oder nicht tun.

Das ist das erklärte Ziel der Klima-Kleber, doch die öffentliche Debatte dreht sich auch nach zig Monaten vor allem um deren Methoden. Sorgt Sie das?

Ich sorge mich um die Klimakrise und bin froh über jeden, der etwas dagegen unternimmt. Wir müssen uns überhaupt nicht einig werden, wie genau man welche Form von demokratischem Protest findet. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn man sagt, man findet die Aktionen der "Letzten Generation" nicht so toll. Dann würde ich aber zurückfragen – wie bringst du dich stattdessen ein? Viele Menschen erkennen mittlerweile, dass die Klima-Kleber-Geschmacksfrage eine Ausweichdebatte ist und dass die entscheidende Konfliktlinie in der Gesellschaft dort liegt, wo Klimazerstörung und Klimaschutz aufeinanderprallen.

Zum Beispiel?

Wenn man sich anschaut, was Interessenvertreter der fossilen Energiebranche tun, um selbst vergleichsweise kleine Gesetze wie das Heizungsgesetz zu unterwandern.

Wie bewerten Sie da den schwer errungenen Kompromiss der Ampel?

Die kleine FDP hat ein Gesetz erpresst, das Öl- und Gaslobbys weiterhin die Tür aufhält und die Wärmewende im schlimmsten Fall verschleppt. Dabei sollte Olaf Scholz dafür sorgen, dass seine eigenen Minister ihm nicht auf der Nase herumtanzen. Dasselbe gilt für das Klimaschutzgesetz: Da will man die Sektorziele streichen, nachdem es für alle zu peinlich wurde, dass FDP-Verkehrsminister Volker Wissing sich nicht daran gehalten hat. Dabei warnen Experten davor, die Sektorziele aufzuweichen, die jedem Ministerium eigene Klimavorgaben machen, an die man sich halten muss. Aber auch hier ist folgende Frage wichtiger als der Frust über die FDP: Wieso lässt ein Kanzler das zu?

Scholz rühmt sich gerne für seine "Leadership", aber Klimapolitik scheint nicht im Zentrum seiner Politik zu stehen.

Olaf Scholz probiert, sein moderates Auftreten als ein vertrauenerweckendes Markenzeichen zu stilisieren. Dabei ist genau das in der Klimakrise total radikal – im schlechtesten Sinne. In Deutschland gibt es immer mehr Hitzetote, 2023 ist bereits mehr Wald verbannt als sonst in einem ganzen Jahr. Über Kanadas Wäldern steht inzwischen der Himmel in Flammen und in Mexiko ist bei bis zu 45 Grad gerade eine ganze Familie ums Leben gekommen. Konflikte und Flucht werden weiter zunehmen, wenn nicht konsequent eingelenkt wird. Wer als Kanzler eines so privilegierten Landes wie Deutschland in dieser Situation nicht alles gibt, der ist bereit, diese Folgen der Klimakrise mitzutragen. Das ist ein zerstörerischer Politikstil.

Auch international gibt es Kritik am Kanzler: Scholz will weiterhin Geld in fossile Projekte im Ausland stecken. Als Grund nennt er Deutschlands Energiesicherheit. Hat er da nicht einen Punkt?

Die Erzählung von Energiesicherheit durch fossile Brennstoffe ist ein Märchen der Öl- und Gaskonzerne. Es braucht keine neue fossile Infrastruktur, wir brauchen mehr erneuerbare Energien, um unsere Versorgung abzusichern. Die Internationale Energieagentur, die alles andere als aktivistisch ist, betont das: Den Experten zufolge können wir uns kein einziges neues fossiles Energieprojekt mehr leisten, wenn wir die internationalen Klimavereinbarungen einhalten wollen. Das ist die rote Linie. Sie gilt auch für Scholz‘ Lieblingsidee, die Gasförderung vor Senegals Küste mitzufinanzieren.

Dabei hatte die Bundesrepublik schon 2021 zugesagt, ihre Investitionsströme für fossile Vorhaben in aller Welt zu kappen.

Genau dieses Versprechen, das seit der Klimakonferenz 2021 in Glasgow steht, versucht Scholz jetzt zu unterwandern, indem er Schlupflöcher für Öl- und Gasprojekte in die Investitionsrichtlinien der staatlichen Förderbank KfW einbauen will. Damit würde Olaf Scholz ein unverantwortliches Signal vor der anstehenden Klimakonferenz in Dubai senden.

Wie erklären Sie sich das?

Immer mehr private Investoren halten sich von solchen Vorhaben fern, weil die globale Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bereits sinkt. Deshalb könnten sich ihre Investitionen nicht lohnen. Beispielsweise besteht bei neuen Flüssiggas-Terminals die Gefahr, dass diese nie voll ausgelastet werden. In diese fossile Finanzierungslücke will der Kanzler Staatskredite hineinwerfen.

Frankreich, Schweden, Großbritannien, Kanada und andere haben sich die Investitionssperre für fossile Projekte im Ausland dagegen längst ins Gesetz geschrieben. Warum ist das in Deutschland nicht der Fall?

Unsere Partnerländer können vor allem rechnen und haben nicht Olaf Scholz an der Spitze. Dass die das Finanzierungs-Aus durchziehen, zeigt doch, dass der Schritt nicht radikal, sondern logisch ist. Frankreich hat sogar noch staatliche Ölkonzerne und macht trotzdem mit. Man muss klar sagen: Der Kanzler bringt lieber seine Amtskollegen gegen sich auf als die fossilen Brennstoffkonzerne. Sie zählen auf die fossile Politik von Scholz.

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Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich zum Beispiel Senegals Regierung solche Investitionen wünscht. Laufen Sie nicht Gefahr, mit Ihrer Forderung so ein Land zu bevormunden?

Internationale Energiepartnerschaften braucht es, die können richtig gut funktionieren. Sie dürfen aber nicht die globalen Klimaziele unterlaufen. Gerade im Senegal organisieren sich Teile der Zivilgesellschaft längst für eine nachhaltige Energiepartnerschaft. Sie wünschen sich von Deutschland, dass man gemeinsam an nachhaltigen Lösungen arbeitet, statt Geld für noch mehr fossile Abhängigkeit zu bekommen.

Was steht im Senegal konkret auf dem Spiel?

Viele Menschen im Senegal lehnen das Gasprojekt vor ihrer Küste ab, Fischer haben Sorge, dass ihre Fischgründe, ihre Existenzen zerstört werden – Aktivistinnen wehren sich gegen weitere Klimazerstörung. Dass Deutschland auch anders kann, sieht man in Kenia: Da hilft der Bund, dass sich das Land künftig zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen kann.

Frankreichs Präsident Macron lädt ab heute zu einem Klima-Investitionsgipfel nach Paris. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Kanzler dort die Kehrtwende schafft?

Deutschland ist historisch gesehen der viertgrößte Verursacher von Treibhausgasen. Vor dem Hintergrund, auch jetzt noch massiv in fossile Brennstoffe investieren zu wollen – das wird den Kanzler ziemlich isolieren. Die Welt schaut auf Scholz. Er hat mehrfach das Ende fossiler Ausbeutung angekündigt – er muss jetzt endlich liefern.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Luisa Neubauer
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