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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Stark wie Pippi Langstrumpf Wie Kinder psychische Widerstandskraft entwickeln können
Ihren Nachwuchs fit fürs Leben machen. Das wollen alle Eltern. Doch Überbehüten und Verwöhnen stehen dieser guten Absicht häufig im Weg. Wie Väter und Mütter hier gegensteuern können, um ihre Kinder zu starken Persönlichkeiten zu erziehen, erklärt ein Experte.
Astrids Lindgrens Pippi Langstrumpf verfügt nicht nur über immense Muskelkraft, die rothaarige Kindheits-Heldin glänzt bei ihren Abenteuern auch mit mentaler Power. Sie meistert in allen Lebenslagen jede Aufgabe, bewältigt "mit links" die größten Probleme – völlig unbekümmert und ohne die Unterstützung von Erwachsenen.
Resilienz-Training durch Herausforderungen
Was Pippi in geballter Form besitzt, ist Resilienz. Dieser Fachbegriff, der sich vom lateinischen "abprallen" herleitet, umschreibt die Fähigkeit, mit Stress und Widerständen gelassen umzugehen und dem Leben selbstbewusst und zuversichtlich die Stirn zu bieten.
Eine größere Portion dieser positiven "Wird-schon-nichts-schiefgehen-Haltung" sollte am besten jedes Kind haben, betont der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Albert Wunsch. Doch Resilienz werde einem nicht als Charaktereigenschaft in die Wiege gelegt. Sie muss von klein auf erlernt werden. Das dicke Fell – unser seelisches Immunsystem - muss also erst wachsen und wie ein Muskel trainiert werden. Dabei sei es das Wichtigste, so Wunsch, Herausforderungen jeglicher Art nicht aus dem Weg zu gehen.
Verwöhnen bremst die Persönlichkeitsbildung
Genau daran mangelt es heute aber häufig. Mit "verzärtelnder Samthandschuh-Pädagogik" räumten Eltern ihren Kindern allzu oft alle Hindernisse aus dem Weg, kritisiert der Experte. "Ständig sind sie zur Stelle mit ihrem 'Ich mach das schon für dich', 'Das wird zu schwer für dich' oder 'Wenn du nicht möchtest, dann brauchst du nicht'".
Diese Schongang-Erziehung zeigt sich nicht selten schon bei den Kleinsten: Etwa wenn ein Baby versucht, zu einem Ball zu robben und Mama oder Papa reflexartig ihrem Liebling die Mühe abnehmen und ihm das Spielzeug bringen.
Es sei leider ein weit verbreiteter Irrglaube, dass eine Ausgrenzung kind- und entwicklungsgerechter Anstrengung, den Start in ein eigenverantwortliches Leben erleichtern könne, schreibt Wunsch in seinem Buch „Die Verwöhnungsfalle“. Denn falsches oder zu häufiges Helfen, fehlende Regeln und Begrenzungen so wie ausbleibende Herausforderungen führten immer zu Nichtkönnen und Versagen.
Der Entwicklung von Selbstwirksamkeit fehle so die Basis. „Die Leute wollen stabile Persönlichkeiten als Erwachsene, verpassen aber das notwendige Training in Kindheit und Jugend. Das heißt: Wenn man Kindern immer alles abnimmt, dauernd Bedürfnisse befriedigt, ihnen alle Wünsche gewährt, sie nicht auch mal fordert und in die Pflicht nimmt, fehlt ihnen nachher das nötige Selbstbewusstsein und das ‚Handling‘, um im Leben zu bestehen.“
"Zumutungen" schulen das seelische Immunsystem
Was also können Eltern besser machen, um Resilienz bei ihren Sprösslingen zu fördern, damit diese die Kraft entwickeln, sich nicht vom ersten Gegenwind umpusten zu lassen? Für Erziehungswissenschaftler Wunsch lautet die einfache Formel: Kindern so früh wie möglich mit wohlwollender und ermutigender elterlicher Begleitung etwas zutrauen und zumuten.
Resilienz beim Nachwuchs fördern: Diese Tipps helfen dabei
Folgende Erziehungstipps können im Alltag dabei helfen, die psychische Widerstandskraft zu stärken:
- Mütter und Väter sollten Herausforderungen für ihren Nachwuchs konsequent zulassen – schon bei den Jüngsten: Einem Kleinkind kann beispielsweise auch mal zugemutet werden, sich eine halbe Stunde oder etwas länger allein im Laufstall zu beschäftigen, auch auf die Gefahr hin, dass es mangels Animation lautstarke und frustrierte Proteste gibt.
- Die Herausforderungen sollten gerade bei kleineren Kindern wohl dosiert sein. So können sie etwa mit überschaubaren Aufgaben im Haushalt altersgerecht Verantwortung übernehmen oder zu kleinen Abenteuern wie dem Balancieren auf einer Mauer ermutigt werden. Entscheidend ist dabei – und das gilt für jede Altersgruppe –, dass die Kinder spüren, dass Mama und Papa stets Zutrauen haben und an ihre Fähigkeiten glauben.
- Geht doch mal etwas schief und ein kleiner Kratzer ist zum Beispiel die Folge sollten Mütter und Väter zwar an der Seite ihres Nachwuchses sein, dabei aber ihre Sorge so wenig wie möglich zeigen – auch wenn es schwerfällt. Diese Regel betrifft vor allem Knirpse, die gerade laufen lernen. Straucheln sie bei ihren Gehversuchen, ist es am besten, wenn sie sich selbst wieder aufrappeln. Denn "Kinder lernen laufen von Fall zu Fall", so Albert Wunsch.
- Auch beim Thema Essen sollten Eltern nicht zu nachgiebig sein. Nörgeleien und Widerstände beim Menu-Angebot, sollte man – solange keine medizinischen Unverträglichkeiten bestehen – nicht allzu ernst nehmen und ungeliebte Kost wie etwa Gemüse immer wieder anbieten. Hier gilt das Motto: Was auf den Tisch kommt, entscheiden die Eltern, wie viel davon gegessen wird, die Kinder. Probiert werden muss also immer.
- Für die Entwicklung von Resilienz im Teeangeralter sind vor allem sinnstiftende Gemeinschaften hilfreich. Insbesondere in gemeinnützigen Jugendorganisationen wie etwa der freiwilligen Feuerwehr, dem Jugend-Rotkreuz oder den Pfadfindern lernen Heranwachsende über ihr eigenes Ego hinaus zu denken und zu handeln. Zudem verleiht das Gemeinschaftsgefühl Stärke und Kraft.
- Während der Pubertät ist es außerdem wichtig, bei häufig auftretenden Streitpunkten feste Vereinbarungen möglichst in schriftlicher Form zu treffen. Zum Beispiel, wenn es ums leidige Aufräumen geht. Einmal wöchentlich sollte dann kontrolliert werden, ob die Absprachen eingehalten wurden. Erziehungswissenschaftler Wunsch empfiehlt dabei grundsätzlich ein Zeitfenster auszusuchen, das den Nachwuchs im Falle von unverzüglichen Nachbesserungen automatisch zu Disziplin und Zuverlässigkeit "zwingt" – etwa vor einer Verabredung mit Freunden oder vor einer mit Spannung erwarteten Fußballfernsehübertragung.
- Eltern sollten im familiären Zusammenleben nicht jedem Verlangen ihrer Sprösslinge nachgeben – so wie etwa dem Anspruch eines Zehnjährigen, unbedingt ein Smartphone zu besitzen. Kinder müssten lernen, so Albert Wunsch, auch frustrierende Zustände und Umstände zu ertragen – sonst rutschten sie in die "Verwöhnungsfalle".