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DB-Cargo-Chefin: "Wir setzen die Kohlezüge quasi doppelt gegen Putin ein"


Interview
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Bahn-Managerin Nikutta
"Wir setzen Kohlezüge gegen Putin ein"


Aktualisiert am 13.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin: Sein Angriffskrieg hat in der Ukraine große Zerstörung angerichtet. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov/Kremlin Pool)

Der russische Angriffskrieg hat Teile der Ukraine zerstört. Die Deutsche Bahn macht bereits Pläne für den Wiederaufbau, erklärt Cargo-Chefin Nikutta im Interview.

Die Energiekrise ist auf der Schiene angekommen. Während sich die Deutsche Bahn als grüne, emissionsarme Verkehrsalternative präsentiert, rollen seit Kurzem wieder Kohlewaggons durch Deutschland.

Für Sigrid Nikutta, Chefin der Güterverkehrssparte DB Cargo, handelt es sich dabei um eine Übergangslösung, um in diesem Winter noch einmal die Kraftwerke versorgen zu können. Einschränkungen für den Personenverkehr entstünden dadurch keine und auch für die Weiterverwendung der Waggons gibt es bereits einen Plan.

Im Gespräch mit t-online erklärt Nikutta, wie die alten Kohlewaggons der Ukraine helfen können, weshalb die Bahn vom Fachkräftemangel verschont bleibt und warum Kinder und Karriere für sie perfekt zusammenpassen.

t-online: Frau Nikutta, den Güterverkehr beschreiben Sie selbst gern als "grün". Jetzt aber kutschieren Sie Millionen Tonnen Kohle für Kraftwerke durch die Republik. Wie skurril finden Sie das?

Sigrid Nikutta: Die Situation an sich ist schon außergewöhnlich. Noch vor zwei Jahren haben mich Leute gefragt: "Frau Nikutta, was machen Sie eigentlich mit den ganzen alten Kohlewaggons? Die brauchen wir doch nie wieder." Meine Antwort damals: "Die behalten wir erst einmal, schließlich funktionieren sie noch." Dass wir sie tatsächlich so schnell brauchen, weil ein Krieg mitten in Europa ist, hätte ich mir natürlich nicht gedacht.

Klingt nach Glück im Unglück.

Absolut. Das ist die größte Reaktivierung von Güterwagen aller Zeiten. Wir haben innerhalb von nur fünf Monaten mehr als 1.000 Güterwagen reaktiviert und mit geräuscharmen Flüsterbremsen ausgestattet. Das ist eine großartige Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bahn – und natürlich ein wichtiger Beitrag zur Energiesicherheit.

Der jedoch zeitlich begrenzt sein soll. Werden Sie die Waggons danach dann endlich verschrotten?

Nein. Ich gehe davon aus, dass wir die Kohlewaggons, die jetzt im Einsatz sind, umbauen werden, damit wir sie anders einsetzen können.

Und was ließe sich damit dann befördern?

Wir könnten mit den Waggons dann alles transportieren, was geschüttet werden muss – zum Beispiel Baustoffe wie Sand oder Kies. Meine Hoffnung ist, dass wir die alten Kohlewaggons schon bald für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen können. So setzen wir die Kohlezüge quasi doppelt gegen Putin ein.

Gibt es dafür schon konkrete Anfragen seitens der Ukraine?

Eine Woche nach dem russischen Überfall haben wir als DB Cargo gemeinsam mit der ukrainischen Staatsbahn eine Schienenbrücke in die Ukraine aufgebaut. Auf der liefern wir aus Deutschland und ganz Europa Container mit gespendeten Hilfsgütern. Das aber ist nur der Anfang. Wenn der Krieg endlich vorbei ist, wird es ein Wiederaufbauprogramm geben. Da werden sehr schnell sehr viele Baumaterialien benötigt. Die können wir dann mit unseren Zügen transportieren.

Aber geht das überhaupt? Die Schienen in der Ukraine haben doch eine andere Breite als hier bei uns.

Das ist in der Tat eine Herausforderung. Wir fahren viele Container, die sich schnell umladen lassen. Zugleich baut die ukrainische Eisenbahn momentan mit viel Tempo eine Art Versorgungsnetz mit Normalspurschienen auf, die Ukraine will ihr Netz nach Westeuropa ausrichten. Die könnten wir dann direkt befahren – auch mit sogenannten Schüttgutwagen, die man für Baustoffe braucht.

Noch werden diese Wagen aber in Deutschland gebraucht. Inwieweit kommen sich Kohletransporte jetzt mit dem Bahn-Personenverkehr in die Quere?

Die Kapazität des Netzes ist zwar begrenzt. Besonders in NRW, wo die Kohlezüge von den niederländischen Häfen nach Deutschland kommen, knubbelt es sich schon einmal. Im Großen und Ganzen aber können wir trotzdem sagen: Derzeit bremsen Kohlezüge den Personenverkehr nicht aus.

Hatten Sie damit vorher gerechnet?

Ja.

Tatsächlich? Der Aufschrei über die Priorität für Kohlezüge gegenüber dem Personenverkehr war im Sommer doch riesig.

Das stimmt. Tatsache ist: Ein großes Kohlekraftwerk wie in Bexbach im Saarland braucht 6.000 Tonnen Kohle am Tag. Ein Zug kann rund 2.800 Tonnen Kohle bewegen. Täglich sprechen wir also über zwei zusätzliche Züge. Für das Schienennetz ist das verkraftbar.

(Quelle: Arno Wölk)

Sigrid Nikutta

Sigrid Nikutta wurde 1969 geboren. Kurz nach ihrer Geburt zogen die Eltern von Polen ins nordrhein-westfälische Herford. Nikutta studierte in Bielefeld Psychologie und Pädagogik und wurde 2009 parallel zum Job in Psychologie promoviert. Bereits 1996 kam sie zur Deutschen Bahn und bekleidete verschiedene Leitungspositionen. 2010 wurde sie zur Vorstandsvorsitzenden der Berliner Verkehrsbetriebe berufen. Zum 1. Januar 2020 kehrte sie dann als DB-Cargo-Chefin an ihre frühere Wirkungsstätte zurück.

Kohle hin oder her, insgesamt geht es dem Cargo-Geschäft der Bahn weiter schlecht. Nach einem Minus von 481 Millionen Euro im Jahr 2021 sieht es auch für dieses Jahr kaum besser aus. Warum lässt sich mit Warentransport auf der Schiene kein Geld verdienen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in die Vergangenheit schauen. Schon vor 50 Jahren hieß es: Güter gehören auf die Schiene. Doch passiert ist seitdem das genaue Gegenteil. Es ist immer mehr auf den Lkw verlagert worden. Das war durchaus politisch gewollt. In den 70er-Jahren noch war etwa West-Berlin total stolz darauf, die "autogerechte" Stadt zu bauen. Parallel wurde in ganz Deutschland das Schienennetz zurückgebaut, Weichen, Gleisanschlüsse für Fabriken und Industriegebiete.

Das erklärt aber nicht Ihre heutigen Verluste.

Doch. Die Überlegung damals wie bis heute ist: Wenn das Schienensystem schrumpft, wenn die Fixkosten für die Instandhaltung sinken, dann erreichen wir irgendwann den Punkt, an dem der Güterverkehr profitabel wird. Das ist aber nicht der Fall. Je kleiner das Netz wird, je schlechter die Auslastung, desto größer werden die Verluste – weil wir immer weniger Kunden erreichen. Deswegen muss in die Infrastruktur investiert werden.

Genau das will auch die Ampelregierung in Berlin. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass die Investitionen in den Schienenverkehr erhöht werden sollen und dass der Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent wachsen soll. Funktioniert das?

Für mich ist der Koalitionsvertrag mehr als nur eine Sammlung an Überschriften. Da steht sehr genau drin, wie wir den Schienenverkehr ausbauen können. Die Handschrift von Fachleuten ist erkennbar, das stimmt mich optimistisch. Uns allen sollte klar sein: Die Schiene ist ein wichtiger Beitrag auf dem Weg aus der Klimakatastrophe. Denn bislang ist der einzige CO2-neutrale Weg, um Waren europaweit zu transportieren, unser Schienennetz.

Die Ampel brüstet sich gerade vor allem mit dem 9-Euro-Ticket, das nun ein 49-Euro-Ticket werden soll. Welche Auswirkungen hat das auf den deutschen Schienenverkehr?

Das 9-Euro-Ticket war eine starke Maßnahme, um den öffentlichen Nahverkehr als Teil der Lösung in die Köpfe der Leute zu bringen. Das ist wirklich grandios. Mehr Menschen heißt aber auch eine höhere Auslastung der Netzinfrastruktur, was wiederum Auswirkungen auf die Pünktlichkeit der Bahnen hat. Unser Vorstandsvorsitzender Richard Lutz sagt: "Die Qualität der Bahn entscheidet sich zu 80 Prozent an der Infrastruktur." Ich unterstütze das: Für jeden Euro, der in ein solches deutschlandweites Ticket fließt, muss auch eine Investition in den Ausbau der Infrastruktur erfolgen.

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Wohin sollte dieses Geld konkret fließen?

Die Ansätze sind ja bereits da. So heißt es etwa im Koalitionsvertrag, dass für jedes Industriegebiet ein Schienenanschluss geprüft werden soll. Es gibt auch schnelle konkrete Ansätze im Schienennetz wie Überholgleise und zusätzliche Weichen, die kommen uns allen zugute.

Geprüft heißt nicht gebaut.

Stimmt. Aber immerhin ist der Gedanke da. Über Jahrzehnte hat das keine Rolle gespielt. Da wurde wie selbstverständlich eine Straße mit Steuergeldern in ein Industriegebiet gebaut. Wir brauchen eine Gleichbehandlung von Straße und Schiene. Denn Schienen können sich auch für Unternehmen lohnen, die keinen eigenen Anschluss vor der Tür haben.

Inwiefern?

Wir als DB Cargo bieten den Unternehmen an, ihre Güter auf einen Lastwagen zu verladen, der sie dann zum nächsten Bahnhof bringt. Dort lässt sich alles mit einem Kran auf einen Zug umladen. Das dauert gerade einmal anderthalb Minuten.

Nicht nur in der Logistik, sondern fast überall fehlt es aktuell an Personal. Wie stark ist die Deutsche Bahn vom Fachkräftemangel betroffen?

Personal ist der Schlüssel für all unsere Projekte. Und ich kann selbstbewusst sagen: Da steht die Bahn trotz aller Herausforderungen gut da.

Wie kommt das?

Die Bahn ist ein sicherer und guter Arbeitgeber. Wir sind einer der größten Einstellungsbetriebe in Deutschland – allein in diesem Jahr kommen 26.000 neue Kolleginnen und Kollegen zu uns. Wir bilden zudem die große Mehrheit unserer Leute selbst aus.

In den Vorständen der 40 Dax-Konzerne ist nur jeder fünfte Posten mit einer Frau besetzt. Warum tritt Deutschland beim Thema Gleichberechtigung weiter so stark auf der Stelle?

Ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich an Gleichberechtigung liegt, denn immerhin machen in Deutschland mehr Mädchen Abitur, mehr beginnen ein Studium und bei den Abschlüssen schneiden Frauen im Durchschnitt besser ab als Männer. Doch irgendwo auf dem Karriereweg passiert etwas. Eigentlich ist das nicht erklärbar, zumindest nicht durch die Leistung. Es muss also zumindest in Teilen am Geschlecht liegen, dass Frauen in ihrer Karriereentwicklung weniger zum Zug kommen. Auch ich kenne tolle, aber gefrustete Frauen, die irgendwann aufgegeben haben, weil sie den Eindruck hatten, nicht durchzukommen. Das können wir uns nicht leisten. Und das müssen wir ändern.

Wie kann das geschehen?

Ich finde es gut, wenn Organisationen wie etwa die Allbright-Stiftung oder FidAR immer wieder den Finger in die Wunde legen und auf diesen Missstand hinweisen. Es braucht klare Zielvorgaben.

Wie hoch sollte eine solche Quote ausfallen?

Ganz einfach: Die Hälfte der Menschheit besteht aus Frauen. Also müssten wir am Ende ganz natürlich bei 50 Prozent landen.

Sie haben einmal gesagt "Karriere und Kinder passen perfekt zueinander". Für viele Menschen, vor allem Frauen, stellt das aber weiterhin ein Problem da. Wie haben Sie das gemeint?

Das sind genau die geschlechterspezifischen Hürden, die ich meine. Sorgearbeit und Kinderbetreuung werden als weibliche Themen wahrgenommen. Dabei muss man eigentlich fragen, warum das weiterhin der Fall ist. Karriere und Kinder passen perfekt zusammen. Denn viel zu häufig wird das Gegenteil behauptet – und eigentlich immer nur in Bezug auf Frauen.

In der Vergangenheit wurde bereits darüber spekuliert, ob Sie sich als Nachfolgerin für DB-Chef Richard Lutz in Stellung bringen. Welche Ambitionen haben Sie für die kommenden Jahre?

Über diese Spekulationen amüsieren Richard Lutz und ich uns gemeinsam. Ich bin nach zehn Jahren BVG bewusst zur Bahn zurückgekommen, da ich davon überzeugt bin, dass wir gerade das historische Zeitfenster erleben, um den Spruch "Güter gehören auf die Schiene" Realität werden zu lassen. Genau das will ich zeigen. Denn am Ende eines Berufslebens schaut man zurück und fragt sich, was man erreicht hat.

Frau Nikutta, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Sigrid Nikutta
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