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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ildikó von Kürthy "Ich habe schon mehrere Therapien gemacht"
Ihr neues Buch ist wie ein Hammerschlag in die Gefühlswelt der Leser. Nun hat Ildikó von Kürthy angekündigt, dass es zum ersten Mal eine Fortsetzung geben wird. Darüber und warum Selbstironie oft hilfreich ist, sprach sie mit t-online.
Autorin Ildikó von Kürthy lässt sich längst nicht mehr in der Unterhaltungsecke der Literatur verbuchen. Und vielleicht gehörte sie da auch nie hin. In ihrem neuen Roman "Morgen kann kommen" hat von Kürthy erneut ernstere Töne angeschlagen. Hauptfigur Ruth ist in einer toxischen Ehe mit einem narzisstischen Schauspieler gefangen, Gloria hat schon seit Jahren den Kontakt zu ihrer Schwester verloren. Im Laufe des Romans verweben sich die Geschichten miteinander und noch andere, schon zuvor lieb gewonnene Figuren tauchen wieder auf. Wie Erdal Küpers, der liebenswerte Hypochonder.
t-online: Ihr Thema ist beruflich und privat der humorvolle Umgang mit Alltagssituationen. Auf Instagram haben Sie kürzlich sehr selbstironisch über eine misslungene Frisur geschrieben. Was war passiert?
Ildikó von Kürthy: Ich hatte mir mit einem Frisierstab versehentlich eine Art Klapp-Brett-Frisur gemacht – und ein Foto davon ironisch kommentiert. Eine Frau schrieb: "Ein Mann würde niemals so an sich selbst zweifeln." Ich habe geantwortet: "Ja, das stimmt und das haben wir den Männern voraus! Unseren offenen, menschlichen Umgang mit Schwächen und unser Eingeständnis, dass wir an uns selbst zweifeln." Ich halte Selbstzweifel für wichtig und ich möchte die auch artikulieren dürfen. Ich wünschte, Männer würden das auch tun, dann ginge es uns allen besser.
Männer machen das ja bekanntlich eher selten.
Warum nicht zugeben: Ja, das stört mich, es ist wirklich schiefgegangen, auch wenn ich es in dem Moment natürlich gar nicht lustig fand, als ich mit dicker Brandblase und brettharter Frisur auf der Bühne stand. Ich mag Frauen dafür, dass sie so sind und finde das bereichernd. Dieses ständige so tun, als wären wir alle Prinzen und Prinzessinnen und unsere Ehen perfekt und unsere Kinder so unfassbar wohlgeraten – damit macht man anderen das Leben schwer und sich selbst auch.
Wie würden Sie denn Ihre aktuelle Lebenssituation beschreiben?
Es gibt kein perfektes Leben. Es gibt keine rundum glücklichen Ehen, keine problemfreien Beziehungen. Wer hat sich bloß diesen Quatsch ausgedacht? Ich versuche bei Instagram, wie durch den Post über die misslungene Frisur, zu zeigen: Ich bin echt. Ich bin normal. Ich bin auch mal am Boden zerstört – und das gar nicht so selten. Das ist unabhängig von einer Bestsellerlisten-Platzierung und vom Erfolg. Natürlich geht mein Erfolg mit einer finanziellen Sorglosigkeit einher und ich bin dankbar, dass ich mir darüber keine Sorgen machen muss. Aber ich habe genug andere!
Einmal kommentierte jemand: "Ihr Leben ist ein Märchen." Das fand ich schlimm, weil ich weiß, dass das auf Instagram leicht mal so aussieht. Das stimmt aber einfach nicht. Mein Mann ist kein Prinz und meine Söhne sind keine kleinen Prinzen. Ich bin keine Diva und keine Königin. Das will ich überhaupt nicht sein, denn das würde einen enormen Abstand zwischen mir und meinen Leserinnen entstehen lassen. Ich kenne deren Nöte, denn ich habe sie im Zweifelsfall selbst.
Persönliche Nöte greifen Sie auch oft in Ihrem Podcast "Frauenstimmen" auf. Man könnte fast von einem therapeutischen Ansatz sprechen. Haben Sie selbst schon einmal eine Therapie gemacht?
Ich habe schon mehrere Therapien gemacht. Daran ist nichts Ehrenrühriges. Ich weiß, dass sich manche Menschen dafür schämen. Warum? Ich gehe ja schließlich auch zum Lungenfacharzt, wenn ich Asthma habe. Ich nehme meine Seele mindestens so ernst wie meinen Körper. Psychische Krankheiten werden immer noch zu oft abgetan. Depressionen, Burn-out, Angststörungen – zu viele denken immer noch, derjenige müsse sich einfach nur richtig zusammennehmen. Das ist falsch. Und wenn dann noch Scham dazukommt, wird es fatal.
Sie haben das Buch Ihrer Mutter gewidmet. Hat die Hauptfigur Ruth, die mit einem narzisstischen Ekel verheiratet ist, in seinem Schatten steht und ihr eigenes Leben nur schwer in die Hand nehmen kann, auch etwas von ihr?
Ich habe meiner Mutter dieses Buch voller Respekt und Liebe, aber auch voller Bedauern gewidmet. Sie gehörte zu den vielen Frauen ihrer Generation, die keine Befreiung erlebt haben und nicht aus dem Schatten gesellschaftlicher Konventionen heraustreten konnten – und das sage ich ohne Vorwurf. Es tut mir leid, dass sie sich so wenige ihrer Träume und Wünsche erfüllen konnte. Mein Vater war zwar ein dominanter Charakter, aber er war, anders als Ruths Mann, kein toxischer Narzisst.
Wo haben Sie Einblicke in Beziehungen wie diese bekommen?
Ich habe Freundinnen, die wirklich in schlimmen toxischen Beziehungen steckten und die mich an ihren Erfahrungen teilhaben ließen. Ein Verbrechen, so wie im Buch beschrieben, hat zum Glück keine von ihnen erleben müssen. Aber in dem, was Ruth erlebt – sie macht sich kleiner, als sie ist, damit sich ihr Mann größer fühlen kann, als er ist –, erkennen sich, fürchte ich, viele Frauen wieder. Ich finde mehr Anteile von mir in Gloria, eine der anderen Figuren. Mal bin ich zu laut, mal bin ich zu leise. Ich glaube, das Buch bietet Identifikation für alle Seiten in uns.
Fatma ist eine weitere starke Identifikationsfigur im Roman. Mit ihr haben wir die verheiratete Frau, die Geliebte und die Single-Frau.
Ich mag den Begriff "starke Frauen" nicht. Er impliziert, dass solche Frauen nicht schwach sind oder glauben, nicht schwach sein zu dürfen. Ich mag nur Menschen, die Verständnis für die Schwächen anderer haben und ihre eigenen zeigen und reflektieren. Ruth ist eine Frau, die sich ständig mit anderen vergleicht. Darüber liegt kein Heil – das kennen wir ja alle. Fatma ist allerdings eine warmherzige Person, die das gleich thematisiert und so etwas sagt wie: "Für deine Figur würde ich morden."
Die Figuren sind sehr vielschichtig. Zum ersten Mal schreiben Sie nun auch eine Fortsetzung Ihres aktuellen Romans. Können Sie schon ein wenig verraten, was geschieht?
Ich hätte noch 300 Seiten mehr schreiben können und habe schon im Kopf, wie die Geschichte weitergeht. Es wird etwas Schreckliches passieren. In der ersten Version des Romans hatte ich in einem Epilog angedeutet, was in der Nacht, in der das Buch nun endet, noch geschieht. Es war nur eine halbe Seite, eine Art Polizeibericht. Mein Mann riet mir aber davon ab, weil er es zu brutal fand, mit dieser Ungewissheit aufzuhören. Ein Roman ist ja keine Netflix-Serie, die man einfach so weitergucken kann. Also habe ich mich entschieden, die Geschichte nicht im derartig Ungewissen enden zu lassen.
Ildikó von Kürthy erzählt, was das große Schreckliche sein wird und so viel muss dazu noch gesagt werden: Schon die wenigen Informationen sorgen für Gänsehaut. Denn fest steht schon jetzt: Es wird eine Leiche im Haus Ohnesorg gefunden.
Ihr neuer Roman ist auf dem Markt, Sie haben einen Podcast, eine Show zum Buch. Was kommt als Nächstes? Vielleicht ein eigenes "Ildikó"-Magazin?
Ich bin schon überrascht, was sich in den letzten Jahren noch für Möglichkeiten für mich ergeben haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Vor 15 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich mal Podcasterin bin. Und wer weiß, was in weiteren 15 Jahren ist? Ein Magazin finde ich eigentlich eine gute Idee, allerdings ist der Printmarkt ja nicht der blühendste unter den Märkten. Da sind leider eine Menge sinkender Schiffe unterwegs. Eine eigene Fernsehsendung wäre toll!
Als eine Talksendung?
Ja! Eine Talkshow, in der immer nur ich zu Gast bin und in der die Gastgeber wechseln. Ich rede ja ausgesprochen gern über mich.
Bislang sind viele Rezensionen des Buches sehr positiv. Eine Leserin schrieb im Internet über "Morgen kann kommen": "Das Buch ist wie eine Umarmung von lieben Freunden."
Da kommen mir die Tränen. Damit hat sie alles gesagt, was ich sagen möchte.
- Gespräch mit Ildikó von Kürthy am 27. April 2022