Knappe Gasversorgung Wirtschaftsminister Habeck ruft die Alarmstufe aus
Robert Habeck hat wegen der Lage am Gasmarkt die 2. Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Ob es zu einem Preisschock kommt, hängt an der Bundesnetzagentur.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die zweite Stufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Für Unternehmen und Verbraucher kann die Alarmstufe erhebliche Konsequenzen haben, denn ihnen drohen sofortige Preiserhöhungen beim Erdgas. Ein Automatismus ist dies aber nicht, die Bundesnetzagentur will die erst im Mai beschlossene Preisanpassungsklausel zunächst wohl nicht aktivieren, wie Habeck bestätigte.
Der Vorstand des Interessenverbandes Zukunft Gas, Timm Kehler, mahnte am Mittwoch: "Die Ausrufung der nächsten Stufe im Notfallplan wird zu großen Verwerfungen am Markt führen und muss daher sorgfältig vorbereitet werden. Wir warnen daher vor einer voreiligen Ausrufung der Alarmstufe, ohne dass vorher alle notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen sind."
Auslöser sind gedrosselte Lieferungen
Die Energieversorger sollten davon ausgehen, dass die Ausrufung der Alarmstufe innerhalb von fünf bis zehn Tagen erfolge, kündigte Habecks Energie-Staatssekretär Graichen am Montag in einer internen Sitzung in großer Runde beim Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft an.
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Einen Zeitungsbericht, wonach Habeck am 8. Juli die zweite Eskalationsstufe ausrufen wolle, hat sein Ministerium am Mittwoch jedoch zurückgewiesen. Der Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gehe offenbar auf missverstandene Äußerungen des Ministers in einem Bundestagsausschuss zurück.
Begründet werden könnte die Ausrufung der Alarmstufe mit der Verringerung der Gaslieferungen aus Russland durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Seit der Drosselung des Gasdurchflusses in der vergangenen Woche ist der Gasmarkt noch angespannter als zuvor. Eine weitere Belastung ist absehbar: Eine anstehende Wartung der Pipeline ist ab dem 11. Juli geplant, etwa zehn Tage könnte sie dauern. In den vergangenen Jahren wurde in diesen Zeiten auf die Gasspeicher zurückgegriffen, um den geringeren Gasimport auszugleichen.
Habeck will mehr Kohle einsetzen
Die Ausrufung der Alarmstufe ist aber auch Voraussetzung für die Umsetzung der Pläne der Bundesregierung, verstärkt Kohlekraftwerke ans Netz zu holen, um den Gasverbrauch im Stromsektor zu reduzieren. Dies ist festgehalten im Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz, das am 8. Juli den Bundesrat passieren soll.
Auf staatliche Eingriffe in den Gasmarkt will Habeck zunächst verzichten – auch beim Ausrufen der Alarmstufe. Nichtsdestotrotz könnte diese Entscheidung weitreichende Folgen haben. Grund ist eine Gesetzesänderung, die am 12. Mai den Bundestag passierte.
Im Energiesicherungsgesetz wurde eine Preisanpassungsklausel eingefügt, die es Versorgern erlaubt, hohe Einkaufspreise für Erdgas auch bei langfristigen Verträgen direkt an ihre Kunden weiterzureichen. "Alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette (haben) das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen", heißt es in Paragraf 24.
Netzagentur spielt wichtige Rolle
Im Klartext: Steigen für die Energieversorger die Kosten, können sie es an die Kunden weitergeben. Doch dafür gibt es eine Reihe an Bedingungen. Die Bundesnetzagentur muss dafür – zusätzlich zur Alarmstufe – förmlich "eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen" feststellen. Dabei geht es also nicht nur darum, wie viel Gas durch die Ostsee-Pipeline fließt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die oberste Regulierungsbehörde zu dieser Feststellung – auch bei Ausrufung der Alarmstufe – vorerst nicht gelangt.
Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller hatte sich zuletzt für Vorsicht ausgesprochen. "Ich werbe sehr dafür, sorgfältig zu prüfen, wann der richtige Zeitpunkt für die höchste Alarmstufe ist, weil das Marktkräfte freisetzen würde", sagte Müller am Dienstag in einem Interview des Bayerischen Rundfunks (BR).
Klar ist dabei: Die Entscheidung birgt politischen Sprengstoff. Formal liegt die Ausrufung der Alarmstufe bei Habeck, aber letztlich wird er wohl nicht alleine entscheiden. Denn sollten durch die Preisanpassungsklausel die Gaspreise in die Höhe schießen, wäre eine erneute Debatte über notwendige Entlastungen programmiert.
Verbraucherschützer sind besorgt
Wegen der hohen Temperaturen dürften Verbraucher zwar aktuell ohnehin wenig von steigenden Gaspreisen merken, auch die Gasrechnungen erreichen Privatkunden erst deutlich später. Dennoch warnen Verbraucherschützer vor den Folgen der steigenden Gaspreise.
Schon jetzt müssten Haushalte mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Erdgas mit Mehrkosten von 1.000 bis 2.000 Euro rechnen. Im Herbst könnten die Preise dann so stark steigen, "dass dies nicht nur Haushalte mit geringem, sondern auch mit mittlerem Einkommen finanziell stark belasten würde", sagte Thomas Engelke von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Verbraucherzentrale fordert für diesen Fall ein Moratorium für all jene Kunden, die die höheren Rechnungen nicht zahlen können.
Die drei Stufen des Notfallplans
Der "Notfallplan Gas" regelt die Gasversorgung in Deutschland in einer Krisensituation. Aktuell ist die zweite Stufe ausgerufen. Das bedeuten die einzelnen Stufen:
- 1. Frühwarnstufe: In der ersten Stufe, die Habeck Ende März ausgerufen hat, tritt ein Krisenstab beim Bundeswirtschaftsministerium zusammen, der aus Behörden und den Energieversorgern besteht. Die Gasversorger und die Betreiber der Gasleitungen werden etwa verpflichtet, regelmäßig die Lage für die Bundesregierung einzuschätzen. Noch greift der Staat aber nicht ein.
- 2. Alarmstufe: In der sogenannten Alarmstufe kümmern sich die Versorger noch in Eigenregie um eine Entspannung der Lage. Das geschieht beispielsweise durch einen Rückgriff auf ihre Gasspeicher, den Kauf von Erdgas aus alternativen Lieferquellen oder die Verschiebung von Erdgas innerhalb der überregionalen Pipeline-Netze. Doch die Alarmstufe ist die Vorstufe einer Notsituation, die verhindert werden soll.
- 3. Notfallstufe: In diesem Fall liegt eine "außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage" vor. Jetzt greift der Staat in den Markt ein. Konkret heißt das: Die Bundesnetzagentur erhält die Kompetenzen zu entscheiden, wer weiterhin Gas bekommt und wer im Zweifelsfall nicht. Sie tritt als "Lastverteiler" auf. Priorität haben "geschützte" Kunden, auch die deutschen Haushalte.
Ob und wann die Notfallstufe ausgerufen wird, ist derzeit nicht bekannt.
- Eigene Recherche
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa