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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Inflation Eigentlich kann er gar nichts tun
Olaf Scholz will gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften eine Rezession verhindern. Kann das gut gehen?
Es ist nur ein Detail und doch sagt es viel aus: Er begrüße die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, so Olaf Scholz, und Arbeitgeberpräsident "Andreas Dulger". Problem dabei: Der Mann, der zum Pressestatement neben ihm stand, heißt eigentlich Rainer Dulger.
Ein einfacher Versprecher, könnte man meinen. Doch er ist Olaf Scholz passiert. Dem Kanzler, der seine Worte in der Regel mit Bedacht wählt – bisweilen etwas zu bedächtig, wie Kritiker monieren – und: Er ist ihm auch noch passiert beim Auftakt zu einem wichtigen Event mit historischen Wurzeln.
Scholz hatte Gewerkschaften, Arbeitgeber, Wissenschaftler und Vertreter der Bundesbank zu einer "konzertierten Aktion" ins Kanzleramt geladen. Ziel des Treffens, das seinen Ursprung im Jahr 1967 hat: der Inflation Einhalt zu gebieten, die Lohn-Preis-Spirale zu verhindern – ein Szenario, in dem sich die Inflation verfestigt, sich Löhne und Preise immer weiter hochschaukeln.
Das Ergebnis jedoch: überschaubar. Scholz betonte den "Geist der Gemeinsamkeit" sowie einen "Austausch der Interessen". Sein Resümee: "Es war ein guter Auftakt." Es sei darum gegangen, ein "gemeinsames Verständnis für die Lage zu entwickeln", in dem sich das Land befinde, sagte der Kanzler weiter. Konkretes? Fehlanzeige.
Erwartungen bereits vorher gering
Nun muss man zugeben, dass die Erwartungen schon vorab eher verhalten waren. Klar war allen Beteiligten, dass die Tarifverhandlungen nicht im Kanzleramt stattfinden. Auch das betonten Arbeitgeberpräsident Dulger und Gewerkschaftsbund-Chefin Fahimi nochmals.
Doch auch Scholz selbst dämpfte die Erwartungen, kassierte noch am Vortag den entscheidenden Vorschlag ein, der aus seinem Kanzleramt kam. Dabei ging es darum, die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung zu entlasten: zu zahlen durch die Unternehmen, flankiert durch den Staat, der auf Steuern und Abgaben auf die Geldspritze verzichten würde, und ein Stück weit ausgeglichen durch gewerkschaftliche Lohnzurückhaltung in Tarifverhandlungen.
Scholz wies entsprechende Berichte nun aber als "eine freie Erfindung" zurück. Im ARD-Sommerinterview sagte er am Sonntag: "Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, wie wir Aktivitäten von Gewerkschaften unterstützen können, gerade wenn die Preise im nächsten Jahr steigen. Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben sollen."
Scholz sind Hände gebunden
Bei dem Pressestatement nach dem Treffen am Montag äußerte sich Scholz schließlich gar nicht mehr dazu. Stattdessen kündigte er an, in den kommenden Wochen "Instrumente zu entwickeln und Wege zu finden, wie wir auf diese historischen Herausforderungen reagieren werden". Daher seien regelmäßige Treffen geplant. Wie diese Instrumente aussehen? Fraglich.
Ergebnisse der Aktion sollen im Herbst stehen. Allerdings ist offen, was sie überhaupt leisten kann. Immerhin steckt Scholz in einer schwierigen Situation. Er muss nun betonen, zu handeln, etwas gegen die steigenden Preise zu tun.
Doch ab einem bestimmten Punkt sind ihm durch die gesetzlich festgelegte Tarifautonomie schlicht die Hände gebunden. Das Verhindern einer Lohn-Preis-Spirale – die aktuell weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften sehen – muss er jenen Tarifpartnern überlassen.
Auch von anderen Seiten sind die Möglichkeiten von Scholz limitiert: Die Europäische Zentralbank entscheidet unabhängig über ihre Geldpolitik. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat derweil ein wachsames Auge auf die Staatsfinanzen und erteilte einem weiteren Entlastungspaket jüngst eine Absage.
"Wir stehen zusammen"
Was Scholz nur tun kann: Den Tarifparteien gut zureden. Und die Bürger auf harte Zeiten einschwören. Wenn Putin den Gashahn nach dem 21. Juli nicht mehr aufdreht, droht eine handfeste Wirtschaftskrise, mit zweistelligen Inflationsraten und einer drastisch steigenden Arbeitslosigkeit.
"Wir werden als Land durch diese Krise nur gut durchkommen, wenn wir uns unterhaken, wenn wir gemeinsam uns auf Lösungen einigen", sagte Scholz daher. Die Gesellschaft sei viel stärker, als manchmal unterstellt werde. "Wichtig ist mir die Botschaft: Wir stehen zusammen", so der Kanzler.
Selbst wenn es nicht zu einer Gaskrise kommen sollte, bleiben die Zeiten ungemütlich. Auch Arbeitgeberpräsident Dulger weiß das, sagte: "In den Unternehmen wissen wir aktuell nicht, welches Feuer wir zuerst austreten sollen."
Und so bleibt am Ende für Scholz nur die Gewissheit: Es bleibt ungewiss. So bitter das sein mag für einen, der stets die Kontrolle behalten will.
- Eigene Recherche
- Pressekonferenz von Scholz, Fahimi und Dulger
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa