Hunderte Millionen Dollar Machtübernahme in Afghanistan: Woher die Taliban ihr Geld haben
Wie konnte es dazu kommen? Das fragen sich viele bei den schrecklichen Bildern vom Einmarsch der Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Zumindest was die finanzielle Ausstattung der Taliban angeht, gibt es darauf eine Antwort: Drogen.
Der militärische Erfolg der Taliban in Afghanistan wäre ohne eine wichtige Einnahmequelle wohl nicht möglich gewesen: den Drogenhandel. Der Verkauf von Opium und Heroin spült Millionen Dollar in die Kassen der Islamisten, die nach dem Abzug der westlichen Truppen überraschend schnell die Macht im Land wieder übernommen haben.
Drogen seien "der größte Wirtschaftszweig des Landes außer dem Krieg", sagt Barnett Rubin, ein ehemaliger Berater des US-Außenministeriums für Afghanistan. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Taliban zwischen 2018 und 2019 mehr als 400 Millionen US-Dollar mit dem Drogenhandel verdient haben. In einem Bericht des US-Sondergeneralinspektors für Afghanistan (Sigar) vom vergangenen Mai wird ein US-Beamter zitiert, dem zufolge die Taliban bis zu 60 Prozent ihrer Jahreseinnahmen aus Anbau und Handel mit Drogen beziehen.
Kampf gegen Drogenhandel hat keinen Erfolg
Folglich haben die Vereinigten Staaten auch versucht, diese Einnahmequelle trockenzulegen. Mehr als acht Milliarden Dollar haben sie von 2002 bis 2017 einem Sigar-Bericht zufolge ausgegeben, um den Taliban ihre Profite aus dem Opium- und Heroinhandel zu entziehen. Luftangriffe und Razzien auf mutmaßliche Labore gehörten dazu. Diese Strategie ist gescheitert. Afghanistan dürfte unter den Taliban der weltweit größte illegale Opiatlieferant bleiben, sagen aktuelle und ehemalige US-Beamte und -Experten.
Der Kampf gegen den Drogenhandel "hatte nicht wirklich viel Erfolg", gibt der pensionierte US-Armeegeneral Joseph Votel zu, der von 2016 bis 2019 das US-Zentralkommando innehatte. Im Gegenteil: Stattdessen schürte er die Wut über die vom Westen gestützte Regierung in Kabul und brachte den Taliban bei Bauern und Arbeitern Sympathien ein. Viele von ihnen können ihre Familien nur dank der Opiumproduktion ernähren.
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Die Taliban wiederum haben ihre Lektion gelernt, sagt Vanda Felbab-Brown, Wissenschaftlerin vom US-Institut Brookings. Sie hatten den Mohnanbau für die Opiumproduktion im Jahr 2000 verboten. Damals waren sie schon einmal an der Macht und suchten mit diesem Schritt nach internationaler Anerkennung.
Allerdings ging das Verbot nach hinten los, denn es kostete sie viel Sympathie bei den heimischen Bauern. "Das löste einen riesigen politischen Sturm gegen die Taliban aus und war ein Grund dafür, warum es nach der US-Invasion dramatisch viele Überläufer gab", sagte Felbab-Brown.
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Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass die Taliban den Mohnanbau noch einmal verbieten, sagen Experten. "Eine zukünftige Regierung muss vorsichtig vorgehen, um zu vermeiden, ihre ländliche Anhängerschaft zu entfremden und Widerstand und gewalttätige Rebellion zu provozieren", sagt David Mansfield, ein führender Forscher zum Drogenhandel in Afghanistan.
Mohnanbau für Opiumproduktion steigt
Selbst als die Weizenpreise in die Höhe schossen, haben afghanische Bauern lieber Mohn angebaut und Opiumgummi gewonnen, das zu Morphin und Heroin verarbeitet wird. In drei der vergangenen vier Jahre wurden dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zufolge die bislang höchsten Opiumproduktionen Afghanistans verzeichnet. Auch als die Corona-Pandemie wütete, stieg der Mohnanbau im vergangenen Jahr um 37 Prozent, heißt es.
Das geschätzte Rekordhoch der Opiumproduktion wurde 2017 mit 9.900 Tonnen erzielt. Das spülte den Landwirten rund 1,4 Milliarden Dollar Umsatz in die Kassen, berichtet das UNODC. Das entspreche etwa sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Landes. Werden noch der Export und importierte Chemikalien hinzugerechnet, dürfte die die gesamte illegale Opiatwirtschaft in diesem Jahr bis zu 6,6 Milliarden Dollar ausmachen. Die Taliban und Beamte seien seit Langem in den Drogenhandel involviert, sagen Experten.
Experte: Kontrollpunkte an Straßen sind Einnahmequelle
Einige Afghanistan-Kenner halten solche Einschätzungen allerdings für übertrieben. Drogenexperte Mansfield etwa schätzt, dass die Taliban mit illegalen Opiaten höchstens 40 Millionen Dollar pro Jahr verdienen könnten - und zwar hauptsächlich durch Abgaben auf die Opiumproduktion, Heroinlabore und Drogenlieferungen. Die Extremisten würden jedoch mehr Geld verdienen, indem sie an Kontrollpunkten am Straßenrand Gebühren für legale Ein- und Ausfuhren erheben.
Die Vereinten Nationen und Washington allerdings gehen davon aus, dass die Taliban an allen Facetten des Drogenhandels beteiligt sind – vom Mohnanbau, der Opiumgewinnung und dem Handel über die Erhebung von "Steuern" von Anbauern und Drogenlaboren bis hin zur Erhebung von Schmugglergebühren für Lieferungen nach Afrika, Europa, Kanada, Russland, in den Nahen Osten und andere Teile Asiens.
Verschärfung der Lage droht
Nun droht eine neue wirtschaftliche und humanitäre Krise wegen der Zerstörungen durch den Krieg, der Millionen an Binnenflüchtlingen, Kürzungen der Entwicklungshilfe und dem Verlust lokaler Ausgaben durch abgezogene ausländische Truppen. Dies dürfte viele mittellose Afghanen in den Drogenhandel treiben, ohne den sie nicht überleben können. Diese Abhängigkeit droht wiederum die Instabilität in dem Land zu verschärfen, da die Taliban, andere bewaffnete Gruppen, Warlords und korrupte Beamte um Drogenprofite und Macht buhlen.
Einige UN- und US-Vertreter befürchten, dass das Abgleiten Afghanistans ins Chaos Bedingungen für eine noch höhere illegale Opiatproduktion schafft. "Mehr Produktion bringt Drogen mit einem günstigeren und attraktiveren Preis und damit einer breiteren Zugänglichkeit", befürchtet Cesar Gudes, der das Kabuler UNODC-Büro leitet.
Schon jetzt, so schätzt er, dürften mehr als 80 Prozent der weltweiten Opium- und Heroinlieferungen aus dem Land am Hindukusch stammen. "Wir haben an der Seitenlinie gestanden und leider zugelassen, dass die Taliban die wahrscheinlich größte drogenfinanzierte Terrororganisation der Welt werden", sagt ein US-Beamter.
- Nachrichtenagentur Reuters