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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Weltmeistertrainer Wohin zieht es Jogi Löw?
Vor 16 Monaten hat Joachim Löw sein Amt als Bundestrainer niedergelegt. Der 62-Jährige wartet immer noch auf das passende Angebot für eine Rückkehr.
50.000 Zuschauer in Stuttgart, 55.000 in Gelsenkirchen, 60.000 in Berlin. Der Gegner? Frankreich, Spanien, Italien oder Brasilien. Ein packender Fußballabend, die Stimmung ausgelassen.
Joachim Löws Abschied als Bundestrainer hätte so schön sein können. Hätte. Denn die Realität sah anders aus. Der langjährige Bundestrainer wurde im November des vergangenen Jahres in Wolfsburg verabschiedet. Vor 26.000 Zuschauern bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Bei einem Spiel gegen Liechtenstein.
Löw in der "emotionalen Pause"
Löw, der beim 0:2 im Achtelfinale der Euro 2021 gegen England sein letztes Spiel an der Seitenlinie absolvierte, bekam immerhin viele Tore zu sehen. Neun Treffer gelangen dem von Hansi Flick trainierten DFB-Team gegen den vermeintlichen Fußballzwerg.
Einige Ex-Nationalspieler waren gekommen, um ihrem Coach noch mal Spalier zu stehen. Darunter die Weltmeister Lukas Podolski, Per Mertesacker, Benedikt Höwedes, Mats Hummels und Sami Khedira. Dennoch war es ein insgesamt leiser Abgang von Löw, der vom damaligen Interimspräsidenten Peter Peters noch eine Urkunde mit dem Titel "Jahrhundert-Trainer" überreicht bekam.
Seit jenem kalten Herbsttag im November ist es noch ruhiger um Löw geworden, als es direkt nach seinem Ausscheiden ohnehin schon war. Nach 15 Jahren in Verantwortung brauchte der langjährige Bundesjogi eine "emotionale Pause", wie er selbst unmittelbar nach seinem letzten Spiel verkündete. "Ich muss die Enttäuschung und die Leere, die kommt, auch zulassen. So ein Turnier schüttelt man nicht in den ersten Tagen ab, da wird man Zeit benötigen."
So war Löw immer. Nach jedem Turnier suchte er die Ruhe, musste Abstand gewinnen vom Trubel der großen Events. Ob 2012, nach dem enttäuschenden Halbfinal-Aus gegen Italien, oder zwei Jahre später nach dem Weltmeistertriumph von Rio. Doch stand in der Vergangenheit immer die nächste EM oder WM schon wieder vor der Tür, so hatte Löw vergangenen Sommer Zeit, sich komplett auf sich und sein Privatleben zu fokussieren.
Keine Anweisungen an "Lionel" und "Kylian"
Öffentliche Auftritte legte Löw in den vergangenen 16 Monaten nur wenige hin. Sein letztes TV-Interview gab er im Rahmen des DFB-Pokalfinals zwischen Leipzig und Freiburg im vergangenen Mai. Er fühle sich wieder bereit, einen Klub zu trainieren, sagte Löw dem TV-Sender Sky. Einen weiteren Job als Nationaltrainer schloss er hingegen aus. "Wenn man mal Trainer von Deutschland war, dann ist es natürlich schwierig, als Nationaltrainer irgendwo anders was Adäquates zu finden", so Löw.
In der vergangenen Bundesligasaison ließ er sich gelegentlich im Stadion blicken. So etwa in seiner Heimatstadt Freiburg beim Duell zwischen dem SC und Union Berlin Anfang Mai. Oder einen Monat zuvor beim Freitagabendspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund.
Doch wo zieht es den gebürtigen Schwarzwälder nun hin? Anfang Juni war der 62-Jährige von mehr oder weniger seriösen Nachrichtenportalen mit dem französischen Spitzenklub Paris-Saint Germain in Verbindung gebracht worden. Ein gefundenes Fressen für die Medienlandschaft (auch t-online berichtete), zu schön war doch die Vorstellung vom Jogi, der "dem Lionel" und "dem Kylian" Anweisungen zuruft.
Doch die Gerüchte aus Frankreich entpuppten sich als Ente. Realistischer schien und scheint da schon ein Engagement in der Türkei zu sein. Das Land, in dem Löw bereits zwei Mal als Trainer tätig war. In der Saison 1998/1999 trainierte er Fenerbahçe Istanbul, von Januar bis März 2001 war er beim damaligen Erstligisten Adanaspor tätig, trat dort vorzeitig zurück.
Ein Grund, warum Löw immer wieder mit einem Job in der Türkei in Verbindung gebracht wird, ist sein Berater. Harun Arslan betreut Löw bereits seit über 20 Jahren – und fädelte Ende der 90er auch dessen Wechsel nach Istanbul ein. Löw selbst zeigt sich derweil komplett bedeckt. Wann und wo der Weltmeistertrainer einsteigt, ist völlig unklar. Genügend Zeit, wieder seinen Akku aufzuladen, dürfte er aber nun gehabt haben.
Löw: "Ich bin bereit"
"Ich habe schon die Intention, wieder eine Aufgabe im Fußball zu übernehmen. Dazu ist der Spaß an diesem Sport zu groß. Ich spüre wieder eine Motivation, wenn ich jetzt Fußball sehe – ein paar Monate war das nicht der Fall", sagte der Ex-Bundestrainer im Kicker-Interview. "Wenn ich das Gefühl habe, eine Aufgabe würde mich reizen, bin ich bereit und greife wieder an." Zuletzt schlug er einen Berater-Job bei seinem Ex-Klub VfB Stuttgart aus.
Dass er allerdings noch vor der kommenden Winter-WM ein Traineramt übernimmt, ist ausgeschlossen, wie er dem "Kicker" bestätigte. Schon im Mai hatte Löw ankündigt, sich das Turnier in Katar vor Ort anschauen zu wollen. "Das habe ich zumindest geplant, wenn ich nicht irgendwo anders tätig bin", so Löw im Mai zu Sky. "Ich habe seit 2006 keine Weltmeisterschaft von außen erlebt. Ich würde schon gerne zu einem Turnier fahren, ohne die ganz große Verantwortung zu tragen. Paar andere Nationen sehen, Deutschland sehen – das würde mir schon Spaß machen."
Spätestens Anfang 2023 dürfe es dann an der Zeit sein, sich neuen Aufgaben zu widmen. Sofern er nicht will, dass ihm mit fortschreitender Zeit das Image des Trainer-Rentners anhaften bleibt. Egal, welchen Klub er dann übernimmt: Das Medienecho wird gewaltig sein.
- Eigene Beobachtungen beim Abschiedsspiel in Wolfsburg
- sky.de: "Löw exklusiv über das DFB-Team und die WM in Katar"
- zeit.de: ""Manchmal liege ich nachts wach. Ich bin doch auch ein Mensch!"" (kostenpflichtig)
- Trainerprofil auf transfermarkt.de
- Kicker-Interview: "Ein Trainer muss sich immer Menschlichkeit erlauben" (kostenpflichtig)
- handelsblatt.com: "Der Türke, dem Jogi Löw die Karriere verdankt" (kostenpflichtig)
- faz.net: "Die Comeback-Gedanken des Joachim Löw"