Tummelplatz für Aktivisten Warum die US-Regierung das Darknet finanziert
Stefan Mey hat monatelang auf den dunklen Seiten des Internets recherchiert. t-online.de erklärt er, warum die US-Regierung indirekt das Darknet finanziert. Den ersten Teil des Interviews lesen Sie hier.
Das Darknet ist überraschend klein, etwa 50.000 Adressen, davon nur 5000 mit Inhalten. Wie viele Nutzer sind hier unterwegs?
Man weiß, wie viele Leute den Tor-Browser nutzen, mit dem man ins Darknet kommt, aber auch einfach anonym im normalen Netz surfen kann. Pro Tag sind das ungefähr zwei Millionen Leute, zehn Prozent davon aus Deutschland. Man kann nur schätzen, wie viele tatsächlich damit ins Darknet gehen: es sind nicht mehr als 100.000 pro Tag. Facebook hat pro Tag ungefähr eine Milliarde tägliche Nutzer. Es ist klar: im Darknet kann sich nur ein winziger Teil der Cyberkriminalität abspielen.
Kommen wir zu den politischen Aspekten des Darknets. Was gibt es da?
Das Darknet ist vor allem ein digitaler Gegenentwurf. Mir macht der Zustand des aktuellen Internets mehr Sorge als das Darknet. Die Verhältnisse im Internet sind unfassbar konzentriert: Die halbe Infrastruktur des westlichen Internets gehört fünf Konzernen: Google, Amazon, Facebook, Microsoft und Apple. Alles, was wir mit unseren Smartphones tun – wenn wir irgendwo hingehen, jemanden anrufen, die ganzen Informationen darüber, wer wen kennt, was, wann, wo ist – sammelt sich auf den Datenbanken der großen Unternehmen. Die werten es einerseits selbst aus, um unser besonders gut Werbung vorsetzen zu können. Seit Snowden wissen wir aber auch, dass Geheimdienste mit riesigen Ressourcen versuchen, diese Daten zusammenzutragen und nutzbar zu machen. Im Darknet ist vieles an Überwachung und Ausforschen rein technisch nicht möglich. Es ist noch eine Art "Pionierladen", mitunter seltsam und völlig unterentwickelt – aber es ist ein Gegenentwurf. Auf der illegalen Seite ist es relativ professionell und gut entwickelt. Auf der legalen, politischen Seite ist die Zahl der Beispiele sehr überschaubar.
Was gibt es da zum Beispiel?
Die typische politische Nutzung ist, dass sich Webprojekte aus dem normalen Netz im Darknet eine Art alternative Zugangstür zu ihren Inhalten zugelegt haben. Facebook hat zum Beispiel einen Darknet-Auftritt, über den man das Netzwerk fast normal nutzen kann. Verschiedene Organisationen wie der Chaos Computer Club sind da, ebenso linke IT-Kollektive wie Riseup oder Indymedia. Interessant ist auch, dass einige Medien sich kleine Darknet-Präsenzen zugelegt haben, der britische Guardian beispielsweise, die New York Times und die Tageszeitung taz. Sie haben dort Postfächer für Whistleblower eingerichtet.
Was bringen solche Zugangstüren im Darknet?
Ich habe mit Betreibern dieser Projekte gesprochen und mein Eindruck war, dass sie vor allem einen pädagogischen Effekt sehen. Man sensibilisiert Leute dafür, in bestimmten Situationen den anonymen Tor-Browser zu benutzen. Da diese speziellen Postfächer im Darknet stehen, wird verhindert, dass sich die Whistleblower unabsichtlich "de-anonymisieren". Denn das Postfach lässt sich nur mit dem Tor-Browser aufrufen. Wenn es Cyberattacken gibt oder möglicherweise staatliche Zensur, lässt sich die normale Seite im Netz vielleicht nicht mehr aufrufen, die Darknet-Präsenz vielleicht aber doch. Bei Facebooks Auftritt im Darknet glaube ich, dass es sich um eine PR-Aktion handelt. Denn das Netzwerk gilt nicht unbedingt als Verfechter der Privatsphäre im Internet ...
Kann man über das Darknet und die Tor-Software Informationen übermitteln, ohne abgehört oder mitgelesen zu werden?
Tor ist nicht zu hundert Prozent sicher. Geheimdienste versuchen, das Netzwerk zu unterwandern und zu hacken. Die Frage ist, wie gut ihnen das gelingt. Allerdings haben mir alle, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, gesagt, dass Tor zur Zeit sicherer ist als alle vergleichbaren Anonymisierungs-Tools. Es gibt auch ein Darknet-Programm zum Tausch von Dateien, es heißt OnionShare. Damit erfährt niemand, dass ich mit jemandem irgendetwas tausche, und wer die andere Person ist. Der Tor-Browser ist immer noch sicherer als alle anderen Browser, mit denen man bei seiner Internetnutzung komplett nackt ist.
Tor ist also auch für politische Aktivisten ein Weg, um sicher zu kommunizieren?
Ja, das ist ein sehr guter Weg.
Wie verbreitet ist die politische Nutzung der Technik tatsächlich?
Man muss unterschieden zwischen dem Tor-Browser, mit dem ich anonym im normalen Netz surfen kann, und dem tatsächlichen Darknet. Der Browser wird in der Tat im großen Stil im Ausland von Oppositionellen genutzt. Dass Oppositionelle in autoritär regierten Ländern das Darknet nutzen, ist nach meiner Meinung eher ein Mythos. Ich habe viel dazu recherchiert und mit Experten gesprochen. Was es oft im politischen Darknet gibt, sind Zweitauftritte von normalen Webprojekten. Aber Darknet-exklusive politische Inhalte, die es nur dort gibt? Ich habe da nichts Nennenswertes finden können.
Sie klingen etwas enttäuscht, wenn Sie sagen, im Darknet sei politisch eigentlich nicht viel los.
Ich hatte den Eindruck, da gibt es tatsächlich nichts spannendes. Irgendwann habe ich zumindest ein paar Beispiele gefunden: die Darknet-Postfächer für Whistleblower und die linken Kollektive und von Organisationen, die alternative Zugangstüren im Darknet anbieten. Aber insgesamt sieht es im Darknet politisch tatsächlich noch dünn aus. Ich stelle mir die Frage, ob dieses Darknet nicht einfach ein interessanter Ansatzpunkt für eine andere digitale Welt sein könnte. Eine Welt, in der große Netzkonzerne keine Bedeutung haben, in der Überwachung unmöglich ist und in der tatsächlich politisch an einer besseren Zukunft gearbeitet wird. Das Darknet heute ist ziemlich unperfekt, aber es hat Potential. Es ist das einzige wirkliche Gegenkonzept zum aktuellen Internet, das es zur Zeit gibt.
Ein sehr wichtige Rolle spielt ja der Tor-Browser. Ist bekannt, wer hinter Tor steht?
Ja, eine Organisation, die ganz klassisch Jahresberichte abliefert und Angestellte hat. Die sitzen in den USA und heißen „The Tor Project, Inc“. Eine Non-Profit-Organisation, die sich 2006 gegründet hat. Die betreiben die Software und entwickeln sie weiter. Sie stehen allerdings nicht hinter den Knoten, über welche die anonyme Kommunikation läuft. Das macht eine ehrenamtliche Gemeinschaft. Zum Beispiel betreiben Reporter ohne Grenzen solche Knoten und die deutsche Hackerorganisation Chaos Computer Club. Auch Edward Snowden hat sich mal für einen solchen Knoten interessiert, es ist aber unklar, wann und was er damit wollte.
In Ihrem Buch wundern Sie sich teilweise über die Tor-Organisation. Warum?
Dieses Tor-Project ist ein bisschen widersprüchlich – es gilt als eine Mischung aus „Wikimedia“ und „Amnesty International“, als eine Art Dissidenten-Organisation, die gegen Überwachung ist und Menschenrechte schützt. Tor wurde allerdings 1995 vom US-Militär erfunden. Ein Mathematiker von einem Forschungsinstitut der US-Marine hat es entwickelt. Seine Begründung: die Internet-Technologie bietet großes Potential für Regierungsbeamte und vor allem für Geheimdienstagenten im Ausland. Es wär doch aber schade, wenn befeindete Staaten sie bei ihrer Kommunikation belauschen und aufspüren können. Die Zwiebel-förmige Verschleierung von Tor sollte das verhindern. Es wurde klar, dass das Modell nur funktionieren kann, wenn Tor sich für andere Kreise öffnet. Wenn alle, die es nutzen und zur Verfügung stellen, Geheimdienstler oder Behörden sind, funktioniert es nicht. Man braucht möglichst viele andere Nutzer, um sich in dieser Masse verstecken zu können.
Mittlerweile ist das Tor-Projekt eine eigenständige Organisation ...
Ja, sie lebt aber immer noch überwiegend von Geldern der US-Regierung. 2015 hatte das Tor-Projekt ein Budget von mehr als drei Millionen Euro, etwa 85 Prozent kamen aus Fördertöpfen der US-Regierung, die zu der auch der Geheimdienst NSA gehört. Und der ist der vermutlich größte Überwacher der Welt. Man weiß auch, dass die NSA daran arbeitet, Tor zu knacken. Ich glaube, diese solide Regierungsfinanzierung ist der Grund, warum sich Tor im Gegensatz zu anderen Darknets durchsetzen konnte. Es gibt alternative Darknet-Technologien, wie I2P oder Freenet. Doch diese basieren fast komplett auf ehrenamtlicher Arbeit. Bei Tor dagegen können gut bezahlte Leute an der Technologie feilen und um die Welt reisen, um Tor bekannt zu machen. Das ist ein großer Vorteil.
Mehr zum Thema Darknet steht in Stefan Meys Buch:
"Darknet - Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert.", Stefan Mey, C.H. Beck, 2017, 239 Seiten, 14,95 Euro (auch als E-Book erhältlich).