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Neue Abhängigkeit
China ist der Gewinner des deutschen Gasausstiegs


Aktualisiert am 04.08.2022Lesedauer: 6 Min.
Chinas Präsident Xi Jinping (R) im Gespräch mit Russlands Wladimir Putin: China profitiert am meisten, wenn der Westen das russische Gas durch grüne Energieformen ersetzen möchte.Vergrößern des Bildes
Chinas Präsident Xi Jinping (r.) im Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin: China profitiert am meisten, wenn der Westen das russische Gas durch grüne Energieformen ersetzen möchte. (Quelle: Roman Pilpey/Pool)

Um sich von Russland zu lösen, müsste sich Deutschland in die Abhängigkeit von China begeben. Das ist nicht nur angesichts der Spannungen mit Taiwan ein Problem.

Abhängigkeit kann bequem sein – das zeigen die vergangenen Jahrzehnte der deutschen Energiepolitik. Eine gefühlte Ewigkeit hat sich Deutschland voll und ganz auf Russland als Gaslieferant verlassen. Warnungen von Verbündeten wie etwa den USA haben verschiedene Regierungskoalitionen in Berlin ignoriert, alternative Energiequelle nur spärlich ausgebaut.

Nun zeigt sich: Abhängigkeit kann auch teuer sein. Richtig teuer. Plötzlich will jeder in Deutschland nur noch weg vom russischen Gas.

Der Hoffnungsträger, einmal mehr: die erneuerbaren Energien. Sie sollen das Abnabeln von Russland ermöglichen – und das auch noch mit Umweltschutz vereinen. Was viele dabei jedoch außer Acht lassen: Die Energiewende dürfte Deutschland in eine neue Abhängigkeit locken, und zwar dieses Mal von China.

Deutsche Unternehmen können nicht ohne China produzieren

Das Reich der Mitte steht dieser Tage vor allem wegen der diplomatischen Spannungen mit Taiwan im Fokus. Wirtschaftlich ist China aber auch deshalb bedeutend, weil das Land nicht nur der günstige Anbieter von Solartechnik ist, sondern sich auch bei wichtigen Zwischenprodukten eine Vormachtstellung gesichert hat. Zudem kontrolliert China den Zugang zu vielen für grüne Energie wichtigen Rohstoffen.

"Bei Fotovoltaik besteht eine sehr große Abhängigkeit von China, das birgt große Gefahren", erklärt etwa Andreas Bett, Institutsleiter beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), t-online.

Die Abhängigkeit von China könnte dabei deutlich größer werden als die von Russland. Das Land ist nicht nur branchenübergreifend unser größter Handelspartner, im Bereich der Solarzellen gibt es teils nicht einmal Alternativen. Während Deutschland bei Erdgas vor dem Krieg in der Ukraine knapp 55 Prozent seines Bedarfs aus Russland importierte, liegt die Abhängigkeit von China bei sogenannten Wafern, einem wichtigen Zwischenprodukt von Solarmodulen, bei 96 Prozent.

Der Experte Bett warnt: "Unsere lokalen Unternehmen können nicht autark produzieren." Das bedeutet: Wenn China es möchte, steht auch in Deutschland die Fotovoltaik-Produktion still.

"Wir würden die Abhängigkeiten nur tauschen"

Das wird noch deutlicher, wenn man den Fotovoltaikmarkt entlang der Wertschöpfungskette betrachtet: Beim polykristallinen Silizium, einem wichtigen Rohstoff für Solarzellen, kommen 76 Prozent der verfügbaren Rohstoffe am Markt aus China.

Bei den Solarzellen selbst sind es 78 Prozent. Und bei den Modulen, in denen sie verbaut werden, kontrollieren chinesische Firmen rund 70 Prozent des Weltmarktes. Auch im Export ist China stark.

Das Land investiert zwar selbst hohe Milliardensummen in die Umstellung auf Solarenergie in China, dennoch installiert es nur knapp 39 Prozent der Solaranlagen im eigenen Land. Die Überschüsse exportiert China auf den Weltmarkt. China hat also nicht nur bei den Rohstoffen und bei Zwischenprodukten eine dominante Position, auch beim Export der fertigen Anlagen hat es sich bereits einen großen Vorsprung erarbeitet.

Das liegt auch daran, dass China in den vergangenen Jahren zehnmal so viel in den Ausbau der Fotovoltaik-Produktionsanlagen investiert hat wie Europa: knapp 48,6 Milliarden Euro, wie ein aktueller Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigt.

Das bedeutet: Während im öffentlichen Diskurs die Solarenergie mit Unabhängigkeit verbunden wird, konzentriert sich die Marktmacht bereits jetzt deutlich auf einer Seite. "Wenn man es extrem denkt, würde man die Abhängigkeiten einfach tauschen", sagt daher der Chinaexperte und Bestsellerautor Frank Sieren ("Shenzhen – Zukunft made in China"), der seit 28 Jahren in China lebt, zu t-online.

Also erst Russland als direkter Energielieferant, jetzt China als wichtigster Produzent der Solarinfrastruktur? Sieren warnt davor, sich der Illusion hinzugeben, solche Abhängigkeiten in einer globalisierten Welt komplett ausschließen zu können. "Das Ziel sollte vielmehr sein, seine Abhängigkeiten aufzuteilen."

Doch genau das erschwert China mit seinem ganzheitlichen Ansatz. "China verfügt über eine dominierende Stellung bei den Seltenen Erden, die für die Technologie hinter den erneuerbaren Energien unverzichtbar sind", sagt Hubertus Bardt, Geschäftsführer am Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW), zu t-online. Bis in die 80er Jahre waren die USA noch die stärkste Marktmacht, doch die Amerikaner schlossen ihre Mine, da die Umweltschutzvorgaben die Förderung zu kostspielig machten.

Chinesen haben Vormachtstellung bei Rohstoffen

Die Chinesen schlossen diese Lücke und fingen gleichzeitig die steigende Nachfrage in den folgenden Jahren auf. Die Konkurrenten beim Silizium sind mit weitem Abstand Deutschland, die USA und Malaysia.

Gleichzeitig hat China eine bestimmende Marktposition in der Weiterverarbeitung, erklärt Bardt. Das bedeutet: "Selbst die Rohstoffe, die nicht in China gefördert werden, werden hier oft weiterverarbeitet."

Dazu hat sich China in den vergangenen Jahren wichtige Partner in Afrika gesucht. Zu vielen Minen, die wichtige Rohstoffe für die erneuerbaren Energien oder auch die E-Mobilität enthalten, hat China nun den Zugang. "In Deutschland dagegen war es keine Diskussion, Hilfen daran zu knüpfen, dass man Zugang zu Rohstoffen erhält", sagt Bardt.

China stützt afrikanische Regime ohne Gegenfrage

China hat vielen afrikanischen Ländern ein vermeintlich besseres Angebot gemacht als der Westen: Viel Geld, wenige Fragen und im Gegenzug der Zugang zu wichtigen Rohstoffen. Europäische Länder haben bei dieser Entwicklung zugeschaut. "Da haben wir nicht richtig reagiert", sagt Bardt.

Nun liegen also viele wichtige Rohstoffe in der Einflusszone Chinas, das Reich der Mitte bestimmt die Lieferketten bei bedeutenden Zwischenprodukten für Solarstrom. Und auch in der Windenergie oder Atomenergie versucht China zunehmend, den Markt zu dominieren.

Dennoch möchte Ökonom Bardt – anders als der Energieexperte Bett – nicht von einer drastischen Abhängigkeit sprechen. "In diesem Fall sind wir vor allem beim Aufbau der Technologie auf China angewiesen, nicht aber in der kurzfristigen Anwendung", sagt er. "Das ist schon etwas anderes als beim Gas."

Kein abruptes Ende von Lieferungen

Das bedeutet: Während Russland unsere Wirtschaft vor Engpässe stellen kann, wenn es die tägliche Gasration der Deutschen reduziert, würden sich die Risiken bei China langsamer bemerkbar machen. "Wenn uns China keine Solarzellen mehr liefern würde, hätten wir zumindest noch Solaranlagen und vermutlich genügend Zeit, andere Produktionsmöglichkeiten zu entwickeln."

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Doch mit welchen Handelspartnern? Zur Erinnerung: Es gibt nur einen geringen Marktanteil, der nicht von China dominiert wird. Ohne China ist die Energiewende also ganz schnell gestoppt. Und: Nicht nur Deutschland plant die Trendwende bei der Energie – auch China selbst möchte umfassend auf Solarenergie bauen.

Zudem wollen auch andere Länder sowie die USA in die grüne Energie investieren. "Hier könnte es zu massiven Lieferengpässen kommen", warnt Institutsleiter Andreas Bett.

Für ihn gibt es daher nur einen möglichen Schluss: "Wir haben eine sehr hohe technologische Abhängigkeit von China, daher sollte eine europäische Photovoltaik-Produktion unbedingt jetzt gestartet werden", fordert der Experte.

Das Wissen liegt noch in Deutschland

Bereits Anfang der 2000er hatte Deutschland mit Firmen wie Q-Cells und Solarworld eine florierende Solarbranche. Doch als die staatliche Förderung wegfiel, verschwand auch die Industrie zunehmend. Erneut waren es auch in diesem Fall chinesische Unternehmen, die die Lücke am Markt füllten. Längst hat Deutschland seine einstige Vorreiterrolle an das asiatische Land abgetreten.

Das Know-how sei aber noch immer in Deutschland, betonen sowohl Bett als auch Bardt. "Die Geräte, mit denen die Chinesen produzieren, kommen von deutschen Maschinenbauern", sagt etwa Bardt.

Bett traut Deutschland sogar zu, bald wieder eine wichtige Position auf dem Weltmarkt in der Branche einnehmen zu können. "Die Forschungsumgebung ist in Deutschland noch immer exzellent. Am Fraunhofer ISE halten wir noch einige Weltrekorde bei den Solarzellen. Die Technologie steht bereit zum Transfer", sagt Bett.

China übernimmt neue Innovationen schnell – und günstig

Bardt dagegen ist kritischer. "Für einen Boom bräuchten wir zuerst einen Innovationsdurchbruch." Und selbst wenn dieser käme: "Sobald die Technologie wieder Standard wäre, würden ihn andere Länder zu günstigeren Konditionen nachahmen."

Besonders die deutschen Maschinenbauer kennen diese Sorgen. Chinesische Firmen haben sich bereits in der Vergangenheit in vielen Branchen, zum Beispiel über erzwungene Gemeinschaftsunternehmen, Zugang zu europäischem Know-how verschafft, um dieses zu kopieren.

Eine unabhängige Produktion in Deutschland ist dagegen mit hohen Kosten verbunden. Das würden nicht nur die Kunden zu spüren bekommen, auch der Ausbau könnte langsamer voranschreiten, vermutet Bardt.

Konflikt mit China könnte Wohlstand bedrohen

Deutschland steht damit vor demselben Dilemma wie einst mit Russland: Die wachsende Abhängigkeit von einem Partner ist günstig und opportun – die Kosten für das Risiko, das man damit eingeht, sind allerdings unmöglich im Voraus zu beziffern.

Nur so viel steht fest: Der Einsatz für diese Kalkulation dürfte hoch sein. "Ein ähnlicher Konflikt mit China wie mit Russland würde schlagartig eine viel höhere Inflation bedeuteten, als wir sie gerade spüren. Denn fast alles, was wir konsumieren, kommt aus China", sagt Experte Sieren.

Wirtschaftsbeziehungen bieten eine fragile Sicherheit

Bereits jetzt ist China branchenübergreifend unser größter Handelspartner. Die größere Bedeutung am Weltmarkt sehen viele als Sicherheit dafür, dass China keinen Bruch mit dem Westen riskieren möchte.

"Rational betrachtet kann China es sich gar nicht leisten, sich von der Weltwirtschaft auf so eine disruptive Art und Weise abzukoppeln wie Russland", sagt IW-Ökonom Bardt. Doch das ist eine fragile Sicherheit, auf die sich Deutschland schon einmal verlassen hat, denn: "Auch Russland konnte sich das nicht leisten", so Bardt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Hubertus Bardt, IW
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