Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Forscher rätseln bis heute Dieser Superkiller war gefürchteter als die Pest
Kaum etwas fürchtete die Menschheit einst mehr als die Pest. Doch im 15. und 16. Jahrhundert schlug eine Krankheit zu, die binnen Stunden tötete. Und genauso plötzlich wieder verschwand, wie sie gekommen war.
Der Tod kam aus England, und er schlug hart und unbarmherzig zu. Den Opfern schmerzten die Glieder und Köpfe, sie wurden vom Fieber gebeutelt und von Schüttelfrost heimgesucht.
Das war aber noch längst nicht alles: Irgendwann begannen die Kranken, zu schwitzen, ihre Körper glühten vor Hitze. Puls, Herz und Durst gerieten außer Kontrolle. Binnen kurzer Zeit folgte in vielen Fällen der Tod. Als Englischen Schweiß bezeichneten die Zeitgenossen die geheimnisvolle Seuche, weil der Geruch der dabei ausgeschiedenen Körperflüssigkeit wohl nur schwer zu ertragen war.
Wann auch die Deutschen nähere Bekanntschaft mit der Krankheit machten, lässt sich genau benennen. Im Sommer 1529 erreichte ein Schiff von England kommend Hamburg, ein Dutzend Mann an Bord hatte die Seuche bereits dahingerafft. Ihnen folgten alsbald mehr als 1.000 Hamburger. Von der Hansestadt aus trat der Englische Schweiß dann eine schauerliche Reise durch Deutschland an, in Lübeck etwa verfassten die Begüterten Testamente im Akkord.
Krieg über Jahrzehnte
Kein Wunder, denn wenn die Krankheit zuschlug, dann richtig. In Dortmund sollen im September 1529 von 500 Erkrankten 497 gestorben sein, wie der Wissenschaftsautor Philipp Kohlhöfer in seinem Buch über Pandemien schreibt. Was aber war der Englische Schweiß überhaupt? Gute Frage, bis heute rätselt die Fachwelt.
Seinen ersten Auftritt hatte der Englische Schweiß 1485. Seit rund 30 Jahren hatten sich die beiden englischen Adelshäuser York und Lancaster zu diesem Zeitpunkt im Kampf um die Krone bislang gegenseitig massakriert. Am 22. August 1485 sollte die Auseinandersetzung allerdings mit der Schlacht von Bosworth ein Ende finden. Heinrich Tudor schritt siegreich vom Feld, sein Rivale Richard III. blieb ebendort erschlagen liegen. Nur um später von einem gewissen William Shakespeare im Drama "Richard III." ("Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd") einen ganz miesen Ruf verpasst zu bekommen.
Heinrich Tudor hatte hingegen Unglück im Glück. Denn bald trat der Englische Schweiß in seinem Heer auf. War es ein Import vom Festland, den seine französischen Kämpfer über den Kanal mitgebracht hatten? Wer weiß. Fest steht, dass die Seuche bald in London herrschte. Für besonderen Schauer sorgten dabei zwei Faktoren.
Zum einen raffte die Seuche viele Reiche hinweg, darunter 1485 gleich mehrere Bürgermeister und Ratsherren Londons. Zum anderen waren die Opfer ausgerechnet die Menschen, die bei anderen Krankheiten bis dahin die besten Überlebenschancen hatten. Und zwar Angehörige der Altersgruppe der etwa Zwanzig- bis Vierzigjährigen. Die ganz Alten und ganz Jungen blieben also weitgehend verschont.
Ausgerechnet die Kräftigsten starben
"Die meisten Opfer wählte sich die Seuche unter den kräftigen Männern", beschrieb im 19. Jahrhundert der Medizinhistoriker Justus Friedrich Karl Hecker seine Verwunderung über die ominöse Krankheit, deren Ursache weder die Zeitgenossen noch die Nachgeborenen kannten. Fest stand nur, dass sich die Frage von Leben und Tod nach einer Infektion binnen kurzer Zeit entschied. Nach einem halben Tag waren viele der Erkrankten tot.
Ein Gutes hatte das Englische Fieber immerhin: Es verschwand recht schnell. So auch 1485. Allerdings kehrte es wie erwähnt zurück: so um 1506, 1517, 1528 und 1529 wie 1551. Gerne im Sommer, gerne wenn dieser besonders feucht war. Und in jedem Fall war es zunächst England, wo die Seuche tötete. 1529, als der Englische Schweiß über Hamburg auch den Kontinent erreichte, war er eventuell gar für das Schicksal des christlichen Europas ausschlaggebend. Just in diesem Jahr belagerte ein osmanisches Heer Wien.
Seit Urzeiten töteten Seuchen mehr Soldaten als die Schlacht. Denkbar, dass der Englische Schweiß dem Sultan eine weitere Motivation gab, die bis dahin vergebliche Belagerung des christlichen Bollwerks abzubrechen. Derweil hatte sich im fernen England Anne Boleyn, eine der zahlreichen Ehefrauen des berüchtigten König Heinrich VIII., ebenfalls die Krankheit eingefangen. Sie überlebte – nur um 1536 auf Betreiben ihres Ehemanns geköpft zu werden.
Spurlos verschwunden
Der Englische Schweiß überlebte sie um einige Jahre, 1551 suchte er England ein letztes Mal heim. Um dann spurlos zu verschwinden. Was aber war der Auslöser für "sudor anglicus" wie die Seuche in der Gelehrtensprache genannt wurde? Influenza vermuten manche Fachleute, Lungenmilzbrand oder das Q-Fieber werden ebenfalls verdächtigt. Vielleicht waren es aber auch Hantaviren. Lösen wird sich das Geheimnis wahrscheinlich niemals.
Möglicherweise hatte der Englische Schweiß aber noch einen Auftritt in der Geschichte der Seuchen. Im 18. Jahrhundert trat in Frankreich das Picardsche Schweißfieber mit ähnlichen Symptomen auf. Wie der Englische Schweiß ist aber auch das Picardsche Schweißfieber später wieder verschwunden. Hoffen wir, dass es so bleibt. Mit dem Coronavirus ist die Welt schon genug beschäftigt.
- Eigene Recherche
- Andrea Jessen: "Serienkiller 'Englischer Schweiß"", in: Heilberufe 70, 74 (2018)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Da half nicht mal die Flucht aufs Land
- Welt: Die unbekannte Seuche, die schneller tötete als die Pest
- Philipp Kohlhöfer: Pandemien. Wie Viren die Welt verändern, Frankfurt/Main 2021
- Deutschlandfunk: Eine Epidemie, die plötzlich verschwunden ist
- Justus Hecker: Der englische Schweiss: ein ärztlicher Beitrag zur Geschichte des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, Berlin 1834
- Heinz Flamm: "Anno 1529 – der 'Englische Schweiß' in Wien, die Türken um Wien", in: Medizinische Wochenschrift 2020; 170 (3)