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Corona-Maßnahmen: Die Regierenden müssen unsere Kinder hassen


Corona-Maßnahmen
Die Regierenden müssen unsere Kinder hassen

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 05.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Schulkinder machen einen Corona-Test: Die Regierenden müssen unsere Kinder hassen, glaubt Nicole Diekmann.Vergrößern des Bildes
Schulkinder machen einen Corona-Test: Die Regierenden müssen unsere Kinder hassen, glaubt Nicole Diekmann. (Quelle: Fotostand/imago-images-bilder)

Das Wohl der Kinder ist der Politik egal. Anders lässt sich das seit nun zwei Jahren andauernde Versagen dabei, Kinder angemessen vor der Pandemie zu schützen, nicht erklären.

Samstagabend. Ein Wohnzimmer irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Ich sitze auf der Couch meiner Freundin Sarah, wir nippen am Sektchen. In eine Bar gehen wir nicht, wir haben weiterhin wenig Interesse an Delta, Omikron und anderen Varianten.

Plötzlich: Einmarsch Johannes, 12, Sarahs Sohn. Mit jubelnd erhobenen Armen erscheint das Kind auf der Bildfläche. Und sagt nur zwei Worte, gefolgt von hörbaren 20 Ausrufezeichen: "Rote Warnapp!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Zwei Worte, die vor zwei Jahren 20 Fragezeichen in unseren Gesichtern erzeugt hätten. Jetzt, im Januar 2022, zaubern sie ein Lächeln auf Sarahs Gesicht. Es herrscht Erleichterung: Johannes wird Montag nicht in die Schule gehen. Alle, mich eingeschlossen, macht das sehr glücklich.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr neues Buch "Die Shitstorm-Republik" ist jetzt überall erhältlich.

Nein, niemand in dieser Szenerie ist faul oder bildungsfern. Johannes ist ein Einser-Schüler. Beide Elternteile sind Akademiker. Und beide sind unglaublich wütend. So wütend, dass es sie inzwischen erschöpft. Denn beide wollen ihr Kind vor Corona schützen. Sie tun das, er selbst auch: Er ist durchgeimpft, trägt brav FFP2-Masken und hält sich an alle Regeln.

Rote Warn-App schützt besser als die Verantwortlichen

Eine rote Warn-App macht ihm und seiner Familie deshalb erstmal keine Angst. Allerdings werden alle Bemühungen ("Eigenverantwortung") und der Wunsch, gesund zu bleiben – man kann es nicht anders auffassen – aktiv bekämpft. Von der Politik.

In NRW herrscht Präsenzpflicht. Die Argumente dafür, dass alle Kinder im Klassenzimmer sitzen müssen, sind gut. Alle sollen trotz Pandemie dieselben Chancen auf Bildung bekommen. Oder präziser: möglichst dieselben Chancen. Wir alle wissen: Die haben sie ja nicht mal in normalen Zeiten. Das deutsche Schulsystem setzt auf Eltern, die zu Hause das ausbügeln, was in der Schule nicht klappt.

Nur ist das in der Schule Sitzen keine so spitzenmäßige Idee. Nach dem bestürzend dümmlich anmutenden Hin und Her in dieser Frage gilt nun wieder Maskenpflicht. Aber auch nicht überall im Schulgebäude. Das Projekt "flächendeckend Luftfilter" ist da versackt, wo längst Glasfaserkabel liegen sollten, damit alle Schulen (verrückte Idee: alle Bürger!) über WLAN verfügen. Also behilft man sich. Es wird gelüftet, es wird gefroren, es wird gehofft, es wird sich angesteckt. Man wird wahnsinnig.

Setzt die Politik heimlich auf Durchseuchung bei Kindern?

Es drängt sich ein Verdacht auf, und zwar ein sehr hartnäckiger: Die Politik verfolgt die wahnwitzige Agenda namens: "Dann stecken sie sich eben an." Die Durchseuchung unserer Kinder wird einfach so hingenommen. Sie findet ja längst statt.

Die Inzidenzen in dieser Altersgruppe sind unglaublich hoch, und noch habe ich keinen Wissenschaftler erlebt (außer vielleicht bei YouTube oder Facebook), der die Hand ins Feuer legen würde für die Aussage, alle Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung nennen zu können.

Was könnte also eine Alternative sein zum Präsenzunterricht? Wechselunterricht. Digitaler Unterricht. Theoretisch. Nur: Da wird es eben noch schwieriger mit der Chancengleichheit. Die Schulen fallen ja quasi komplett aus, sobald Kinder und Jugendliche dort nicht mehr sitzen.

Digitalunterricht? Vergessen Sie's. Klar, sie existieren: die Schulen mit Anschluss an (schnelles) Internet. Mit Direktoren, die noch nicht verzweifelt sind beim Ausfüllen der Unterlagen für Fördermittel aus dem Rohrkrepierer namens "Digitalpakt". Und die dadurch ausgestattet sind mit Endgeräten, die Schüler mit nach Hause nehmen können. Mit Lehrern, die sich eigeninitiativ das Wissen draufgeschaufelt haben, wie man digital unterrichtet.

Es gibt digitalisierte Schulen – aber leider sehr wenige

Aber: Diese Schulen sind Ausnahmen. Die Mischung aus Föderalismus, Gleichgültigkeit und unklarer Aufgabenverteilung führt dazu, dass irgendwie jeder ein bisschen verantwortlich ist. Doch die Macht, den Willen und vor allem den Überblick, um wirklich sinnvoll etwas im Großen und Ganzen zu ändern, hat dabei niemand. Und deshalb passiert eben: gar nichts.

Die Digitalisierung des Bildungssektors ist eine Frage des Geldes, eine Frage der technischen Infrastruktur – vor allem aber eine Frage des Willens, neudeutsch: des Mindsets. Wie egal sie der Politik trotz aller Lippenbekenntnisse ist, sah man gerade erst am Montag, da war nämlich mal wieder Ministerpräsidentenkonferenz. Und auf der anschließenden Pressekonferenz sah man folgende Personen nicht: Volker Wissing (FDP), zuständig für Digitalisierung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), zuständig für Bildung, Karin Prien (CDU), die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz.

Eine Generation wird mutwillig gefährdet und verheizt

Ebenfalls am Montag setzte Berlin die Präsenzpflicht aus, erst einmal bis Mitte Februar. Auf Twitter schrieb zur darauffolgenden Diskussion jemand, sie verstehe nicht, wer jetzt was warum wolle: Sie habe den Eindruck, vormals vom Wechselunterricht überzeugte Leute seien plötzlich dagegen.

Dass Eltern nun gar nicht mehr wissen, wofür sie sein sollen, lässt sich leicht erklären: Sie haben die Wahl zwischen Pest – Kind in die Schule schicken und damit quasi sehenden Auges in die Ansteckung – und Cholera – Kind zu Hause lassen und irgendwie versuchen, das eigene Leben inklusive Beruf mit dem Homeschooling zu vereinbaren. Und zudem zu riskieren, dass das Kind Unterrichtsstoff verpasst. Und sich einsam fühlt.

Jeder ist gegen Pest, aber gegen Cholera auch. Zahllose Eltern sind jetzt alleingelassen mit diesen beiden fürchterlichen Optionen, weil die Politik sich nicht kümmert. Weil sie Kinder hasst.

Anders kann man sich nicht erklären, warum sie im anbrechenden Pandemiejahr Nummer drei eine komplette Generation mutwillig gefährdet. Verheizt.

Johannes darf das erste Mal in knapp sechs Jahren wählen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er die letzten zwei Jahre vergisst. Am Wochenende sagte er: "Ich finde die alle zum Kotzen."

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