Seltener Gendefekt Dieses Mädchen kennt keinen Schmerz
Die siebenjährige Olivia spürt keine Schmerzen, empfindet keinen Hunger und braucht kaum Schlaf - klingt erstmal praktisch, von solchen Zwängen des Lebens frei zu sein. Aber die Folgen sind dramatisch. Ohne Schmerzempfinden fehlt auch das Gefahrenbewusstsein. Nur mit Glück überlebte Olivia einen Autounfall.
Die Siebenjährige aus Huddersfield in England ist kein "Supergirl" oder "Terminator-Girl" mit übermenschlichen Fähigkeiten. Sie hat einen extrem seltenen Gendefekt. Bei Olivia äußert sich der Gendefekt mit drei Symptomen, die in dieser Kombination bisher bei keinem anderen Menschen aufgetreten sein sollen. Über den Fall berichtete unter anderem die "Daily Mail".
Wer keine Schmerzen kennt, lebt gefährlich
Schmerzen sind ein überlebenswichtiges Warnsignal des Körpers. Schmerzen haben den Lerneffekt, dass wir versuchen, Situationen zu meiden, in denen wir uns schon einmal weh getan haben.
Mit Schmerzen sind auch Angst und Vorsicht gekoppelt. Wer keinen Schmerz kennt, lebt risikoreich. Das wurde Olivia bei ihrem Autounfall zum Verhängnis. "Sie hat kein Gespür für Gefahr", sagt ihre 32-jährige Mutter Niki Trepak.
Nach Medienberichten ist das Mädchen von einem Auto überfahren und einige Meter mitgeschleift worden. Dann habe sie sich vor den Augen der schockierten Mutter und Geschwister aufgerappelt als sei nichts passiert. Sie hatte unfassbares Glück.
Schlimmen Autounfall fast unbeschadet überstanden
Im Krankenhaus staunten die Ärzte nicht nur darüber, dass Olivia keine Schmerzen spürte, sondern auch darüber, dass sie den heftigen Unfall ohne gravierende Verletzungen überstanden hatte. Außer einem Reifenabdruck auf dem Oberkörper soll sie nur Schürfwunden erlitten haben. Weder bei einer Computertomografie noch auf Röntgenbildern hätten sich Knochenbrüche gezeigt. "Ärzte vermuteten, es war ihre Rettung, dass sie ihre Muskeln beim Aufprall nicht angespannt hat", sagte Olivias Mutter laut "Daily Mail".
Schon als Baby kannte Olivia keinen Schmerz
Olivia sei schon als Baby ungewöhnlich gewesen, berichtet die fünffache Mutter. Sie schrie nicht, aß schlecht und wollte ab dem neunten Monat keinen Mittagsschlaf mehr halten. Auffällig war auch, dass dem Mädchen erst mit vier Jahren Haare wuchsen.
Als Kleinkind riss sie sich bei einem Sturz die Lippe auf und gab trotz der blutenden Fleischwunde keinen Mucks von sich.
Später verstärken sich Olivias Eigenheiten - die auf Dauer ihre Gesundheit gefährden. Da sie kein Hungergefühl empfindet, will sie nur essen, was ihr schmeckt. "Aktuell Hühnchennudeln", erzählt ihre Mutter. Einmal blieb sie drei Tage und Nächte am Stück wach. Damit ihr Körper den wichtigen Schlaf bekommt, braucht sie Medikamente.
Obwohl Olivia so hart im Nehmen ist, schildert die Mutter sie als fröhliches, einfühlsames Kind mit einem Hang zu leichtsinnigen Aktionen. Aber sie könne auch aus heiterem Himmel ausrasten und um sich schlagen.
Olivias Genveränderung ist einzigartig
Inzwischen weiß Niki Trepak, dass eine Unregelmäßigkeit auf Chromosom Nummer 6 die Ursache für die besonderen Eigenschaften ihrer Tochter ist.
Aber das Wissen hilft beiden nicht weiter. Olivias Gendefekt, Chromosom-6p-Deletion, ist äußerst selten, es soll weltweit etwa 100 Betroffene geben. Und Olivia sei wahrscheinlich der einzige Mensch mit dieser speziellen Ausprägung, sagte die Expertin Beverly Searle laut "Daily Mail". Die Biologin ist Leiterin von "Unique", einer der Hilfsoganisation für Menschen mit Gendefekten.
Bei der Chromosom-6p-Deletion sind Schnipsel von Erbinformation verloren gegangen. Die Ausprägungen sind individuell so unterschiedlich, dass sie sich schwer verallgemeinern lassen. Auf den betreffenden Info-Seiten von "Unique" werden unter anderem körperliche oder geistige Entwicklungsverzögerung, fortschreitende Hör- und Sehstörungen und Herzschäden genannt. Manchmal fallen Neugeborene durch schwach ausgeprägte Muskelspannung oder ungewöhnliche Körperproportionen auf. Auch Ess- oder Schlafprobleme sind nicht selten.
Die Unfähigkeit, Schmerzen, Hitze oder Kälte zu spüren, wird auch anderen Gendefekten zugeschrieben. Dabei funktioniert beispielsweise die Reizweiterleitung in den Nervenzellen nicht. Weltweit sind einige Fälle von "schmerzblinden" Kindern bekannt.
Je seltener, desto schlechter erforscht
Gendefekte sind nicht heilbar, aber Informationen über die Auswirkungen erleichtern Betroffenen den Alltag. Allerdings gilt für alle seltenen Gendefekte und Krankheiten: Je seltener sie sind, desto weniger wird in Forschung und Therapie investiert. Oft bleibt Betroffenen nur der Erfahrungsaustausch in Selbsthilfegruppen.
In Deutschland unterstützt das Netzwerk "Achse" Menschen mit Seltenen Erkrankungen und kämpft für den Ausbau der Forschung.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.