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Therapie mit Bleichmittel | Facebook macht Scharlatan-Gruppen dicht


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Therapie mit Bleichmittel
Facebook macht Scharlatan-Gruppen dicht


Aktualisiert am 03.02.2018Lesedauer: 3 Min.
Safety Town in NapervilleVergrößern des Bildes
Desinfektions- und Bleichmittel. Auch Kinder sollten mit den giftigen Stoffen behandelt werden. (Quelle: getty-images-bilder)

Es war die Heimat von Menschen, die Schulmedizin weniger vertrauen als einem selbsternannten Bischof: Facebook löscht aktuell Gruppen, die etwa Desinfektionsmittel als Heilmittel für Kinder empfehlen.

Geschockt reagierten manche der mehr als 34.000 Mitglieder der Facebookgruppe "MMS (nach Jim Humble) & alternative Heilmethoden", andere waren traurig oder wütend: Facebook hat am Donnerstag die Gruppe dicht gemacht, wie auch mindestens zwei ähnliche Gruppen. Manche der Mitglieder vermuten Druck einer offenbar allmächtigen "Pharma-Mafia" dahinter. Unter ihnen ist auch der Glaube verbreitet, dass die Menschen aus Profitsucht absichtlich krank gehalten werden.

Die Gruppen bauen auf den Lehren von Jim Humble auf, Erz-Bischof und Gründer der amerikanischen "Genesis II Church of Health and Healing". Sein Mittel MMS hat der frühere Nasa-Ingenieur und Goldgräber zu einem der Sakramente der Genesis-Sekte erklärt. Verzweifelte ziehen daraus Hoffnung: Humble verspricht nicht weniger als Heilung von Aids, Krebs, Malaria, Demenz, ... Scharlatanerie, mit deren Folgen Giftnotrufe konfrontiert sind.

Vermehrt Anzeigen bei Jugendämtern

Mitglieder aus den Gruppen spekulieren selbst, dass die Sperrung Folge sein könnte von gehäuften Anzeigen bei Jugendämtern, weil Eltern ihre Kinder mit MMS behandeln. Ätzende Einläufe sollen beispielsweise angebliche "Seilwürmer" töten, die nach Glauben der Anhänger auch für Autismus verantwortlich seien. Wenn das Mittel Durchfall, Erbrechen und Fieber auslöst, wird das von manchen MMS-Anhängern als Beleg für die Wirkung angesehen. Es gibt auch immer wieder Empfehlungen, die Dosierung zu steigern, so lange es auszuhalten ist.

Einige Anhänger holen zum Gegenschlag aus: "Wir wissen, dass in industriell finanzierten Gruppen Hunderte täglich Meldung machen gegen alternative Selbsthilfegruppen", schreibt ein Administrator. Nun melden MMS-Verfechter ihrerseits die Gruppe "Nothing but the Truth ...": Dort werden die "Kloreinigersäufer" lächerlich gemacht, manchmal auch auf verletzende Art. Solche Gruppen haben sich der Aufklärung über Esoterik und Verschwörungstheorien verschrieben. Die Löschung wird dort als überfälliges Einschreiten Facebooks gefeiert.

Auch Terpentin wird benutzt

Facebook steht immer wieder in der Kritik, weil sich in den geschlossenen und manchmal geheimen Gruppen Anhänger der alternativen Methoden gegenseitig und sektenartig bestärken. Dort gibt es als nützlich empfundene Tipps Gleichgesinnter. Hier ist aber auch Zuspruch groß, weil kritische Stimmen ausgegrenzt werden. Und es gibt Offenheit fürs ernsthaftes Experimentieren mit Terpentinöl, Siedegrenzbenzin, Wasserstoffperoxid.

Am bekanntesten ist aber MMS, Miracle Mineral Supplement. Zwei MMS-Produkte wurden vom Bundesinstitut für Arzneimittel zu zulassungspflichtigen Medikamenten erklärt. Sie werden aber niemals die Zulassung erhalten, weil dazu Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität nachgewiesen werden müssten. Die Verfechter verweisen auf eine angebliche Massenheilung in einem afrikanischen Gefängnis – und darauf, dass "nach Erfahrungen von Selbsthelfern" bestimmte erwünschte Folgen einer Einnahme eintreten "könnten".

Chlordioxid soll die bösen Zellen erkennen

Nutzer kaufen sich Wasserdesinfektionsmittel und mischen sich ihr Mittel selbst aus Natriumchlorit (nicht Natriumchlorid, das ist Kochsalz) und Salz- oder Zitronensäure. Bei der Reaktion wird das als sehr giftig, ätzend und umweltgefährlich eingestufte Chlordioxid frei – ein Stoff, der als Desinfektions- und Bleichmittel eingesetzt wird. Einatmen solle man das nicht, rät ein Autor aus der Szene. Absurder Nachsatz: Wer Wasser einatme, könne ja auch daran sterben.

Das Chlordioxid soll im Körper "böse" Zellen und Keime zerstören und "gute" unangetastet lassen – so die Theorie. "Quacksalberei mit absurden Anwendungsempfehlungen", kommentierte schon 2008 die Zeitschrift "Gute Pillen – schlechte Pillen", die sich immerhin als kritische Gegenöffentlichkeit zu Pharma-PR versteht. In der Szene wird statt MMS inzwischen immer CDS empfohlen, das deutlich schwächer konzentriert ist und ein geringeres Risiko bedeuten soll.

Auf Facebook wird darüber auch weiter gesprochen: Nach den Löschungen sind in kürzester Zeit neue Gruppen entstanden – manche mit klarer Ansage: "Tiere und Kinder werden nicht in Beiträgen erwähnt." Administratoren befürchten eine schnelle neue Löschung, wenn deutlich wird, dass Kinder, Hunde oder Katzen therapiert werden. Beiträge mit Fragen zur Behandlung von Kindern werden dabei als Provokationsversuche von Trollen gesehen.

Schnell neue Gruppen entstanden

Eine neue Gruppe unter dem Namen der gelöschten Gemeinschaft hatte es binnen 24 Stunden schon auf 7.000 Mitglieder gebracht. Allerdings stammt sie nicht von den Administratoren der verschwundenen Riesen-Gruppe. Die forderten erfolglos ihren alten Namen und klagen nun: "Selbst in den eigenen Reihen muss man aufpassen."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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