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Berlin-Lichtenberg: Polizei im Altenheim – "der absolute Worst Case"


Polizeieinsatz im Pflegeheim
"Das ist der absolute Worst Case"

  • Nils Heidemann
InterviewVon Nils Heidemann

24.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Eine Pflegekraft und alter Mann (Archivbild): Der Pflegeberuf muss aufgewertet werden, fordert eine Verbandsvorsitzende.Vergrößern des Bildes
Eine Pflegekraft und alter Mann (Symbolbild): Der Pflegeberuf muss aufgewertet werden, fordert eine Verbandsvorsitzende. (Quelle: IMAGO/phototek)

Viele Bedürftige, wenig Personal: Das ist Alltag in den Altenheimen Deutschlands. Eine Expertin erklärt, was es nun braucht, um die Situation zu verbessern.

In einem Berliner Pflegeheim mussten Polizei und Feuerwehr anrücken. Eine Pflegerin wollte ihre Schicht beenden. Sie stellte fest, dass die folgende Nachtschicht personell nicht ausreichend besetzt war, um die über 100 Bewohner des Hauses zu versorgen. Versuche, die Heimleitung zu erreichen, waren nicht erfolgreich. In ihrer Not rief sie die Einsatzkräfte. Der Vorfall sorgte für Diskussionen über das Thema Pflegenotstand.

Die Domicil-Gruppe, die das Haus betreut, räumte Fehler ein und gab an, den Fall aufzuarbeiten. Sie zog Konsequenzen und tauschte die Heimleitung aus. Mehr dazu lesen Sie hier.

Heike Prestin ist Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Im Interview spricht sie über den Vorfall in Lichtenberg, aber auch darüber, was sich aus ihrer Sicht dringend in der Pflege ändern muss.

t-online: Frau Prestin, der Notruf aus dem Lichtenberger Heim. Wie außergewöhnlich ist so ein Notfall?

Heike Prestin: Es passiert häufiger, dass Notfallketten aktiviert werden, weil eine Person ausfällt. Dann wird der Vorgesetzte angerufen und eine Alternative organisiert. Wenn die Heimleitung aber nicht erreicht wird, ist das der absolute Worst Case. Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung der Mitarbeiterin, die Polizei zu rufen. Sie musste Mut aufbringen, denn ein solcher Notruf schadet dem Unternehmen. Es wird deutlich, dass in der Einrichtung etwas falsch läuft.

Hätte die Pflegerin in dieser Situation noch eine Alternative gehabt?

Das kann ich nicht beurteilen. Es wird von Pflegefachpersonen aber oft erwartet, dass sie in Notfällen Schichten übernehmen. In kollegialen Betrieben funktioniert das, wenn der Frühdienst mal etwas früher kommt oder der Spätdienst länger bleibt. Wenn so etwas aber häufiger passiert und die Fachkräfte vom Management überhaupt keine Unterstützung erfahren, kommt es zu solchen Situationen wie in Lichtenberg. Dann ist das Problem aber nicht nur eines der gesetzlichen Vorgaben, sondern auch eines der Betreiber.

Das Heim wurde in den vergangenen Tagen mit anonymen Beschwerden konfrontiert, die das Haus vehement zurückweist. Eine generelle Frage: Führt die schwierige Situation in der Pflege dazu, dass die Bedürftigen vernachlässigt werden?

Ja, das kann passieren. Es gibt immer wieder Berichte über Verwahrlosung in Pflegeeinrichtungen. Man darf so etwas zwar nicht überdramatisieren und muss diese Vorfälle differenziert betrachten, aber: Wir haben ein grundsätzliches Pflegeproblem, gerade in Langzeiteinrichtungen. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich. In Unternehmen, in denen finanzielle Interessen im Vordergrund stehen und nicht das Wohl der Bewohner, kann es schneller zu solchen Zuständen kommen.

Zu wenig Personal für zu viele bedürftige Menschen. Das ist in den Pflegeeinrichtungen also an der Tagesordnung?

Ja, es gibt eine große Personalnot. Gerade in der Langzeitpflege ist das seit vielen Jahren so. Dementsprechend ist das für mich leider fast schon kein Aufreger mehr.

Für Außenstehende ist es dennoch heftig zu lesen, wenn etwa eine einzige examinierte Pflegekraft nachts allein für alle Bewohner zuständig ist.

Das ist verständlich. Auch wenn noch Hilfspersonen anwesend sind, kann so etwas für Pflegefachpersonen mit Ängsten verbunden sein. Sie tragen die alleinige Verantwortung für Menschen, die häufig nicht in der Lage sind, ihre Bedürfnisse, Ängste oder Schmerzen adäquat zu äußern. Sie entscheiden: Ist das ein Notfall oder nicht? Wir fordern deshalb zusammen mit den Gewerkschaften, dass keine Pflegefachperson nachts allein arbeiten muss. Das gilt für ein Pflegeheim mit 120 Bewohnern, aber auch für eine kardiologische Station im Krankenhaus mit 25 Menschen.

In dem Heim in Lichtenberg gab es in der Nacht des Polizeieinsatzes offenbar einen Todesfall. Ob der mit dem Personalnotstand zusammenhängt, ist noch unklar. Trotzdem: Wie schwer ist es, im Zweifel zu entscheiden, um welche Person man sich kümmert?

Die Vorstellung und der Wunsch vieler Menschen ist es, dass die Bedürftigen im Sterbeprozess angemessen begleitet werden. Dafür ist die Zeit meist nicht da. Die Pflegefachkräfte kommen nur dazu, das zu tun, was unbedingt notwendig ist. Diese Art zu arbeiten, sorgt dafür, dass viele Kollegen ausbrennen und den Job verlassen. Wir sind an einem Punkt, an dem sich viele Kollegen nicht mehr vorstellen können, wie es ist, nach einem ausgewogenen Personalschlüssel zu arbeiten.

Was muss die Politik aus Ihrer Sicht tun, damit sich die Personalsituation beruhigt?

Wir fordern, dass der Beruf aufgewertet wird. Dafür brauchen wir das Pflegekompetenzgesetz. Pflegefachpersonen lernen derzeit viel, verfallen danach aber in einen Verwaltungsmodus. Sie müssen Gestaltungsspielraum bekommen. Man muss dem Personal qua ihrer Ausbildung zutrauen, pflegerische Entscheidungen eigenhändig zu treffen und Pflegeprozesse selbst zu steuern. Dann bleiben sie länger in dem Beruf.

Wie nimmt die Gesellschaft den Beruf aus Ihrer Sicht aktuell wahr?

Es gibt das Bild, dass die Altenpflegerin für "niedrige Arbeiten" tätig ist. Viele Menschen denken, dass Pflegefachpersonen nicht dazu in der Lage sind, Diagnosen zu stellen oder Behandlungstage festzulegen. All das können sie aber. Dieses Bild muss sich ändern. Ich weiß, dass viele dieser Personen Angst haben, das zu äußern. Doch wir müssen darüber reden. Es geht also auch um Berufsstolz und Empowerment der Berufsgruppe.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Heike Prestin, Geschäftsführerin vom Bundesverband für Pflegeberufe Nordost
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