Zum Schutz von Mutter und Kind Heißes Wasser bei der Geburt kann Leben retten
"Heißes Wasser, schnell!" – dieser Satz ist zumindest in der Literatur und im Film untrennbar mit einer bevorstehenden Geburt verbunden. Jetzt könnte man glauben, dass in Zeiten von fließend warmem Wasser und Latexhandschuhen das heiße Wasser nur noch für den Kaffee benötigt wird, der den werdenden Vater auf den Beinen hält – dem ist aber nicht so.
Keime können zum Tod des Babys führen
Der wichtigste Grund für heißes Wasser bei der Geburt war früher die Vernichtung von schädlichen Keimen. Wie notwendig das war, zeigt sich, wenn man die Kulturgeschichte der Geburtshilfe einmal genauer betrachtet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlagerte sie sich immer mehr in Ärztehand. Und plötzlich starben überdurchschnittlich viele Frauen am Kindbettfieber. Es dauerte eine Weile, bis ein ungarischer Arzt – Dr. Ignaz Semmelweiß – dahinterkam, warum. Die Mediziner, die sich um die Schwangeren kümmerten, waren vorher bei Kranken und Sterbenden. Durch ihre ungewaschenen Hände infizierten sie die Frauen mit den gefährlichen und oft todbringenden Keimen.
"Eine Scheide ist schließlich auch nicht steril"
Was nicht heißt, dass sich die Hebammen von jeher darüber im Klaren waren, wie wichtig Hygiene für das Überleben sein kann. "Auch sie haben nicht immer sauber gearbeitet beziehungsweise arbeiten können und schon auch mal Schweineschmalz verwendet, um dem Baby den Weg zu erleichtern.
Der Unterschied zwischen ihnen und den Ärzten war der Kontakt zu den Schwerkranken", weiß Alexandra Mück, die in Erlangen eine Hebammenpraxis betreibt. Als sie vor fast 30 Jahren ihren Beruf erlernte, waren aggressive Desinfektionsmittel und sterile Untersuchungssets gang und gäbe. "Heute ist man in vieler Hinsicht entspannter. Solange es sich um eine ganz normale Geburt mit einem reifen Baby handelt, gibt es keinen Grund, übervorsichtig zu sein. Eine Scheide ist schließlich auch nicht steril." Aber natürlich gibt es Ausnahmen: "Wenn wir etwas in den Körper einbringen oder zum Beispiel auch, wenn die Gefahr einer Frühgeburt besteht, sind wir besonders vorsichtig und arbeiten absolut steril, um das Baby nicht zu gefährden."
16 Minuten Händewaschen wurden empfohlen
Absolut steril muss es also in der Regel nicht sein, Sauberkeit allerdings ist und war schon immer wichtig. Vor allem zu Zeiten, als man das Wasser entweder vom Brunnen holte oder es eisig kalt und meist alles andere als wirklich rein aus der Leitung kam. Die einzige Möglichkeit, hier sauber zu arbeiten, war, das Wasser abzukochen.
So konnte die Hebamme damit ihre Instrumente wie Nabelschere, Verbandsläppchen und Geburtszange sterilisieren und sich die Hände gründlich waschen. Dieses Händewaschen war übrigens ein Ritual, das vor jeder erneuten Untersuchung wiederholt und zu dem neben einer Handbürste auch Seife, ein Nagelreiniger sowie desinfizierende Karbolsäure verwendet wurden. In einem Geburtshilfelehrbuch von 1941 kann man auch heute noch nachlesen, welche Zeit dieses Ritual in Anspruch genommen hat: jeweils 16 Minuten.
"Man kann nicht vorne pressen und hinten zusammenkneifen"
Eines der Instrumente, die immer schon gründlich sauber gemacht werden mussten, war die Einlaufspritze, auch Klistierbesteck genannt. Mit deren Hilfe und noch früher mithilfe eines Darmrohres, wird warmes Wasser in den Darm gespült und dieser so gereinigt. Dieser Einlauf hat in der Geburtshilfe eine lange und bewährte Tradition. Die Reinigung des Darms mithilfe von Wasser war bis in die 1980er Routine bei jeder Geburt: Zum einen macht der Einlauf dem Kind den Weg freier, zum anderen regen die Darmbewegungen über die Muskulatur auch die Gebärmutter an und können so eine sanfte Einleitung der Geburt erreichen.
Und natürlich spielt die Hygiene auch hier wieder eine Rolle. Denn durch den Geburtsvorgang und den Druck des Babyköpfchens werden die Reste aus dem Darm herausgedrückt. Wobei sich das Baby im schlimmsten Fall sogar mit Fäkalkeimen infizieren kann. "Heute wird der Einlauf nur noch bei einer Wassergeburt routinemäßig durchgeführt", so die Hebamme, die allerdings trotzdem dringend dazu rät. "Ich sage meinen Schwangeren immer: Es macht frei im Kopf. Schließlich kann man nicht vorne pressen und hinten zusammenkneifen."
Noch heute haben viele Hebammen eine Schüssel mit Wasser griffbereit
Immer wieder mal wird gescherzt, die Hebammen hätten nach heißem Wasser gerufen, um einen Kaffee zuzubereiten. Und das könnte sogar sein. Wobei sie diesen Kaffee dann aber nicht für sich brauchten, sondern für den Damm der Frau, den man mit einer mit warmem Kaffee – oder notfalls auch einfach nur mit heißem Wasser getränkten Kompresse geschmeidiger machen und somit vor dem Einreißen schützen kann. "Zusätzlich überprüfen wir Hebammen ja auch nach der Geburt des Kindes die Plazenta beziehungsweise ob keine Reste in der Gebärmutter verblieben sind – und da ist bereitstehendes warmes Wasser ebenfalls hilfreich."
Heißes Wasser bei der Geburt schützt Mutter und Kind
Und auch zum Schluss der Geburt hat das Wasser noch einmal eine reinigende Funktion, wenn auch nicht mehr ganz so schnell wie noch bis weit in die 1970er des vergangenen Jahrhunderts – einer Zeit, in der man wenig auf die Bedürfnisse von Mutter und Kind geachtet hat, in der Babys möglichst nicht gestillt wurden, nachts in einem Säuglingszimmer weit weg von der Mutter schlafen mussten und sofort gebadet wurden, sobald sie das Licht der Welt erblickten. Und das auch noch in nur 35 Grad warmem Wasser, damit der Kreislauf richtig in Schwung kommt. Hinzu kam: Man wollte das noch mit Käseschmiere "verpappte" Kind keiner frischgebackenen Mama und keiner wartenden Verwandtschaft zumuten.
Heute dürfen sich Mutter und Kind bis zur ersten Reinigung deutlich mehr Zeit lassen, können Dusche und Badewanne nutzen genau wie schönes warmes Wasser. Zumindest bei uns. Denn schließlich gibt es noch immer viele Orte auf der Welt, in denen sauberes, warmes Wasser nicht so selbstverständlich ist und in denen die Hebamme noch heute nach heißem Wasser rufen muss, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu schützen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.