Bundesarbeitsgericht entscheidet Sonderzahlungen können beim Mindestlohn angerechnet werden
Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld können in bestimmten Fällen auf den Stundenlohn angerechnet werden, damit die Mindestlohn-Grenze von 8,50 Euro erreicht wird. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in seinem ersten Mindestlohn-Urteil entschieden (Az.: 5 AZR 135/16). Zuschläge für Nachtarbeit dürften indes wegen ihrer Zweckbestimmung nicht verrechnet werden.
In dem verhandelten Fall arbeitete die Klägerin für eine Tochterfirma des Städtischen Klinikums in Brandenburg bis Anfang vergangenen Jahres für 8,03 die Stunde. Um dann zumindest rechnerisch auf den seitdem gesetzlich geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro zu kommen, legte der Arbeitgeber Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammen und zahlte jeden Monat ein Zwölftel davon aus.
Damit stieg der Stundenlohn der Frau rechnerisch auf 8,69 Euro die Stunde. Das Vorgehen war durch eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat gedeckt - und das Gericht nickte dies ebenso ab wie die Vorinstanzen.
Die Jahressonderzahlungen werden monatlich "vorbehaltlos und unwiderruflich" zu je einem Zwölftel ausbezahlt.
Kein Anspruch auf mehr Geld
Damit scheiterte die Klage der Frau endgültig: Sie habe auf Grundlage des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf ein erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge, heißt es im Urteil.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind grundsätzlich freiwillige Zusatzleistungen des Arbeitgebers an seine Beschäftigten, denn einen gesetzlichen Anspruch darauf gibt es nicht. Nur vertragliche Vereinbarungen etwa in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung können zu einem Anspruch führen.
Absolute Lohnuntergrenze
Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler sieht im Anrechnen bisheriger Zahlungen den Hauptkonflikt bei der Umsetzung des Mindestlohngesetzes. Das Spektrum reiche vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld über Prämien aller Art bis zum Trinkgeld in der Gastronomie, sagt der Rechtsprofessor der Universität Bremen. "Der Gesetzgeber hat sich über die Anrechnung solcher Zahlungen relativ wenige Gedanken gemacht."
"Über die Entscheidung können sich in erste Linie die Arbeitgeber freuen", findet Däubler. Andere sehen in dem Urteil, das die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt, den Willen des Gesetzgebers erfüllt, eine Lohnuntergrenze zu definieren - aber auch nicht mehr. Helga Nielebock, Juristin beim DGB-Bundesvorstand, bezeichnete das Urteil als "abträglich für Menschen, die wenig Geld haben". Künftig müsste der Zweck von Sonderzahlungen genau geprüft werden, sagte die Gewerkschafterin. "Dadurch kann man viel retten."
Ministerin fordert Korrekturen am Gesetz
Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner (Linke) sprach sich nach dem Urteil für Korrekturen im Gesetz aus. Sie forderte die Bundesregierung auf klarzustellen, dass Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht auf den Mindeststundenlohn von 8,50 Euro angerechnet werden dürfen.
"Das Urteil macht deutlich, dass die Bundesregierung beim Mindestlohngesetz nicht sorgfältig genug gearbeitet hat", sagte Werner. Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sollten den Arbeitnehmern Mehrausgaben ermöglichen, "damit sie in den Urlaub fahren und ihren Kindern zu Weihnachten Geschenke kaufen können".