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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erziehung Kinder müssen Toleranz trainieren
Unvoreingenommen zu sein und Toleranz gegenüber dem Fremden und Andersartigen zu üben - diese sozialen Fähigkeiten haben einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Doch tolerantes Handeln und Denken ohne Vorurteile ist nicht angeboren. Diese Sozialkompetenz muss ebenso wie Fahrrad Fahren oder Schwimmen erlernt und trainiert werden. Hier gilt, wie bei den meisten Lernprozessen: Je früher, desto einprägsamer und nachhaltiger. So gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen und Projekte, die schon den Kleinsten im Kindergarten beziehungsweise in der Grundschule die Thematik näher bringen. Aber auch die Vorbildrolle der Eltern ist sehr wichtig.
Die Angst vor Andersartigem überwinden
Eigentlich heißt "tolerieren" in seinem lateinischen Ursprung "dulden" beziehungsweise "ertragen". Tatsächlich wurde der Begriff jahrhundertelang in diesem Sinne benutzt. Es ging darum, Andersartiges, meist Menschen mit anderen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, zu "erdulden". Denn "Fremdes" und "Unnormales" hatte oftmals eine beängstigende und verunsichernde Wirkung. Heute ist unsere demokratische Gesellschaft vielfältiger denn je und das Miteinander von Kindern unterschiedlicher ethnischer Herkunft und sozialer Schichten ist in Kitas und Schulen der Normalfall, aber durchaus nicht immer Selbstverständlichkeit.
Toleranz ist eine aktive Einstellung
Eine moderne Definition von Toleranz hat die UNESCO 1995 auf ihrer Generalkonferenz festgelegt. Im Artikel 1 zur "Erklärung von Prinzipien der Toleranz" werden vor allem Respekt, Akzeptanz und "Anerkennung der Kulturen unserer Welt" gefordert. Weiter heißt es: "Toleranz ist nicht gleichbedeutend mit Nachgeben, Herablassung oder Nachsicht. Toleranz ist vor allem eine aktive Einstellung, die sich stützt auf die Anerkennung der allgemeingültigen Menschrechte und Grundfreiheiten anderer." Toleranz wird hier vom bloßen Aushalten und "Erdulden" zur Überzeugung.
Abgrenzung von anderen gehört zur kindlichen Persönlichkeitsentwicklung
Doch um diese Überzeugung zu leben, ist es ein langwieriger Lernprozess nötig, der bereits in früher Kindheit beginnt. Denn eigentlich gehört in einem Alter ab etwa drei Jahren eine gewisse Intoleranz zum normalen sozialen Verhalten. Dann beginnen die Kleinen nämlich bewusst die ersten Freundschaften zu schließen. Außerdem teilen sie ihr Umfeld nun in Gruppen ein, denen sie sich zugehörig fühlen oder von denen sie sich distanzieren, wie zum Beispiel in Ältere oder Jüngere beziehungsweise in Jungen oder Mädchen. Dieses Verhalten ist ein ganz natürlicher Schritt beim Herausbilden der eigenen Persönlichkeit. Und genau hier, wo diese Abgrenzung auch in Feindseligkeit oder Ablehnung gipfeln kann, raten Pädagogen und Psychologen Toleranz zu trainieren.
"Kita- Reise" durch die Kulturen
Umgesetzt wurde solch ein "Toleranz-Training" im vergangenen Jahr beispielsweise in der Kita "Wackelzahn" in Düsseldorf. Dieser Kindergarten steht exemplarisch für zahllose ähnliche Initiativen in bundesdeutschen Einrichtungen. Hier unternahmen die "Wackelzahn-Knirpse", die aus 15 verschiedenen Nationen stammen, mit ihren Erziehern eine mehrmonatige "Reise durch die Kulturen", tatkräftig unterstützt von den Eltern. Dabei besuchten die Kinder Gotteshäuser großer Weltreligionen - eine Moschee, eine Synagoge, einen buddhistischen Tempel sowie eine Kirche. Außerdem erzählten sie sich gegenseitig von speziellen Riten, Festen und Bräuchen, die sie aus ihrem eigenen Kulturkreis kannten. Eine internationale Kochgruppe rundete das Ganze ab. Reihum wurde mit Hilfe der Mütter und Väter ein anderes landesübliches Gericht gekocht und mit den Kindern gemeinsam vorbereitet.
Für Tagesstätten-Leiterin Gülten Kunt hat dieses multikulturelle Miteinander einen wichtigen pädagogischen Effekt: "Vorurteilen durch Unwissen kann man durch solche Aktionen schon ganz früh entgegen wirken. Es ist ganz wichtig, dass Kinder andere Kulturen kennenlernen und auch Gemeinsamkeiten entdecken. Wenn die Eltern eingebunden werden und offen gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen sind, geben sie diese Offenheit auch an ihre Kinder weiter."
"Irgendwie anders"
Im Rahmen der Initiative "Hand in Hand. Kita ohne Rassismus" sind in Kindergärten in Halle vor allem engagierte Eltern aktiv. In einer der zahlreichen Aktion "tingeln" sie von Einrichtung zu Einrichtung und bringen etwa durch Vorlesen von Geschichten die Idee von Toleranz und Demokratie den Kleinen nahe. Vor allem das von der UNESCO preisgekrönte Buch "Irgendwie anders" gehörte zu der Lieblingslektüre der Kinder. In dem poetischen Bilderbuch von Kathryn Cave und Chris Ridell wird beispielhaft vom Geschenk der Vielfalt, von Akzeptanz, Offenheit und Freundschaft erzählt. Im Mittelpunkt steht "Irgendwie anders", das kleine blaue Wesen mit dem großen Kopf und der Knubbelnase, das weiß, dass es irgendwie anders ist. Es tut zwar alles, um wie die anderen zu sein und dazu zugehören, doch es hilft nichts. Als "Irgendwie anders" eines Tages Besuch von einem fremdartigen, kleinen roten Etwas bekommt, muss es selbst lernen, tolerant zu sein.
Studie bei Grundschülern: positive Wirkung von Toleranztraining
Inwieweit frühzeitige Toleranz-Pädagogik bei Schulkindern Früchte trägt, hat der Psychologe Andreas Beelmann von der Universität Jena in einer aktuellen, weltweit einmaligen Studie untersucht. Der Experte für Toleranzforschung führte drei Jahre lang mit insgesamt 400 Zweit- und Drittklässlern an fünfzehn verschiedenen Schulen ein von ihm entwickeltes Programm durch, das vorurteilsfreies, demokratisches Denken vermitteln sollte. Dabei setzte er auf drei Module: auf ein interkulturelles Training, das Kindern Wissen über andere Kulturen und Nationen vermittelt, auf spielerische Kontakte mit Gleichaltrigen anderer ethnischer Herkunft und schließlich auf die Ausbildung sozial-kognitiver Fähigkeiten. Mithilfe von Geschichten und Spielen sollen die Kinder beispielsweise lernen, sich in andere hineinzuversetzen und Probleme aus einer anderen Perspektive zu betrachten und zu lösen.
Die Ergebnisse der 2010 veröffentlichten Studie belegen, dass durch die Programme die positive Einstellung gegenüber fremden sozialen Gruppen bei den Kindern gefördert wurde - für Studienleiter Andreas Beelmann ein wichtiger Grundstein für gegenseitiges Verständnis und Toleranz: "Deutlich ließen sich Verbesserungen bei der Einstellung zu Kindern anderer Nationen nachweisen. So wünschten sich Kinder der Trainingsgruppe etwa häufiger einen näheren Kontakt zu Kindern aus anderen Kulturen, als Kinder, die das Training nicht absolviert hatten." Wie nachhaltig solche Präventionsmaßnahmen sind, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Doch die Experten aus Jena planen die Untersuchung der Schüler zu späteren Zeitpunkten fortzusetzen.
Für Beelmann ist allerdings nicht nur das pädagogische "Was" wichtig. Schon jetzt ist für ihn klar, dass eine demokratische, offene Lernatmosphäre an der Schule mindestens ebenso bedeutsam ist, wie das beste Präventionsprogramm: "Am Ende kommt es nicht nur darauf an, was man mit den Kindern macht, sondern wie man es macht und wie es eingebettet ist", kommentiert der Psychologe seine Forschungen.
Im internationalen Vergleich gelten deutsche Schüler nicht tolerant
Dass viele Kinder und Jugendliche von einer toleranten Grundhaltung noch weit entfernt sind, ist nicht nur an so genannten "Problemschulen" zu beobachten. In Zahlen hat dies auch eine vergleichende Untersuchung zur politischen Bildung der "Civic Education Study" belegt. Dabei wurden im Jahr 2000 insgesamt 94.000 Schüler aus 28 Ländern (davon 3700 aus Deutschland) befragt. Die deutschen Teenager schnitten nicht gut ab: Ihnen wurde im Vergleich zu den anderen Nationen die am wenigsten ausgeprägte sozial-integrative Orientierung, dafür aber die größte Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit attestiert.
Elterliche Toleranz hat Vorbildcharakter
Ob ein Kind zu einem toleranten Menschen heranwächst, hängt von seinem gesamten sozialen Umfeld ab, in dem die Eltern eine entscheidende Rolle spielen. Sie leben Werte vor, sind verantwortlich dafür, ob ihr Nachwuchs mit sich im Reinen ist und ein stabiles Selbstbild entwickeln kann, das sich nicht durch Abwertung anderer definieren muss. Für die Wiebadener Psychologin und Fachautorin Rosemarie Portmann, ist es am wichtigsten, dass Kinder die Erfahrung machen, so geschätzt zu werden, wie sie sind, auch wenn alles mal schief läuft. Gegenüber "Spielen und Lernen" sagt sie: "Das Kind muss spüren, dass es nichts leisten muss, um geliebt zu werden." Dies seien die besten Voraussetzungen, um auch andere Werte tolerieren zu können. "Wenn man selbst Respekt und Achtung erfährt, muss man andere nicht abwerten", ergänzt die Psychologin.
Empathie, Respekt und Offenheit
Dabei spiele auch eine große Rolle, so die Expertin weiter, wie das familiäres Klima und der Umgang miteinander sei, etwa wie die Eltern als Partner miteinander umgingen, wie offen sie auf andere Menschen zugingen oder wie respektvoll sie über andere redeten. Auch die Fähigkeit der Empathie, die notwendig ist, um Verständnis für andere zu entwickeln, kann nirgends besser vermittelt werden als in der Familie. Dazu gehört auch, dass Väter und Mütter ihrem Kind die eigenen Gefühle offenbaren können und ehrlich mit ihren Schwächen und Fehlern umgehen. "Letztendlich geht es darum, die Erkenntnis zu verankern, dass alle Menschen verschieden sind und alle gleich. Denn alle sind gleich viel wert, das müssen Kinder lernen. Das heißt aber nicht, dass man Unterschiede nicht bemerken und danach fragen darf", fasst Rosemarie Portmann zusammen.
Hier geht es zum Schulkinder und deren Entwicklung in unserem Ratgeber.