Ski-Paradies Geheimtipp mitten in der Schweiz: Hier gibt's garantiert Schnee
Schneesicher im Alpen-Skigebiet: Engelberg in der Zentralschweiz zeigt sich mondän und modern – und ist ein kleiner entspannter Ort der kurzen Wege.
Es ist nicht leicht, an ihm dranzubleiben. Heinrich Giesker, Spitzname Heini, setzt seine Schwünge präzise in den tiefen, schweren Schnee neben der Piste.
Total mühelos sieht es zwar nicht aus. Was am Alter liegen könnte, schließlich ist Heini schon Ende 70. Oder an der schlechten Sicht an diesem Nachmittag am Titlis, die dafür sorgt, dass er die Ski nicht einfach laufen lassen kann. Und doch ist man immer wieder um Anschluss bemüht, denn er ist ziemlich schnell.
Man beginnt bei diesen gemeinsamen Abfahrten zu verstehen, woher Heini seinen Ruf in Engelberg hat. Der Pensionär, früher im Modebusiness aktiv, ist eine Art Maskottchen des Gebiets und eine lokale Legende. Warum? Ganz einfach, weil er so viel Ski fährt.
Die Saison am Gletscher beginnt im November, die letzten Schwünge kann man in der Regel im Mai ziehen. Heini kostet das aus, er kommt auf mehr als 150 Skitage im Jahr. Die Rolle des Skigebietsmaskottchens stört ihn augenscheinlich nicht, er ist ohnehin immer hier.
Das Skigebiet am Titlis
Fast jeden Tag im Winter schnallt Heini sich die Bretter unter die Füße und fährt die Hänge am Titlis runter – bevorzugt neben der Piste. "Es ist eine Sucht", sagt er. Man glaubt es ihm. Heini, der Schneesüchtige, und Engelberg, das passt zusammen. Das Skigebiet am Titlis (3.238 m) in der Zentralschweiz – 40 Minuten Zugfahrt von Luzern entfernt – wirbt für sich damit, die längste Skisaison des Landes zu haben. Und mit Heini als "Höhenmeter-Millionär".
Hängebrücke und Eishöhle
Die Nordseitenlage der Pisten am Titlis sorgt für eine große Schneesicherheit. Doch auch hier ist der Klimawandel zu spüren, der Titlisgletscher wird kleiner. Um das Abschmelzen zu verzögern, wird er über den Sommer mit Vlies abgedeckt, doch man weiß auch: Das Unvermeidliche wird irgendwann kommen, und in nicht allzu ferner Zeit wird es den Gletscher nicht mehr geben. Er habe diesen Sommer wieder sehr gelitten, heißt es.
Ortswechsel in die Gletschergrotte an der Titlis-Bergstation: eine mit Licht illuminierte ins Eis gehauene Höhle, die auch viele unter den Gipfel lockt, die nicht zum Skifahren nach Engelberg kommen.
Der "Cliff Walk" am Titlis
Mehr als eine Million Menschen fahren jedes Jahr mit der Rotair-Gondel, die sich während der Fahrt einmal um 360 Grad dreht, zum Titlis. Entsprechend eng kann es mitunter an den Aussichtspunkten an der Gipfelstation, auf dem "Cliff Walk" – einer in Fels gehauenen Panoramabrücke aus Stahl – und in der Gletscherhöhle werden.
In der Höhle, auf den rund 120 Metern entlang der glatten Eiswände, wird einem vor Augen geführt, was hier verloren gehen wird. Ungefähr acht Meter Gletschereis seien noch über einem, sagt Urs Egli von den Titlis Bergbahnenbei unserem Besuch im Januar und zeigt nach oben. "In 30 Jahren wird er vermutlich nicht mehr da sein."
Gletscherspalten in Sicht
Noch aber gibt es den Gletscher, und im Winter gibt es noch ausreichend Schnee auf dem Eispanzer. Das Gebiet am Titlis gilt als Freeride-Paradies.
Viele Variantenabfahrten sind von den Liften aus ohne Fußmarsch zu erreichen – das macht es bequem. Die bekanntesten sind die "The Big 5": fünf Routen abseits der Piste, zwischen zwei und acht Kilometer lang, darunter die schwere Galtiberg als "Königsabfahrt" mit fast 2.000 Höhenmetern talwärts. Aber: Ohne Ahnung lässt man es lieber. Es drohen Abstürze. Von der Gondel sieht man Gletscherspalten.
Freeride-Skifahren in Engelberg
In den Tiefschnee geht es lieber in kundiger Begleitung. Die Freeride-Szene von Engelberg zeigt sich tagsüber am Berg in Aktion und abends im Hotel "Ski Lodge" gleich neben dem Bahnhof zum Bier an der Bar.
Vor allem viele Skandinavier sind hier. Sie kamen vermehrt ab Mitte der 2000er Jahre, erzählt man. Weil kein Alpenort von Stockholm via Zürich schneller zu erreichen ist als Engelberg. Weil die Schweiz nicht teuer ist für skandinavische Maßstäbe. Und klar, weil der Tiefschnee am Titlis lockt.
Nicht wenige von ihnen bleiben den Winter über da, arbeiten Teilzeit und gehen Freeriden. Gerade die Skandinavier hätten Engelberg einen Schub gegeben, sagt ein Hotelier. Ein bisschen internationaler, urbaner, jünger seien die Konzepte hier geworden.
Engelberg
Der 4.400-Einwohner-Ort liegt eingerahmt von mehreren Bergketten in der Zentralschweiz im Kanton Obwalden. Bequem erreicht man Engelberg mit dem Luzern-Engelberg-Express. Der Zug hat Skiabstellfächer und fährt stündlich.
Die mondäne Vergangenheit – und Gegenwart
Zugleich pflegt der Ort seine mondäne, nostalgische Seite. Sinnbildlich dafür steht das "Kempinski Palace Engelberg" auf der anderen Seite des Bahnhofs, ungefähr zwei Minuten Laufweg von der "Ski Lodge".
Das Fünf-Sterne-Hotel wurde im Sommer 2021 eröffnet – ein moderner Luxustempel-Neubau, der aber auch noch Bausubstanz des "Grand Hotels Winterhaus" erhalten hat, das 1904 an dem Ort eröffnet worden war. Mitte des 19. Jahrhunderts war es losgegangen mit dem Tourismus in Engelberg. Das wohlhabende Bürgertum kam zur Sommerfrische und zur Kur in das von mächtigen Gipfeln eingerahmte Klosterdorf.
Die Geschichte des Ortes
Vor allem Briten reisten an. Es soll Sonderzüge von London nach Engelberg gegeben haben. Der Ort boomte, Hotels schossen aus dem Boden. Ein Zeugnis dieser Zeit ist das am Hang gebaute "Hotel Terrace", ein Belle Époque-Haus wie aus dem Bilderbuch.
Im "Tal Museum", einem unscheinbaren Haus im Ortszentrum, wird die Geschichte des Ortes und des Tourismus thematisiert: Vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Engelberg im Schnitt 140.000 "Logiernächte" pro Jahr gezählt – für damalige Zeiten eine hohe Zahl. Heute sind es laut der örtlichen Tourismus-AG mehr als 800.000 Übernachtungen.
Zu Fuß oder mit dem Bus durch Engelberg
Besonders wohlhabend muss man nicht mehr sein, um in Engelberg abzusteigen – sofern es nicht eines der Luxushotels sein soll. Denn es gibt auch Häuser für kleinere Budgets. Wobei Engelberg, so wie die Schweiz allgemein, natürlich kein Schnäppchenziel ist.
Es ist aber ein entspannter Ort der kurzen Wege. Vom Bahnhof zum Skigebiet, zum großen Langlauf-Areal oder ins Zentrum und zum 1120 gegründeten Benediktinerkloster – alles ist bequem zu Fuß erreichbar und wer nicht laufen will, nimmt einen der vielen Gratisbusse.
Die Passion des Dauerskifahrers
Heini Giesker, der Dauerskifahrer, kennt an jedem Wintertag nur ein Ziel im Ort: die Titlis-Talstation. Erstaunlich an ihm ist auch die Vehemenz, mit der er im fortgeschrittenen Alter jeden einzelnen Tag am Berg auskostet. Er sei zwar früh nicht mehr immer der Erste, sagt er, aber immer noch stets der Letzte, wenn spätnachmittags die Pisten schließen.
Lange Pausen auf der Hütte gönnt er sich nicht, Heini hält allenfalls mal einen Schwatz mit dem Personal an Lift- und Gondelstationen, die ihn ohne Ausnahme grüßen. Wenn man mit ihm an einer Station wartet, kann es aber auch passieren, dass er sich plötzlich in die gerade schließende Tür einer abfahrenden Gondel reinstiehlt. Dabei strahlt er nur und ruft: "Keine Fahrt verpassen!"
Wer also nach Engelberg kommt, sollte nach einem in weiß gekleideten Skifahrer mit wehendem Haar Ausschau halten. Denn Mütze und Skibrille setzt er nur bei Wind und Eiseskälte auf. Sonst fährt er mit freiem Kopf und Lächeln auf den Lippen die Tiefschneehänge am Titlis ab.
- Nachrichtenagentur dpa