Spurensuche im Darknet "Es gibt Drogendealer, die verschicken 50 Pakete am Tag"
„Darknet - Waffen, Drogen, Whistleblower". Für dieses Buch hat Autor Stefan Mey monatelang auf den dunklen Seiten des Internets recherchiert. Im Exklusiv-Interview berichtet er, wie hier offen Drogen und Waffen angeboten werden. Und wie Behörden und Hacker Kinderporno-Fans jagen. Über Whistleblower, Geheimdienste und Aktivisten spricht Mey im zweiten Teil des Interviews.
Herr Mey, wie komme ich ins Darknet?
Man braucht eine bestimmte Software, die nennt sich Tor, das ist ein spezieller Browser, den es kostenlos auf der Seite "Torproject.org" gibt. Tor sorgt dafür, dass mein Datenverkehr nicht mehr direkt abgewickelt, sondern über zufällig ausgewählte Knoten umgeleitet wird. Die Software ist eine Art „digitale Tarnkappe“, sie versteckt meine verräterische IP-Adresse, und dadurch bin ich nicht mehr identifizierbar. Mit diesem Browser kann man aber auch ins Darknet. Das ist ein Bereich unter der inofiziellen Darknet-Endung .onion, in dem sich Webseiten versteckt betreiben lassen. An der Stelle wird es kompliziert: Wie finde ich die Inhalte? Das ist nicht banal.
Man kann nicht nach Seiten suchen?
Nein, das Darknet ähnelt in einigen Punkten dem Internet der 90er Jahre – da war die große Herausforderung, überhaupt Inhalte zu finden. Es gibt Darknet-Suchmaschinen, aber die funktionieren nicht gut. Die Navigation läuft stattdessen über Link-Listen. Es gibt beispielsweise Link-Listen für Drogenmärkte. Und es gibt im Darknet so genannte „Hidden-Wikis“, die Journalisten gern als Inhaltsverzeichnisse fürs Darknet bezeichnen.
…aber das sind sie nicht?
Die sind mit großer Vorsicht zu genießen. Sie enthalten Links zu Drogen- und Waffenshops, zu Shops für gehackte Kreditkartendaten und sogar zu angeblichen Auftragsmordseiten. Diese Listen prägen das Bild vom Darknet als Gruselkabinett. Vieles davon dürfte kompletter Fake sein. Und wenn man nicht viel Ahnung von Technik hat, sollte man nicht wild auf die Links klicken. Niemand weiß, wer diese Hidden Wikis betreibt. Hinter den Adressen könnten Betrugsmodelle stehen. Sie könnten Schadsoftware enthalten, die sich nach einem Klick auf den Rechner lädt. Denkbar wäre auch, dass Geheimdienste oder Behörden da versuchen, Leute abzugreifen, die beispielsweise auf Links zu einem vermeintlichen Waffenshop klicken. Interessant ist, das auf den Hidden Wikis gerade die wirklich wichtigen, großen Darknet-Marktplätze oft nicht auftauchen. Für die gibt es ganz eigene Listen.
Was finden Darknet-Nutzer auf diesen Marktplätzen?
Wenn man eine echte Adresse zu einem der großen Marktplätze gefunden hat, geht man auf die jeweilige Seite, die einen an legale Marktplätze wie Amazon oder Ebay erinnert. Man wird freundlich begrüßt, der Ton ist serviceorientiert. Es gibt Marktplatzbetreiber, die Provisionen für jeden Kauf bekommen. Es gibt Händler, die Produkte anbieten. Und es gibt die Käufer.
Wie bezahlen die ihre illegalen Einkäufe?
Man zahlt nicht mit Euro oder Paypal, sondern mit Bitcoin. Bitcoin ist eine schwer nachvollziehbare digitale Währung, die keine übliche Verbindung zu dem Finanz- und Banksystem hat. Allerdings sind Bitcoins mit das gefährlichste an der ganzen Sache. Man ist mit denen nicht per se anonym, sondern muss aufpassen wo und wie man sie kauft.
Wie kommen die Sachen zum Empfänger?
Meistens per Post. Es gibt Drogendealer, die verschicken so 50 Pakete am Tag. Die Händler packen die Drogen geruchssicher ein, damit auch Spürhunde nicht anschlagen, in Maxibriefen und in kleinen Paketen. Die Polizei hat kaum eine Chance, etwas zu merken. Es sei denn, es geht etwas schief und es wird beispielsweise falsch frankiert. Dann versucht die Post, das Paket an den Absender zurückzuschicken. Und da natürlich ein Fake-Name auf dem Brief steht, fliegt die Sendung dann auf.
Bestellt die Polizei auch probeweise im Darknet?
Die Polizei will sich natürlich nicht damit abfinden, dass dort im größeren Rahmen illegale Sachen passieren. Es ist aber schwer für sie zu ermitteln. Normalerweise kann die Polizei IP-Adressen herausfinden. Das geht im Darknet nicht, aber sie haben trotzdem immer wieder große Erfolge.
Wie gehen sie vor?
Nach meinen Informationen haben sie klassisch verdeckte Ermittler, die zum Schein Drogen kaufen und hoffen, dass irgendjemand einen Fehler macht, zum Beispiel Fingerabdrücke hinterlässt. Wenn sie an einen Händler kommen, bieten sie diesem oft einen Deal über eine Kronzeugen-Regelung an, nach dem Motto: „Du kriegst drei Jahre weniger Knast, dafür übergibst du uns dein Händler-Konto mit allen Passwörtern.“ So betreibt die Polizei das Konto eine Weile weiter und kommt in die Netzwerke rein.
Gibt es Vorteile für Konsumenten, die Drogen im Darknet bestellen?
Ja, in der Suchtforschung werden tatsächliche Vorteile des Darknet-Handels diskutiert. Ausgangspunkt ist ein so genannter „Harm-Reduction-Ansatz“. Man sagt, dass man Menschen eh nicht vom Konsum abbringen kann, egal wie hart die Strafen sind. Und deshalb sollte man sich eher für die Frage interessieren, wie Konsumenten möglichst wenig Schaden davontragen. Es gibt viele Menschen, die sehr souverän mit Drogen umgehen. Sie konsumieren ab und zu und sehr bewusst Cannabis oder auch Esctasy, so wie andere gelegentlich ein Glas Bier oder Wein trinken. Und interessant ist auch, dass das Darknet den Drogenkauf vom kriminellen Milieu entkoppelt.
Was heißt das?
Ich muss nicht mehr in den Park gehen, wo ich Gefahr laufe, einen auf die Mütze zu bekommen. Außerdem ist es leichter möglich, die Qualität der Drogen zu beurteilen.
Ernsthaft?
Ja, es gibt auf den Märkten eine erstaunlich gut funktionierende Selbstregulierung, wie man sie auch von Amazon kennt. Das heißt, wenn jemand Drogen kauft, wird er oder sie aktiv dazu aufgefordert, im System eine Kaufbewertung zu hinterlassen. Dann schreibt er ‚Super Stoff, kam nach zwei Tagen‘ oder auch ‚Hände weg von diesem Betrüger‘. Im Darknet tummeln sich sehr viele Betrüger, die versuchen, Neulinge über den Tisch zu ziehen. Aber es hat sich gezeigt, dass Händler, die im Geschäft bleiben wollen, extrem darauf achten, ihre Kunden nicht zu verärgern und denen gute Qualität zu liefern.
Der bekannte Darknet-Händler „Shiny Flakes“ soll seine Drogen regelmäßig an ein Testlabor geschickt haben …
Ja, es gab mal diesen jungen Leipziger, Shiny Flakes, der vom elterlichen Zimmer aus in zwei Jahren knapp eine Tonne Drogen verkauft hat. Von dem wurde bekannt, dass er seine Drogen regelmäßig an ein anonymes Testlabor ins Ausland geschickt hat, um herauszufinden, ob die Qualität stimmt. Auch das diskutieren Suchtforscher als Vorteil. Wenn Leute nach dem Konsum von harmloseren Drogen wie Cannabis, akute gesundheitliche Probleme kriegen, liegt es oft nicht an der Droge an sich, sondern daran, dass sie gestreckt ist. Wenn man Glück hat, mit harmlosen Substanzen. Wenn man Pech hat, mit Rattengift oder sogar mit Blei. Das kann man ganz gut durch diese Selbstregulierung ausschließen.
Haben Sie bei der Buch-Recherche Drogen bestellt?
Wenn ich das getan hätte, würde ich es nicht öffentlich sagen. Ich habe lange darüber nachgemacht und es dann nicht gemacht. Und zwar weil ich es für meine journalistische Arbeit zu gefährlich fand. Man hätte mich dann unter Umständen unter Druck setzen können. Darknet-Händler würden dann vielleicht wissen, dass ich mich strafbar gemacht habe. Und es wäre denkbar, dass die Polizei einen Händler oder Marktplatzbetreiber festnimmt, und dann meine Adresse auf nicht-verschlüsselten Käuferlisten finden würde.
Angeblich werden im Darknet auch Waffen angeboten. Da sind auch viele Fake-Angebote dabei, weil man ja nicht reklamieren kann, wenn man die Waffe nicht bekommen hat…
Das ist tatsächlich so. Es gibt auch ein prominentes Beispiel. Der Fernsehmoderator Reinhold Beckmann wollte mal zeigen, wie leicht man im Darknet an eine Kalaschnikow kommt. Er hat dort für 700 Euro, einem sehr unrealistischen Preis, jemanden gefunden, der ihm die verkauft. Er hat sie in Form von Bitcoins überwiesen - und dann natürlich nichts bekommen. Da gibt es sehr viele Faker. Waffen zu verschicken ist zum Glück nicht so leicht wie bei Drogen. Man kann sie nicht einfach so in einen Maxi-Brief stecken. Allerdings gibt es durchaus Waffengeschäfte, die übers Darknet angebahnt werden. Und das kann sehr problematisch sein, wenn Waffen so an Leute gelangen, die auf keinem Fall welche haben sollten. Werden Waffen verschickt, werden sie oft in Einzelteile zerlegt und dann teilweise sogar in irgendein elektrischer Gerät zur Tarnung eingebaut. Manchmal trifft sich der Händler auch mit dem Käufer. Das geht dann allerdings oft schiefgeht, wenn der vermeintliche Käufer ein verdeckter Ermittler der Polizei ist. In Deutschland und Europa werden größere Waffenkäufe allerdings eh von kriminellen Gruppen getätigt, die haben ganz andere Kanäle.
Der Amokläufer von München hatte laut Berichten seine Waffe aus dem Darknet.
Genau, er hatte sie allerdings nicht über einen Marktplatz besorgt, sondern über ein Forum, das hieß „Deutschland im Deepweb“. Das war anarchistisch in dem Sinn, dass dort alle über alles denkbar diskutiert wurde. Da gab es eine Art An – und Verkaufsecke mit Angeboten für Drogen und Waffen, und da hat der Amokläufer rumgefragt. Der „Spiegel“ hat recherchiert und herausgefunden, dass er ungefähr ein Jahr gebraucht hat, um sich da reinzufuchsen, dabei ist er mehrmals an „Faker“ geraten. Da kam der „Spiegel“ zu der Schlussfolgerung, dass wenn er sich offline eine Waffe besorgt hätte, wahrscheinlich nicht mehr bezahlt hätte und unter Umständen schneller an die Waffe gekommen wäre. Auf vielen größeren Darknet-Märkten sind Waffen übrigens verboten. Es gibt im Darknet mitunter strikte Produktpolitiken. Auf den illegalen Marktplätzen gelten zwar Gesetze nichts, aber ganz ohne Moral geht es da nicht zu. Wer dort auf die Idee kommen würde, Kinderpornographie anzubieten oder anzufragen, würde geächtet werden.
Im Darknet gibt es auch Kinderporno-Seiten, wie ein aktueller Fall zeigt. Da hat die Polizei per öffentlicher Fahndung ein Kind gesucht, von dem Missbrauchsbilder auf einer Darknet-Plattform auftauchten.
Die Anonymität des Darknets wird auch für üble Zwecke missbraucht, auch durch Menschen, die Kinder vergewaltigen und dann Bilder oder Videos davon hochladen. Laut Polizei geschieht das in geschlossenen Foren, auf denen über eine Art „Tauschwirtschaft“ solche Bilder kursieren. Das Darknet ist nicht der einzige digitale Verbreitungsweg dafür. Bilder und Videos werden auch über das normale Netz und über verschlüsselte Programme verschickt, die nichts mit dem Darknet zu tun haben. Solche Foren werden immer wieder von Hackergruppen attackiert und lahmgelegt. Hacker und Behörden können sich eigentlich nicht ausstehen. An dem Punkt ziehen sie an einem Strang.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass in geschlossenen Gruppen bei Facebook mehr Drogen und mehr Waffen gehandelt werden als im Darknet.
Es entsteht oft der Eindruck, Cyberkriminalität und das Darknet wären das Gleiche. Es ist aber so, dass das Darknet nur ein Kanal von mehreren ist, in dem Straftaten geplant werden. Alles was an Illegalem passiert, sei es Kinderpornographie, Waffenhandel oder Handel mit gehackten Daten, wird auch über E-Mails, über versteckte Seiten im normalen Web, über WhatsApp, Facebook und Skype abgewickelt. Das Darknet ist unfassbar klein.
Wie groß ist es in etwa?
Das Darknet, also das „Tor-Darknet“ unter der Endung .onion enthält ungefähr 50.000 Adressen. Von diesen .onion-Adressen weisen nur ein Zehntel tatsächliche Inhalte auf. Es gibt es 16 Millionen .de-Adressen. Das ganze Darknet ist ungefähr so groß wie die sehr kleine Internetendung .berlin.
Stefan Mey: "Darknet - Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert." C.H. Beck, 2017, 239 Seiten, 14,95 Euro (auch als E-Book erhältlich).