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Durch eine Samenspende gezeugt: Petra Thorn im Interview


Durch eine Samenspende gezeugt
"Die Kinder empfinden eine Leerstelle in ihrem Leben"

t-online, Daniel Reviol

Aktualisiert am 10.10.2016Lesedauer: 7 Min.
Viele Kinder und Jugendliche, die ihren leiblichen Vater nicht kennen, empfinden eine Leerstelle in ihrem Leben.Vergrößern des Bildes
Viele Kinder und Jugendliche, die ihren leiblichen Vater nicht kennen, empfinden eine Leerstelle in ihrem Leben. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

2013 sorgte ein Gerichtsurteil für Aufsehen: Die Tochter eines Samenspenders hatte nach langem Kampf das Recht auf die Herausgabe des Namens ihres leiblichen Vaters erwirkt. Aber warum wollte Sarah P. unbedingt wissen, wer den Samen für ihre Zeugung spendete? Was treibt die "Kinder der künstlichen Befruchtung" bei der Suche nach ihrer Herkunft an?

Dr. Petra Thorn ist Sozial- und Familientherapeutin. In ihrer Praxis in Mörfelden-Walldorf berät sie vor allem Paare und Familien, die über eine Kinderwunschbehandlung nachdenken oder deren Kinder mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden. Im Interview mit T-Online.de spricht sie darüber, was Kinder, die dank einer Samenspende zur Welt kamen, aber auch deren Eltern und die Samenspender bewegt und wie die Beteiligten mit der Thematik umgehen sollten. Schließlich sind angesichts von etwa 10.000 Kindern, die jährlich per künstlicher Befruchtung in Deutschland gezeugt werden, immer mehr Familien betroffen.

T-Online.de: Warum will wie im Fall Sarah P. eine junge Frau ihren biologischen Vater kennenlernen, obwohl er als Samenspender das Interesse an der Vaterschaft nicht haben wird?

Petra Thorn: Der zweite Teil Ihres Satzes ist eine Hypothese und dieser würde ich sofort widersprechen. Wir haben vor etlichen Jahren eine Studie gemacht über Männer, die in Deutschland Samen gespendet haben, und viele von ihnen waren neugierig. Sie wollten wissen, ob ihr Samen zu einer Schwangerschaft und die Schwangerschaft zu einer Geburt geführt hat, ob es den Kindern gut geht - und die Männer waren auch offen für einen Kontakt.

Dieses Interesse ist aber wahrscheinlich direkt nach der Samenspende noch nicht da, sondern entwickelt sich erst nach einigen Jahren?

Unsere Vermutung ist, dass das Interesse eher bei älteren Männern besteht. In der Regel sind Samenspender aber jüngere Männer. Es sind viele Studenten dabei, die möglicherweise noch nicht so weit in die Zukunft blicken. Außer die Ärzte sprechen es im Beratungsgespräch an, und das tun sie zunehmend. Denn seit einigen Jahren müssen sie die Spender darüber aufklären, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit 18, 20, 25 Jahre später junge Menschen auf sie zukommen werden.

Aber die Ärzte sind nicht zu dieser Beratung verpflichtet?

Spätestens seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1989 haben die Kinder ein Auskunftsrecht, wenn die entsprechenden Daten vorhanden sind. Bis 2006 gingen Ärzte allerdings davon aus, dass sie die Unterlagen nur zehn Jahre aufbewahren müssen so wie alle anderen medizinischen Dokumente. Seit 2007 gilt bei uns ein geändertes Transplantationsgesetz und seitdem müssen Ärzte die Unterlagen mindestens 30 Jahre aufbewahren. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Erwachsene tatsächlich auf diese Information zurückgreifen, deutlich größer.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Was treibt denn die Kinder an, wenn Sie wissen wollen, wer der biologische Vater ist?

Neugier. Viele beschreiben, dass sie eine Leerstelle in ihrem Leben empfinden. Sie kennen ihre Herkunft mütterlicherseits, aber wissen nichts über die biologische Herkunft väterlicherseits. Sie interessieren sich für den Menschen, von dem sie abstammen und wollen wissen, wer das ist, wollen sich vergleichen können. Manche sind auch interessiert an der medizinischen Hintergrundgeschichte, manche haben Interesse an möglichen Halbgeschwistern. Im Bereich der Adoption ist das ähnlich.

Leiden Menschen, die ihre Herkunft nicht in Erfahrung bringen können, darunter?

Ich gehe in meiner Arbeit davon aus, dass es drei Gruppen gibt: Es gibt Menschen, die interessieren sich wenig für ihre biologische Herkunft. Es gibt andere, die mit Basisinformationen zufrieden sind. Das sind Daten über den Samenspender, die auch die Eltern vor einer Behandlung mit Spendersamen bekommen: Haarfarbe, Augenfarbe, Statur, Körpergröße, beruflicher Hintergrund, das ein oder andere Hobby. Und wir wissen aus Studien, dass es auch ganz viele gibt, die sehr neugierig sind und Kontakt herstellen wollen.

Unabhängig davon, zu welcher Gruppe die Kinder zählen und was sie später aus dieser Information machen: Sie würden Eltern immer dazu raten, die Kinder über die Art ihrer Zeugung aufzuklären?

Ja. Aus der Forschung und meiner klinischen Erfahrung weiß ich, dass die Aufklärung für die Kinder und auch für die Eltern der unproblematischste Weg ist.

Kann man davon ausgehen, dass von den Eltern nicht aufgeklärte Kinder es in den meisten Fällen herausfinden?

Definitiv lässt sich das nicht sagen, da sich Geheimnisse schlecht untersuchen lassen. Ich könnte ihnen jetzt sechs, sieben Stunden verschiedene Geschichten erzählen, wie es Kinder irgendwann herausgefunden haben. Und wenn Kinder nicht durch ihre Eltern aufgeklärt werden, sondern von Außenstehenden, dann ist es für sie oft eine zusätzliche Traumatisierung. Das sollten Eltern unbedingt vermeiden, und der Königsweg ist, die Kinder frühzeitig aufzuklären.

Wie ist es denn für die Kinder in dem Moment, in dem sie es von ihren Eltern erfahren? Ein Schock?

Nein. Wir empfehlen, Kinder im Kindergartenalter aufzuklären. Kinder können die Tragweite der Information in diesem Alter zwar noch nicht nachvollziehen, was zu diesem Zeitpunkt aber auch noch nicht relevant ist. Die Aufklärung in dem Alter zielt darauf ab, dass Kinder mit einem Wissen über ihre Familiengeschichte aufwachsen und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt erfahren sollten, dass die Familie ganz anders entstanden ist.

Das heißt, idealerweise werden den Kindern altersgemäß immer tiefer gehende Informationen über ihre Herkunft gegeben?

Genau, es ist ein Prozess. So wie sich Kinder auch mit anderen Themen immer wieder altersgemäß anders auseinandersetzen und immer differenzierter nachfragen, ist es auch bei diesem Thema so.

Ich vermute allerdings, dass es auch Familien gibt, die das nicht so vorbildlich handhaben…

…ich will hier nicht von "vorbildlich" sprechen: Es gab jahrelang die Haltung der Ärzte, dass Kinder über die künstliche Befruchtung nicht aufgeklärt werden sollten. Die Ärzte waren der Meinung, das könnte die Kindesentwicklung beeinträchtigen, es könnte die Bindung zwischen Vater und Kind negativ beeinflussen. Sie hatten Angst, dass Kinder und Familie gehänselt werden. Bis wir Sozialwissenschaftler diesen Bereich für uns erschlossen und zum Gegenteil rieten. Man sieht: "Vorbildlich" vor zehn Jahren wäre etwas anderes gewesen als heute.

Angenommen ein Kind erfährt nicht im Kindergartenalter, wie es gezeugt wurde, sondern erst mit elf oder zwölf Jahren - verändert das die Familienverhältnisse?

Das kann man pauschal nicht sagen. Nach dem Urteil des Oberlandesgericht zur Klage von Sarah P. im letzten Jahr hatte ich viele Anfragen von Eltern mit Kindern in der Pubertät oder im Erwachsenenalter. Sie wollten wissen, was es bedeutet, wenn sie sie jetzt noch aufklären, ihnen sagen, dass sie einen anderen Erzeuger haben - schließlich hatten diese Kinder bisher ein bestimmtes Bild ihrer Herkunft und Familie. Die Eltern wollten wissen, ob es die Kinder verwirren könnte, es zu einem Identitätsbruch führen könnte. In den meisten Fällen war diese Aufklärung jedoch unproblematisch: Die Kinder haben sich damit auseinandergesetzt, aber es war nicht so, dass es zu einem Bruch in den Familien kam, auch nicht zu einem Identitätsbruch.

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Aber ich weiß auch von Fällen, in denen es Menschen erst im Erwachsenenalter oder unter ungünstigen Umständen erfuhren. Wenn Eltern sich vorbereiten und ihre Kinder im späteren Alter aufklären, ist das was ganz anderes, als wenn die Kinder durch Außenstehende oder durch einen Halbsatz davon erfahren oder Unterlagen finden und hellhörig werden. Das macht einen großen Unterschied.

Ändert sich die Beziehung zum sozialen Vater, wenn das Kind von der Samenspende erfährt?

Nein, der Vater beziehungsweise die Eltern sind für das Kind die Personen, die für es da sind, die es lieben, die es versorgen, die es verwöhnen, die Grenzen setzen und die auch mal bestrafen. Sprich: die Personen, die mit dem Kind eine Bindung eingehen. Der Samenspender ist für gewöhnlich im Alltag des Kindes nicht präsent.

Fast alle Kinder, die später von der Samenspende erfahren, sagen: "Meine Eltern bleiben bestehen. Das sind meine Eltern und der Spender ist eine wichtige Person, der ich viel zu verdanken habe. Ohne ihn gäbe es mich nicht, aber das ist keine Vaterfigur für mich."

Und wie ist es aus Sicht des Vaters? Muss ein Mann, der nicht der leibliche Vater seines Kindes ist, so etwas wie Vaterliebe erst einmal lernen?

Es gibt Väter, die Vaterliebe erst lernen müssen. Es gibt aber auch Mütter, die Mutterliebe erst lernen müssen, auch wenn sie das Kind geboren haben. Bekanntlich gibt es die Wochenbettdepression und andere Störungen, die diesen Bindungsprozess beeinflussen können - auch bei Vätern.

Viele Männer, die durch die Samenspende Vater werden, äußern ihre Zweifel darüber, ob es wirklich so ist, dass sie das Kind nach der Geburt in den Arm gelegt bekommen und es lieben werden. Es besteht eine große Skepsis, wenn man weiß: Das Kind stammt nicht von einem selbst ab. Aber die Männer, die ich dann nach der Geburt sehe, sagen: "Natürlich geht das!" Aber die Skepsis ist da - und auch die Sorge, dass das Kind in der Pubertät später sagen wird „du bist nicht mein richtiger Vater, du hast mir nichts zu sagen!“

Was aber in den wenigstens Fällen so sein wird?

Es ist zumindest gut, darauf vorbereitet zu sein. Denn die Pubertät ist in vielen Familien eine anstrengende Phase ist, weil die Kinder ihre eigene Identität entwickeln und dieser Prozess läuft manchmal über Ablehnung der Eltern. Das ist nicht nur in Familien mit Samenspenden so, sondern in allen Familien.

Wenn es trotzdem zu Krisen kommt - welche Möglichkeiten haben Eltern, dem Kind zu helfen?

Sie haben immer die Möglichkeit einer Beratung. Wir empfehlen allen Paaren, die vor einer Behandlung stehen, die Beratung, um sich mit den Folgen und Fragen auseinanderzusetzen. Dann können sie entscheiden, ob sie diesen Weg gehen wollen.

Ich habe sehr viele Beratungssituationen, wenn die Kinder zwei, drei Jahre alt sind. Die Eltern wollen dann über das Thema Aufklärung sprechen. Selten habe ich Beratungen, wenn die Kinder noch älter sind. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Samenspende in den nächsten Jahren weiter enttabuisiert wird. Dann werden vielleicht auch Eltern eine Beratung in Anspruch nehmen, deren Kinder schon in der Pubertät oder deutlich älter sind.

Kennen Sie Fälle, in denen die Familie auseinandergebrochen ist?

Diese Fälle gibt es auch, aber das liegt dann nicht an der Samenspende. Diese Thematik kommt vielleicht in einigen Fällen als i-Tüpfelchen dazu, aber die Ursache ist es nie. Ich kenne auch kaum Paare, die sich wegen Unfruchtbarkeit trennen.

Das Interview führte Daniel Reviol.

Weitere Informationen:

Ungewollt kinderlose Paare finden Informationen und Beratung im Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (BKiD) (www.bkid.de) oder auch in der Praxis von Dr. Petra Thorn (www.pthorn.de).

Die Familientherapeutin hat mehrere Bücher zur Aufklärung von Kindern geschrieben, die durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden: "Die Geschichte unserer Familie. Ein Buch für Familien, die sich mit Hilfe der Spendersamenbehandlung gebildet haben" (ISBN: 978-3-9811410-0-9), "Die Geschichte unserer Familie. Ein Buch für lesbische Familien mit Wunschkindern durch Samenspende" (ISBN: 978-3-9811410-1-6) und "Woher manche Babys kommen. Ein Erklärungs- und Aufklärungsbuch für Kindern, die mit medizinischer Hilfe gezeugt wurden" (ISBN: 978-3-9811410-2-3), alle erschienen im Verlag FamART (www.famart.de).

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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