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Experte warnt vor Omikron: "Der Peak ist noch nicht erreicht"


Trügen die Zahlen?
In diesen Altersgruppen steigen die Inzidenzen weiter


Aktualisiert am 24.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Testzentrum in Hannover: Sorgt die veränderte Teststrategie für trügerische Zahlen?Vergrößern des Bildes
Testzentrum in Hannover: Sorgt die veränderte Teststrategie für trügerische Zahlen? (Quelle: IMAGO / localpic/imago-images-bilder)

Bundesweit sinken die Inzidenzen – scheinbar. Doch ein Modellierer warnt eindringlich: Die Zahlen täuschten. Der Gipfel sei noch nicht erreicht. Er spricht sich gegen schnelle Öffnungen aus.

Die Regierung stellt Erleichterungen bei den Anti-Corona-Maßnahmen in Aussicht. Die Sehnsucht danach ist groß. Doch sie könnten zu früh kommen, warnt der Mathematiker Kristan Schneider im Gespräch mit t-online. Er modelliert die Entwicklung der Pandemie.

t-online: Herr Schneider, die Inzidenzen sinken bundesweit jeden Tag. Liegt das Schlimmste hinter uns?

Kristan Schneider: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Die sinkenden Inzidenzen gehen auch auf die Tatsache zurück, dass die Tests zurückgehen. Die Teststrategie wurde geändert und das erweckt den Anschein rückläufiger Zahlen.

Doch das Problem ist vielschichtig. Die Inzidenzen waren und sind unter den Jugendlichen enorm hoch. Das führte zu den Schülerprotesten, Entbindung von der Präsenzpflicht, Homeschooling für zahlreiche Klassen usw. Dadurch steuert sich das Infektionsgeschehen an Schulen selbst. Es werden auch wichtige Infektionsketten durchschnitten, da weniger Eltern angesteckt werden und dadurch weniger Infektionen am Arbeitsplatz erfolgen. Momentan tragen auch die Schulferien in einigen Bundesländern zur Reduktion des Infektionsgeschehens bei.

Kristan Schneider
Kristan Schneider (Quelle: Helmut Hammer)


Kristan Schneider ist Mathematik-Professor an der Hochschule Mittweida. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Modellierung epidemiologischer Prozesse.

Also nimmt nicht unbedingt das Infektionsgeschehen ab, sondern durch die veränderte Teststrategie – etwa die Priorisierung der PCR-Tests – ist das Monitoring reduziert?

Ja, die Zahlen sind trügerisch. Da Deutschland verhältnismäßig gut und verglichen mit den Nachbarländern sogar ausgezeichnet auf die Pandemie reagierte, startete die Omikron-Welle sehr spät. Delta war somit im Januar noch stark vertreten und ist es mancherorts noch immer.

Die auslaufende Delta-Welle sorgt für sinkende Krankenhausbelegungen. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass momentan die Zahlen zurückgehen. Hier müsste man sich aber genauer die variantenspezifischen Hospitalisierungen ansehen. Hinzu kommt, dass eben gerade die jüngeren Menschen besonders stark von Omikron betroffen waren, die weniger schwer erkranken.

Aber wenn die Jüngeren, die nicht so schwer erkranken, sich jetzt infizieren, ist das doch erst mal eine gute Nachricht ...

Gefährlich ist, dass die Inzidenz nach wie vor bundesweit in den Altersgruppen 60+ und 80+ steigt. Irgendwann erwischt es jeden, egal wie gut man sich schützt. Die Infektion der englischen Königin zeigt das ganz gut. In den kritischen Altersgruppen kann das schlimme Folgen haben.

Also bleiben die Infektionen der über 60-Jährigen weiterhin ein Problem?

Ja, Impfdurchbrüche und Impflücken der über 60-Jährigen sind die eigentliche Gefahr bei den Hospitalisierungen. Der Anteil an Geimpften in Deutschland ist zwar niedriger als etwa in Dänemark. Wir haben aber eine viel niedrigere Inzidenz. Das wird dafür sorgen, dass sich in dem Abklang der Omikron-Welle (sofern man jetzt schon davon sprechen kann) die hospitalisierten Fälle zeitlich besser verteilen werden als in Dänemark.

Angesichts der veränderten Teststrategie trügen also die Zahlen? Ist der Omikron-Peak also noch nicht erreicht?

Ich gehe davon aus, dass die Zahlen trügen. Der Peak ist vielerorts noch nicht erreicht.

Also kommen die Öffnungen zu früh?

Ja, in vielen Bereichen schon. Man muss sich ja auch fragen: Wer will denn so unbedingt alles öffnen? Auch in Dänemark ist man ja weiterhin sehr vorsichtig, die Testdisziplin ist weiterhin sehr hoch und große Partys zum "Freedom Day" hat man auch nicht gesehen.

Und auch in Deutschland haben ja Umfragen ergeben, dass sich die Mehrheit der Menschen auch nach dem 20. März weiterhin mit Masken schützen will.

Aber die 2G-Regel im Einzelhandel abzuschaffen, halten Sie für richtig?

Ja, bei zu hohen Fallzahlen ist das ineffizient und man muss klar sagen: 2G war sowieso mehr als eine Nötigung zur Impfung entworfen. Aber klar ist: Je mehr gelockert wird, desto weniger wird getestet. Wichtig bleibt daher die Beibehaltung der Maskenpflicht, möglichst weiterhin unnötige Kontakte zu vermeiden und eine Disziplin bezüglich der Isolation von Infizierten aufrechtzuerhalten.

Was versucht wird, ist ja auf die Eigenverantwortung der Menschen zu setzen. Der Staat reglementiert nicht mehr alles bis ins Kleinste und will darauf setzen, dass die Menschen sich verantwortungsvoll verhalten …

Das hat noch nie funktioniert, zumindest nicht in Deutschland. Das hat vielfältige Gründe. Ich halte von den Eigentests zum Beispiel gar nichts. Die Gefahr eines falschen – vor allem eines falsch negativen Ergebnisses – ist zu groß, die Qualität dieser Tests reicht oft nicht aus und auch Fehler in der Handhabung können das Ergebnis verfälschen. Auch der Anreiz durch einen manipulierten Eigentest der Isolation zu entgehen ist viel zu groß.

Aber irgendwann müssen wir ja aus der Pandemie hierzulande raus. Und die Politik muss darauf reagieren, dass sich Geimpfte oft in Geiselhaft von Ungeimpften fühlen.

Ja, aber wir müssen uns über eines im Klaren sein: Fast jeder wird sich mit dem Virus infizieren, man kann dem nicht entgehen. Auch wenn vielleicht erst in der nächsten Welle, und dann ist das entscheidende Kriterium: Ist man geimpft oder nicht?

Sie rechnen also auch mit weiteren Wellen?

Ja, und darauf müssen wir uns im Sommer vorbereiten. Die Impfquote muss erhöht werden. Aber ich rechne nicht mehr damit, dass wir noch mal in eine so prekäre Situation in den Krankenhäusern kommen wie in der Delta-Welle.

Die Probleme in dieser neuen Phase der Pandemie sind andere: Man muss dafür sorgen, dass nicht zu viele Menschen auf einmal an ihrem Arbeitsplatz ausfallen. Und wir haben ein Problem, das gern vernachlässigt wird: Was ist mit Long Covid? In der tagesaktuellen Berichterstattung wird das nicht priorisiert. Die Gefahren der Pandemie waren immer die langfristigen Folgeschäden, die die Gesellschaft auf Jahrzehnte belasten können, und das akutere Problem der Überlastung der kritischen Infrastruktur. Die Langzeitkosten und Folgen von Long Covid könnten zu einem echten Problem werden.

Sie sind Österreicher und haben das am Beispiel Ihres Heimatlandes für Deutschland modelliert.

Ja, zum Vergleich: In Österreich gibt es 15.000 registrierte Krankenstände wegen Long Covid. Das würde 150.000 in Deutschland entsprechen (allerdings geht nur jeder Dritte mit Long Covid zum Arzt, es können also auch viel mehr werden). Das wären 0,3 Prozent der Erwerbstätigen. Nimmt man an, dass in Deutschland bisher 25 Prozent der Bevölkerung infiziert waren (inklusive Dunkelziffer), könnte sich der Anteil auf 1,2 Prozent erhöhen. Viele Betroffene werden sich erst lange nach der Infektion krankmelden. Man ist jedenfalls auf der sicheren Seite, wenn nach wie vor Infektionen vermieden werden. So lange wie möglich.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Kristan Schneider
  • Eigene Recherche
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