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NSA überwacht deutsche Spaziergänger am Dagger Complex in Griesheim


Sicherheit
NSA-Skandal Prism: Spaziergang ruft Staatsschutz auf den Plan

spiegel-online, Judith Horchert

Aktualisiert am 16.07.2013Lesedauer: 4 Min.
Dagger Complex in GriesheimVergrößern des Bildes
Dagger Complex in Griesheim (Quelle: Google)

Ein Griesheimer hat über Facebook zu einem Spaziergang eingeladen: Man wolle sich den sogenannten Dagger Complex und die "NSA-Spione" einmal aus der Nähe ansehen. Das US-Militär rief die deutsche Polizei zu Hilfe. Die kam gleich zweimal.

Daniel Bangert wollte auch einmal etwas Lustiges auf Facebook posten, und schon bekam er Besuch von der Polizei. Normalerweise geht es in den Beiträgen des 28-Jährigen um Nachrichten, ums Tagesgeschehen, "bei mir gibt es selten lustige Bilder zu sehen", sagt er selbst. Diese Ernsthaftigkeit kommt bei seinen Freunden nicht immer an, deshalb wählte er ausnahmsweise eine Spaßaktion, um die Aufmerksamkeit auf den Überwachungsskandal rund um Prism zu wecken: Er lud seine Freunde zu einem gemeinsamen Spaziergang ein, und zwar zur streng geheimen US-Einrichtung Dagger Complex bei ihm in Griesheim.

"Lebensraum der NSA-Spione erforschen"

Die Wanderung pries er wie einen naturkundlichen Beobachtungsgang an: Man wolle "gemeinsam den bedrohten Lebensraum der NSA-Spione erforschen", hieß es in der öffentlichen Ankündigung auf Facebook, und "wenn wir ganz viel Glück haben, bekommen wir vielleicht sogar einen echten NSA-Spion mit unseren eigenen Augen zu sehen".

Empfohlene Ausrüstungsgegenstände für die Safari seien Kameras und "Blumen aller Art um den Lebensraum der NSA-Spione etwas aufzupeppen". Nur wenige Freunde interessierten sich für den "Blödsinn", wie Bangert sagt. Dafür jemand anders: Vier Tage nach der Einladung klingelte Bangerts Handy, morgens um 7.17 Uhr: Die Polizei. Man wolle über die auf Facebook angekündigte Veranstaltung reden.

Hinweis von der Military Police

Fast gleichzeitig klingelt es an der Haustür. Die Polizei am Telefon weist ihn nun an, mit der Polizei vor der Tür zu sprechen. Bangert zieht sich ein T-Shirt über, auf dem "Team Edward" steht und das Bild von Ed Snowden zu sehen ist, und tritt vor die Tür, um mit den Beamten zu sprechen. Seine Nachbarin sieht zu.

Die Polizisten wollen genauer wissen, was es mit diesem Spaziergang auf sich hat. "Ich fand das unglaublich. Ich dachte mir: Was? Die kommen wegen so einem Blödsinn?", sagt Bangert. Er beantwortete aber alle Fragen wahrheitsgemäß. Ja, man wolle auf einem Erkundungsgang die Spione beobachten. "Die Beamten haben schon ein bisschen gegrinst", sagt er. Eine Sprecherin der Darmstädter Polizei sagte Spiegel online, die amerikanischen Sicherheitsbehörden, genauer gesagt die Military Police, habe die Einladung auf Facebook gefunden und die Polizei benachrichtigt. Die Military Police sei für die Sicherheit auf dem Gelände des Dagger Complex verantwortlich, für die andere Seite des Zauns die deutsche Polizei.

Ein "pfiffiges Kerlchen" sei Bangert

Bangert bekam einen weiteren Anruf. Er möge sich doch bei einem Herrn vom Staatsschutz melden, Zentralkommissariat 10. Auch der kam dann mit einem Polizeibeamten persönlich vorbei. "Die wollten wissen, ob ich Bezug zum schwarzen Block habe oder zu gewaltbereiten Leuten", so Bangert. Er verneinte. "Ich will spazieren gehen", habe er die ganze Zeit gesagt, wegen der nebulösen Ankündigung hätten ihn die Beamten ein "pfiffiges Kerlchen" genannt. Sie hätten ihm das Versammlungsrecht erläutert und ihm dringend nahegelegt, den Spaziergang doch als Demonstration anzumelden. Und er möge das Besprochene doch besser nicht ins Netz stellen.

Bangert jedoch tat beides: Er meldete eine Demonstration an, "auch wenn das gar keine sein sollte", und er postete auf Facebook, dass er Besuch von der Polizei bekommen habe. Es sei ja auch nichts Schlimmes besprochen worden. "Aber wie viele Beispiele braucht man denn noch?", fragt er, "alle Leute sagen, sie seien nicht betroffen. Und ich rufe zum Spazieren auf und schreibe ganz offensichtlichen Blödsinn in die Einladung, und habe den Staatsschutz im Haus."

Der besagte Beamte vom Zentralkommissariat 10 sei nun einmal für alle Demonstrationen zuständig, sagt die Polizeisprecherin. Und auch, dass die amerikanischen Militärpolizisten sich gemeldet hätten, sei nicht überraschend; auf öffentlich angekündigten Facebook-Partys würde die Polizei meist auch erst aufmerksam, weil sich Betroffene melden, vor deren Tür die Party steigen soll.

"Wenn ich dafür ins Gefängnis muss, dann gehe ich gerne"

Trotzdem verbreitete sich der Vorfall schnell: Die lokalen Medien berichteten, im Netz wird der Besuch getwittert und gebloggt. "Meine Oma war sauer auf mich. 'Du musst den Mist wieder anführen. Du musst aufpassen, nachher kommst Du ins Gefängnis!", erzählt Bangert. Er habe geantwortet: "Oma, gegen welche Gesetze habe ich denn verstoßen? Wenn ich dafür ins Gefängnis muss, dann gehe ich gerne."

Er musste natürlich nicht. Doch durch das mediale Interesse wurden es schließlich etwa 70 Spaziergänger, die am Samstag in Griesheim auf NSA-Safari gingen – in Begleitung von zwei Streifenwagen. Einer vorne, einer hinten. "Ein Teil der Gruppe hat mit allerlei Lockrufen versucht, die NSA-Spione aus ihrem Bau zu locken", schreibt Bangert in einem Rückblick auf Facebook. Leider habe man aber "keine echten NSA-Spione zu sehen" bekommen. Die Stimmung aber sei gut gewesen, und "der Wunsch nach einer baldigen Wiederholung kam auf." Soll das noch einmal stattfinden? "Das habe ich nicht gesagt und auch nirgends geschrieben", antwortet Bangert. Pfiffiges Kerlchen eben.

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