EU-Kommission Von der Leyen hält Lieferstopp von russischem Gas für wahrscheinlich
Die EU will sich auf einen Gas-Lieferstopp vorbereiten. Dazu sollen alle Staaten Gas sparen. Gazprom beklagt derweil, dass Unterlagen für die gewartete Turbine fehlten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält einen kompletten Lieferstopp von Gas aus Russland in die Europäische Union für wahrscheinlich. "Wir müssen uns auf eine mögliche vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten", sagte die deutsche Politikerin am Mittwoch in Brüssel. "Dies ist ein wahrscheinliches Szenario."
Man habe schon in der Vergangenheit gesehen, dass Russland versuche, Druck auf die EU auszuüben, indem es die Gasversorgung reduziert. Ein kompletter Lieferstopp würde von der Leyen zufolge alle EU-Staaten schwer treffen. Zugleich betonte sie, dass die EU die Schwierigkeiten bewältigen könne, wenn sie geschlossen handele.
Dazu gehört auch ein Vorschlag, den die Kommission am Mittwoch unterbreitete: Im Fall eines Gasnotstands sollen EU-Staaten nach dem Willen der Kommission zum Gassparen gezwungen werden können.
Reduktion um 15 Prozent
Konkret hat die Brüsseler Behörde am Mittwoch vorgeschlagen, dass verbindliche Reduktionsziele möglich sein sollen, wenn freiwillig nicht genug gespart wird. Zunächst sollen die EU-Länder freiwillig alles dafür tun, ihren Verbrauch in den kommenden Monaten um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre zu reduzieren.
Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch zustimmen. Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen wäre, dass mindestens drei Staaten oder die EU-Kommission wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten. Ob und in welchem Umfang Deutschland seinen Gasverbrauch weiter senken muss, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen, war zunächst unklar.
Deutscher Gasverbrauch ist gesunken
In den ersten fünf Monaten des Jahres war der Gasverbrauch in Deutschland gut 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte. "Auch bereinigt um Temperatureffekte lag der Gasverbrauch im laufenden Jahr 6,4 Prozent unter dem Wert des Vorjahreszeitraums", hieß es unter Verweis auf Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.
Im Mai seien es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar 34,7 Prozent – bereinigt 10,8 Prozent – weniger gewesen. Deutlich rückläufig sei auch die Stromerzeugung aus Gas, teilte das Ministerium mit. Diese sei in den ersten fünf Monaten gut 14 Prozent niedriger gewesen als im Vorjahreszeitraum.
Sorge um Lieferungen durch Nord Stream 1
Zuletzt gab es Sorgen, dass Russland bei der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer geplanten Wartung, die in dieser Woche abgeschlossen sein könnte, den Gashahn womöglich nicht wieder aufdreht. Die Bundesregierung hingegen sagte dazu am Mittwoch, dass sie nach Ende der Wartungsarbeiten wieder volle Gaslieferungen erwarte, schließlich sei Gazprom dazu auch vertraglich verpflichtet.
Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollte die Regierung nicht kommentieren. Dieser hatte sich in der Nacht zum Mittwoch ebenfalls zu den Gaslieferungen geäußert. "Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", zitiert ihn die russische Agentur Interfax.
Putin bringt Nord Stream 2 ins Gespräch
Gazprom wiederum säte am Mittwoch Zweifel daran: Nach eigenen Angaben habe der Konzern noch keine Dokumente für die bei Nord Stream 1 gebrauchte Turbine erhalten – und könne deshalb nicht sicher sagen, dass der Betrieb wieder aufgenommen werde. "Gazprom hat bis heute vom Konzern Siemens keine offiziellen Dokumente erhalten, die es unter den Bedingungen der Sanktionen Kanadas und der EU erlauben, den Gasturbinenmotor in die Kompressorstation 'Portowaja' einzubauen", teilte das russische Staatsunternehmen am Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal mit.
Putin warnte zuletzt zudem vor einem Absenken der Liefermenge. Sollte Russland die Turbine nicht zurückerhalten, drohe die Durchlasskapazität Ende Juli nochmals deutlich zu fallen. Das Bundeswirtschaftsministerium äußert sich weiterhin nicht dazu, wo sich die Turbine befindet und verwies auf Sicherheitsfragen.
Eine Sprecherin bekräftigte, dass es sich um einen Vorwand der russischen Seite handele und der Einsatz einer Ersatzturbine für September bestimmt gewesen sei. Es werde dennoch alles getan, um der russischen Seite den Vorwand zu nehmen.
Das Ministerium bekräftigte außerdem, dass die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht zertifiziert und damit rechtlich nicht zugelassen sei. Putin hatte die weitgehend parallel verlaufende Leitung erneut ins Spiel gebracht.
- Nachrichtenagentur dpa