Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Lahme Wirtschaft, hohe Preise Die Spekulationsblase muss endlich platzen
Die Rezession nimmt Fahrt auf, Stornierungen auf dem Bau, bei Reisen und Versicherungen häufen sich. Die Preise sinken allerdings – noch – nicht.
Wer auf Schnäppchen hofft, muss wahrscheinlich noch eine Weile warten. Die Preise für Reisen, Autos und Möbel werden erst sinken, wenn den Verbrauchern die Lust am Konsum endgültig vergangen ist. Das kann noch dauern – auch wenn die Rezession jetzt gerade Fahrt aufnimmt.
Viele, die sich vor der nächsten Strom- und Gasrechnung fürchten, prüfen in diesen Wochen ihre Bestellungen und Aufträge. Wer seinen Arbeitsplatz in Gefahr sieht oder mit seinem Unternehmen in Schwierigkeiten geraten ist, bestellt die geplante Fernreise lieber ab, verschiebt den Umbau des Eigenheims und fährt den alten Wagen noch ein paar Monate länger.
Wer einen Bau finanzieren soll, erschreckt sich vor den im Vergleich zum Vorjahr höheren Zinsen, selbst wenn die Belastung real immer noch negativ ist. In der Krise sichert man Liquidität, zu Hause wie im Unternehmen. Das ist vernünftig.
Bestellungen von Kunden mussten storniert werden
Vor ein paar Wochen noch konnten sich Kunden glücklich preisen, die überhaupt einen Bauunternehmer für den Anbau, die Sanierung oder den Neubau ihres Hauses gefunden hatten. Die Baufirmen saßen auf dicken Auftragspolstern. Die müssten sie noch abarbeiten, bevor sie neue Orders akzeptieren könnten.
In der Auto- und der Chemieindustrie war es nicht anders: Im Januar stornierten Autohersteller die Bestellungen Tausender Kunden, weil sie nicht pünktlich und nicht zu den vereinbarten Preisen liefern konnten. Mittelständische Unternehmer beschwerten sich, nur unzuverlässig und zu höheren Preisen mit Vorprodukten beliefert zu werden.
Inzwischen aber leidet schon jede zehnte Baufirma darunter, dass bereits verabredete Projekte storniert werden. Die Autoindustrie korrigiert ihre Geschäftserwartungen für Europa drastisch nach unten, Reiseunternehmen fürchten nach den schwierigen Corona-Jahren und einem einzigen gelungenen Sommer, schon wieder besonders heftig in die Rezession zu geraten.
60 Prozent der Haushalte können nicht mehr sparen
Gerade erst freuten sich auch die Lebensversicherer, dass mit steigenden Zinsen auch die Kunden zurückkamen, da droht das Geschäft schon wieder einzubrechen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht warnt die Lebensversicherer vor Zahlungsausfällen. Versicherte können sich die Beiträge nicht mehr leisten, stellen die Policen beitragsfrei oder verkaufen sie, und die schöne Aussicht auf Erholung ist wieder dahin.
60 Prozent der Haushalte könnten nicht mehr sparen, sagt der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, in dem die deutschen Sparkassen organisiert sind. Noch ist die große Stornowelle zwar nicht mit Macht im Markt angekommen, doch die allenthalben reduzierten Unternehmensprognosen zeigen schon, womit die Firmen rechnen.
Trotzdem wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis die Preise fallen, die Inflation nachlässt. Noch sind die Auftragspolster dick genug, von Rabatten redet noch niemand. Das Szenario für die kommenden Monate heißt Stagflation – die Wirtschaft stagniert, die Preise steigen trotzdem. Erst wenn Angebot und Nachfrage wieder eine Balance finden, wird der Preisdruck abnehmen.
Die Stornowelle ist nur der Anfang
Dafür gibt es zwei mögliche Wege. Der erfreulichere wäre eine Ausweitung des Angebots: Wenn beispielsweise die Lieferketten wieder in Gang kommen, wäre eine Ausweitung des Angebots vergleichsweise schnell möglich.
Wenn die Spekulationsblase für Energie platzt, ebenfalls. Und wenn der Krieg in der Ukraine endet, könnte sich das Wirtschaftsleben ebenfalls bald normalisieren, selbst wenn die Sanktionen gegen Russland in Kraft blieben.
Leider ist dieses Szenario nicht besonders wahrscheinlich. Vermutlich wird die Anpassung tatsächlich über die Nachfrageseite stattfinden. Die Stornowelle ist dafür nur der Anfang. Erst wenn die Auftragspolster abgeschmolzen sind, die Nachfrage nach Energie und Gas noch weiter zurückgeht, kann der Preisauftrieb zurückgehen.
Dann sind auch die Erholung der Konjunktur und der europäischen Wirtschaft in Sicht – und irgendwann gibt es auch wieder Rabatte.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche.