Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hygiene Sollten wir unsere Jungs zu Sitzpinklern erziehen?
Seit einigen Jahren hat es sich durchgesetzt, dass Männer - zumindest, sofern kein Urinal vorhanden ist - im Sitzen pinkeln. Doch die Stehpinkler sterben nicht aus.
"Das Klosett muss jemand erfunden haben, der nichts von Männern verstand", heißt es in einem der Bücher des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Garcia Márquez. Wahrscheinlich hat der Schriftsteller gar nicht so unrecht, denn tatsächlich sind Sitztoiletten von ihrer Machart eher fürs weibliche Geschlecht geeignet.
Welchen Hygieneaufstand es allerdings hervorruft, wenn Männer die heimische Toilette im Stehen benutzen, kann man in zahlreichen Foren nachlesen. "Ich finde es ja schon schlimm, wenn Männer in Gottes freier Natur völlig ungeniert einen Baum mit ihrem Urin bewässern. Wenn es aber auch noch meine Toilette und mein frisch geputzter Badezimmerboden sind, die da mit lustigen gelben Spritzern verziert werden, entwickle ich mich zum Tier." So oder noch ein bisschen heftiger ist der Grundtenor unter den Frauen, die vor allem die männliche Zielsicherheit infrage stellen.
Der natürliche Weg des Strahls zeigt sich im Stehen
Naheliegend also, dass die Männer der Zukunft dazu angehalten werden, von klein auf im Sitzen zu pieseln. Wobei das für die kleinen Jungs nicht wirklich einfach ist, denn immer wieder sucht sich der Strahl seinen Weg zwischen Becken und Brille hindurch.
Vergleicht man außerdem die Strahlstärke, so ist dieser tatsächlich im Stehen deutlich kräftiger. "Der kraftvollere Strahl im Stehen hat seine Ursache in dem höheren orthostatischen Druck", erklärt der Arzt Wolfgang Bühmann, Pressesprecher des Bundesverbandes der Deutschen Urologen.
"Die Blase entwickelt durch den Bauchdruck und die physikalische Höhe im Stehen einfach mehr Druck." Hinzu komme, dass die Harnröhre im Sitzen stärkere Kurven aufweise und der Urin dadurch mehrere Biegungen überwinden müsse. "Gegebenenfalls sitzt das Kind aufgrund seiner Körpergröße teilweise auch mit dem Dammbereich auf dem Toilettenrand, so dass dort die Harnröhre von außen etwas verengt wird", so Bühmann. Klingt unbequem.
Welche Rolle spielt die Männlichkeit?
Es gibt allerdings keine wissenschaftliche Untersuchung, die tatsächlich belegen würde, dass die sitzende Körperhaltung beim Urinieren in irgendeiner Weise schädliche Auswirkungen haben könnte. Zumindest nicht auf den männlichen Körper. Auf seine Psyche vielleicht eher. Ein Problem, das nicht selten in Diskussionen zwischen Vätern und Müttern aufflammt, wenn es darum geht, in welcher Position der gemeinsame Sohn pinkeln soll. Immerhin wird das Wort "Sitzpinkler" sprachlich immer wieder im gleichen Atemzug wie "Warmduscher" oder "Weichei" verwendet.
Nehmen Mütter, die ihre Söhne zum Pieseln im Sitzen anhalten, diesen also die Männlichkeit? "Weder 'Kaltduscher' noch 'Harteier' sind bessere Männer. Wir sollten unsere Kinder zu einer reflektierten Betrachtung solcher Attribute erziehen oder dazu, an jene, die solche Attribute verbreiten, mit einem kopfschüttelnden Lächeln vorbeizugehen. Beziehungsweise sie zu fragen, ob sie es denn seien, die zu Hause die Toiletten reinigen", sagt Bühmann.
Pinkeln im Sitzen ist gesundheitlich unbedenklich
Interessanterweise scheint weltweit das Wasserlassen im Stehen bei Männern die Regel zu sein. Genau, wie es in allen Völkern zu beobachten ist, dass Männlein und Weiblein beim Pinkeln grundsätzlich unterschiedliche Positionen einnehmen. Entwicklungsgeschichtlich gesehen kann man davon ausgehen, dass der Mensch und seine Vorfahren grundsätzlich Stehpinkler waren. Allein schon in Ermangelung entsprechender Sitzgelegenheiten. Doch die Tatsache, dass wir heute in jedem Haushalt über ebendiese Sitzgelegenheiten verfügen, verändert die Vorzeichen.
"Es gibt keine medizinischen Einwände gegen die sitzende Haltung beim Wasserlassen. Die Hygiene spielt allerdings bei der Erziehung eine große Rolle - wie oft ärgern sich Frauen beziehungsweise Mütter darüber, dass die männlichen Familienmitglieder die Toiletten im Haus in einem unwürdigen Zustand hinterlassen, weil sie die Urinentsorgung im Stehen erledigen. Insofern ist die Erziehung zum Sitzpinkler verständlich und gesellschaftlich völlig in Ordnung", meint der Urologe Bühmann.
Er ist selbst vierfacher Vater und ist sich sicher: "Der Familienfrieden wird durch konsequentes Sitzpinkeln deutlich gestärkt, da sowohl Männer wie Kinder mit der angemessenen Toilettenreinigung, warum auch immer, ein tiefsitzendes Problem zu haben scheinen."