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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zurückgewiesene Gaszahlungen "Putin will seine Macht demonstrieren – solange er kann"
Warnschuss beim Gas: Russland hat deutsche Zahlungen zurückgewiesen und fordert öffentlich Rubel. Das ist kein Zufall. Die Gaslieferungen gewinnen für Russland plötzlich stark an Bedeutung.
Es ist nur ein kleiner Betrag, aber die Bedeutung ist groß: Russland hat im zugespitzten Streit um die Gasimporte Zahlungen einer Tochterfirma der Germania Deutschland abgelehnt.
Als Folge hält Russland nun 0,2 Prozent der gesamten deutschen Importe zurück, obwohl Russland die Lieferung vertraglich zugesichert hat. Der Grund? Es gibt "Unklarheiten bei der Abwicklung der Zahlung", sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur t-online.
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Damit ist Deutschland nicht allein. Mitte der Woche hatte Russland Polen und Bulgarien das Gas abgestellt – obwohl beide Länder angaben, ihre Rechnungen rechtzeitig bezahlt zu haben. Aber: offensichtlich nicht in der gewünschten Währung.
Eine Warnung an Berlin
Der Gazprom-Konzern hat den Lieferstopp an Polen und Bulgarien bestätigt – und damit begründet, dass die Länder nicht in Rubel gezahlt haben. "Mit dem Lieferstopp nach Polen und Bulgarien wollte Putin eine Warnung nach Berlin senden und die Märkte verunsichern", sagt Jens Südekum, Ökonom und Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, t-online.
Statt eingeschüchtert zu reagieren, hat die EU aber Solidarität beschworen und betont: Gas wird nicht in Rubel bezahlt, sondern in Euro oder Dollar. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sendete zudem deutliche Signale an die Mitglieder: Wer trotzdem Gas in Rubel bezahle, verstoße gegen die EU-Sanktionen und müsse mit Konsequenzen rechnen.
Dem Kompromiss so nahe – eigentlich
Doch warum bricht der Streit um die Zahlungsmodalitäten ausgerechnet jetzt wieder aus? Schließlich hatte Russland bereits im März angekündigt, Zahlungen für Gas nur noch in Rubel zu akzeptieren. Doch die Lage beruhigte sich nach dem anfänglichen Aufreger schnell.
Es schien, als hätten die EU und Russland einen Kompromiss gefunden: Die Importeure eröffnen ein Konto bei der Gazprom-Bank und begleichen auf diesem ihre Rechnungen in Euro. Die Gazprom-Bank wandelt diese Beträge dann in Rubel um.
Dieses Modell nennt das Bundeswirtschaftsministerium ein "Konto K". Es wäre eine Möglichkeit, die Gasrechnungen zu bezahlen, ohne Sanktionen zu verletzen. Der Energiekonzern Uniper prüft aktuell ein solches Kontomodell, bisher hat das Unternehmen auf ein europäisches Konto überwiesen.
Weitere wichtige Zahlungstermine stehen im Mai an
Auch Ökonom Südekum sieht dieses Wechselspiel zwischen den Konten noch immer als die Lösung, mit der alle Parteien ihr Gesicht wahren können. Die EU kann darauf verweisen, dass sie in Euro zahlt, Russland erhält dennoch seine Rubel über den Tausch.
So stützt Russland den Kurs des Rubels und kann zeitgleich seine Notenbank mit ausländischen Devisen versorgen. Aber Russland scheint offenbar die Deutungshoheit bewahren zu wollen. Die Zurückweisung der deutschen Zahlung könnte daher ein weiterer Warnschuss sein.
Aber: Ende Mai ist die nächste Zahlung von Deutschlands größtem Energieimporteur Uniper fällig. Der aktuelle Zeitpunkt ist daher offenbar strategisch gewählt. "Putin will seine Macht demonstrieren, solange er es noch kann, und weitere Verwirrung stiften", sagt Südekum.
Putin will seine Position stärken
Für Putin hat sich die Lage in den vergangenen Wochen drastisch verändert – genau das könnte der Grund für die plötzliche Renaissance des Rubel-Streits sein.
Denn auch wenn die Abhängigkeit vom russischen Gas in Deutschland noch hoch ist, hat Deutschland sich vom russischen Öl deutlich schneller als erwartet losgelöst. Auch die Gasspeicher füllen sich in Deutschland langsam wieder.
Zuletzt ist zudem die EU gegen Putin wieder näher zusammengerückt: Deutschland hat seinen Widerstand gegen ein Ölembargo der EU aufgegeben. Eine oft wiederholte Forderung vieler EU-Partner. Unter diesen Umständen würde ein Zugeständnis Europas zu den Rubelzahlungen Putins Position wieder stärken.
Gas wird zur wichtigsten Quelle
Deutschland hat seine Abhängigkeit vom russischen Öl innerhalb weniger Wochen von 35 auf 12 Prozent reduziert. Aktuell ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Gesprächen mit Polen, um auch die verbliebenen 12 Prozent der russischen Lieferungen zu ersetzen (wie das gelingen soll, lesen Sie hier). "Deutschland hat sich im unglaublichen Tempo von russischen Ölimporten befreit", analysiert Ökonom Südekum.
Deutschland boykottiert also quasi bereits russisches Öl, auch viele andere Nato-Staaten haben sich abgewandt. Das rückt andere Energieträger in den Vordergrund. "Gas ist mittlerweile Putins wichtigste Quelle für Deviseneinnahmen", erklärt Südekum.
Den Bedeutungsverlust bei Öl könnte Putin nun also über das Gas ausgleichen wollen – der Rohstoff, von dem Länder wie Deutschland oder Österreich noch immer stark abhängig sind. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat allein Deutschland den Russen rund 9,1 Milliarden Euro für fossile Energieträger bezahlt, zeigt eine Studie des finnischen "Centre for Research on Energy and Clean Air".
Europa ist die größte Einnahmequelle
Das sind fast drei Milliarden Euro mehr als Russland mit den Exporten nach China erwirtschaftete. Insgesamt spielt Europa bei Russlands Handelspartnern eine wichtige Rolle: Von den sechstgrößten Importeuren aus Russland sind fünf Nato-Staaten.
Auch wenn Russland den Blick für die Zukunft gen Osten wirft, sind die größten Handelspartner noch in der EU. Ohne Europa geht es für Russland aktuell noch nicht. Andersherum kann Europa aber auch noch nicht auf russisches Gas verzichten.
Gaslieferstopp wäre auch für Russland kostspielig
Auf die Einnahmen aus dieser gemeinsamen Abhängigkeit wird Russland vorerst nicht verzichten wollen, sagt Südekum. Dazu kommt: Wenn Putin kein Gas mehr nach Europa liefert, hat er keine anderen Abnehmer.
China importiert nur einen Bruchteil des europäischen Volumens, zudem kommt das Gas für den chinesischen Markt aus anderen Gasfeldern.
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Dauert der Exportstopp also zu lange, laufen die Speicher in Russland voll. Im schlimmsten Fall müsste Russland sogar Felder versiegeln. Das wäre für den Kreml ein hoher wirtschaftlicher Schaden. "Ich rechne deshalb nicht mit einem kurzfristigen Lieferstopp in die großen europäischen Märkte", sagt Südekum.
Ifo-Präsident Clemens Fuest blickt im Interview mit t-online ähnlich optimistisch in die Zukunft: "Eher werden es am Ende doch die Europäer sein, die kein Gas mehr aus Russland haben wollen", sagt der Ökonom (mehr dazu lesen Sie hier)
Mit seinen Warnschüssen könnte Putins Ziel vor allem sein, die Preise in die Höhe zu treiben. "Es klingt verrückt, aber Russland könnte trotz der geringeren Exporte sogar noch mehr am Gas verdienen. Dafür aber muss das Erdgas weiter fließen", so Fuest.
Eine Sicherheit gebe es aber nicht: "Was im Kopf von Wladimir Putin vor sich geht, kann niemand präzise vorhersagen", sagt Südekum. Die deutsche Industrie wird Putins Warnschüsse also weiterhin mit Sorge betrachten. Denn wenn das Gas versiegt, droht Deutschland eine herbe Rezession.
- Eigene Recherche
- Schriftliches Statement der Bundesnetzagentur
- Schriftliches Statement von Jens Südekum
- Studie der CREA
- Analyse der Commerzbank
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa