"37 Grad": Leben mit behinderten Geschwistern Selins Bruder ist behindert: "Keiner will mehr zu mir kommen"
Wenn die neunjährige Selin mit ihrem Zwillingsbruder Yunus frühstückt, wirkt sie wie seine Mutter, nicht wie seine gleichaltrige Schwester. Yunus hat das Down-Syndrom. Dadurch musste Selin früh selbständig werden. Der Film "Wir gehören zusammen" aus der ZDF-Reihe "37 Grad" zeigt, was es für Kinder bedeutet, mit behinderten oder kranken Geschwistern aufzuwachsen.
Als Selin jünger war, konnte sie nicht verstehen, warum ihr Bruder nicht mit ihr spielt und "immer nur faul auf dem Bauch liegt." Jetzt ist sie nicht nur Spielkameradin, sondern passt auch auf Yunus auf, greift ein, wenn er seinen Becher fallen lässt.
Der Familienalltag dreht sich um den behinderten Bruder
"Ich weiß, dass sie mir helfen will und sich oft wie eine Erwachsene verhält", sagt Patrizia, die Mutter der Zwillinge. Dass die Sozialarbeiterin alleinerziehend ist, erhöht die Belastung der kleinen Familie.
Selin ist es gewöhnt, dass sich im Familienalltag alles um den behinderten Zwilling dreht. Aber so sehr sie an ihrem Bruder hängt - ihr Bedürfnis nach Zuwendung und Spielzeit kommt oft zu kurz, und manchmal vermisst sie einen Rückzugsraum. Am meisten fehlen Freunde.
Yunus verunsichert andere Kinder
In der Schule ist Selin eine Außenseiterin und kommt oft weinend nach Hause. Das liegt auch daran, dass Yunus so anders ist und sein Verhalten andere Kinder verunsichert. "Keiner will mehr zu mir kommen, weil alle Angst vor ihm haben," sagt Selin. Patrizia versucht, ihr einen Schulwechsel zu ermöglichen. Dort will Selin ihren Bruder so lange verschweigen, bis sie eine beste Freundin gefunden hat.
Austausch mit anderen Betroffenen hilft
Kontakt zu anderen Kindern mit behinderten Geschwistern kann eine große Hilfe sein. Selin besucht regelmäßig eine solche Gruppe und erlebt ungewohntes Verständnis von Gleichaltrigen. "Schön, wenn man merkt, dass es auch noch andere gibt. Da findet man auch viel mehr Freunde."
Urlaub bleibt ein Wunschtraum
Urlaub als Auszeit ist nur eingeschränkt möglich. Ferien im Süden, in einem Hotel am Strand bleiben für Selin ein Wunschtraum. Zu teuer und mit Yunus zu kompliziert. "Alles, was öffentlich ist, geht nicht, weil Yunus sich nicht benimmt und nicht lange sitzen bleibt", sagt Patrizia.
Pelle hat immer Vorrang
In der zweiten Familie, die TV-Autorin Caterina Woj begleitet hat, verteilen sich Sorgen und Verantwortung auf mehreren Schultern. Das entlastet auch die Geschwister und gewährt ihnen mehr Freiräume für individuelle Bedürfnisse.
Der Mittelpunkt der Familie ist der 13-Jährige Pelle, der wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt nicht laufen und nicht sprechen kann. Rasmus war bei Pelles Geburt zwei Jahre alt, Smilla ist ein Jahr jünger. Für beide ist klar: Pelle hat immer Vorrang.
"Ich weiß ja, dass er mich versteht"
Smilla kennt es nicht anders, sie hat lange das Kinderzimmer mit Pelle geteilt. Sie bindet den behinderten Bruder so eng wie möglich in ihren Alltag ein, schiebt ihn bäuchlings auf einem Rollwagen durch die Wohnung und lässt ihn mitmachen, so gut er kann. "Ich weiß ja, dass er mich versteht."
Abtauchen in eine andere Welt
Aber auch sie muss manchmal im wahrsten Sinne abtauchen, um für sich alleine zu sein. "Schwimmen ist wie eine andere Welt", sagt sie, und ergänzt: "Es ist wichtig, dass man etwas eigenes hat."
Pelles Geburt endete als Notfall
Der große Bruder Rasmus hat seine "andere Welt" in der Musik gefunden. Als Zweijähriger hat er erlebt, wie sein Vater Olaf nach der Geburt des kleinen Bruders weinend nach Hause kam. Es war eine dramatische Nacht, Pelle musste beatmet und als Notfall in eine Spezialklinik verlegt werden. Später habe sich Rasmus nie beklagt, dass Mutters Schoß immer mit Pelle besetzt war, erzählen die Eltern.
"Gemeinsam darüber lachen"
Nach dem ersten Schock geht die Familie sehr pragmatisch und gelassen mit allen Schwierigkeiten um. Pelle kommt immer mit - egal, wie aufwändig das ist, egal, ob Leute komisch gucken.
"Entweder man versteckt sich und schämt sich ein bisschen, oder man beschließt, gemeinsam darüber zu lachen", formuliert Mutter Kerrin die Philosophie der Familie. "In Zweifel würden wir uns auch grüne Seidenanzüge anziehen und sagen 'guckt alle her, wir sind gar nicht so viel anders, aber gut drauf!'"
"Alles bekommt eine relative Wichtigkeit"
Smilla und Rasmus wirken - ebenso wie Selin - viel reifer als Gleichaltrige. "Alles bekommt eine relative Wichtigkeit", sinniert der 16-Jährige. Durch den behinderten Bruder habe er erkannt, "dass man viele Probleme haben, aber trotzdem glücklich und fröhlich sein kann."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.