Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bundeshaushalt Die fetten Jahre sind vorbei
Der Investitionsstau wird immer größer, doch die Ampelkoalition möchte an der Schuldenbremse festhalten. Berechnungen zeigen: Schon eine Anpassung würde entscheidenden Spielraum schaffen.
Verkehrte Welt: Als in den Jahren der Großen Koalition die Steuerschätzungen immer üppiger ausfielen, musste man fast im Monatstakt fürchten, die Regierungsparteien würde neue Wohltaten erdenken, um das Geld auszugeben.
Heute, inmitten einer Wirtschaftskrise und des größten Strukturwandels der jüngeren deutschen Geschichte, muss man die Ampelkoalitionäre regelrecht zum Jagen treiben: Denn um Deutschland wieder auf die Spur zu bringen, bleibt der Ampel nichts anderes übrig, als Geld in die Hand zu nehmen.
Investitionen statt Konsum
Freilich bleibt – damals wie heute – die Frage richtig, wohin das Geld fließt. Auch deshalb ist es grundsätzlich gut, dass der Finanzminister weiteren sozialpolitischen Begehrlichkeiten einen Riegel vorschiebt. Weitere konsumtive Ausgaben schaffen keinen produktiven Mehrwert. Recht hat er auch, wenn er die Politik nach den teuren Pandemiejahren zwingt, Haushaltsposten zu hinterfragen.
Aber er liegt falsch, wenn er sich aus Haushaltsdisziplin gegen notwendige Maßnahmen stellt, die unsere wirtschaftliche Kraft wieder entfesseln. Wir brauchen Investitionen, in Straßen und Schienen, den klimagerechten Umbau des Landes, die Bildungsinfrastruktur; und wir müssen es den Unternehmen wieder leichter machen – die letzte große Steuerreform ist über zehn Jahre her.
Die Schuldenbremse gibt Lindner Rückhalt: Die fetten Jahre sind vorbei, allein bis zum Ende der Legislaturperiode 2025 droht nach IW-Berechnungen wegen globaler Minderausgaben eine Finanzlücke von 25,8 Milliarden Euro.
Die Ampel muss also noch deutlich mehr sparen als bisher eingeplant. Umso dringender ist eine Reform der Schuldenbremse geboten – an der die Ampelkoalition wie die Union festhalten will: Denkbar wäre etwa eine Investitionsklausel. Damit könnte die Politik zusätzliche Mittel für Vorhaben schaffen, die die Substanz des Wirtschaftsstandorts konkret verbessern – dazu sollten ausdrücklich auch Steuererleichterungen zugunsten von Investitionen zählen.
Michael Hüther
Michael Hüther, Jahrgang 1962, studierte Wirtschaftswissenschaften und mittlere und neuere Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der University of East Anglia in Norwich. Es folgten eine Promotion in Wirtschaftswissenschaften und verschiedene Positionen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gast- und Honorarprofessuren führten ihn an die EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel und nach Stanford. Seit 2004 ist Hüther Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Anpassung der Schuldenbremse würde 47 Milliarden Euro freimachen
IW-Berechnungen zeigen zudem: Auch bei einer Anhebung der Schuldenbremse auf 1,5 Prozent würde die deutsche Schuldenquote Jahr für Jahr deutlich sinken. Gemessen an der jetzigen Finanzplanung würde das allein im kommenden Jahr eine zusätzliche Verschuldung von 47 Milliarden Euro im Haushalt erlauben. Die Schuldentricks über die Sondervermögen wären dann unnötig.
Damit ließe sich schon vieles bewegen. Zur Größenordnung: Die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 2023 würde 13 Milliarden Euro kosten, beim Wachstumschancengesetz sind sechs Milliarden Euro veranschlagt.
Das reicht nicht: Die Rezession in der Industrie geht bereits in ihr sechstes Jahr – wer die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung jetzt weiter aufschieben will, bestellt beim Wasserschaden den Handwerker auch erst für den nächsten Monat ein. Für die Modernisierung der Infrastruktur und den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir Investitionen – und zwar jetzt. Die Schuldenbremse darf weder eine Wachstumsbremse noch ein Wegbereiter der Deindustrialisierung sein.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.