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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Investition in die Rüstungsindustrie: die Zeitenwende des Olaf Scholz


Ein neuer Geist für die Zeitenwende
Er hat begriffen, was die Stunde geschlagen hat

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 28.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Mit Verteidigungsminister Pistorius ist er einer der beiden einzigen Klartext-Redner der Bundesregierung.Vergrößern des Bildes
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Mit Verteidigungsminister Pistorius ist er einer der beiden einzigen Klartext-Redner der Bundesregierung. (Quelle: Chris Emil Janssen/imago)

Einen "Standortpatriotismus" hat Robert Habeck vom DFB gefordert. Warum diese Forderung weit über den Fußball hinaus geht – und warum Kanzler und Bundespräsident der Bevölkerung sagen müssen, was das bedeutet.

Als Junge bin ich jeden Morgen um sieben schlaftrunken zum Schulbus gelaufen und an einer Aufschrift an einer Garagenwand vorbeigekommen. "Im Penis steckt das Böse", hatte da jemand hingepinselt, Graffiti gab es damals noch nicht. All die Jahre fragte ich mich Morgen für Morgen, was das denn heißen solle. Bis es mir so allmählich dämmerte, was gemeint sein könnte. Die volle Gültigkeit dieses Satzes steht uns allen heute vor Augen, wenn wir das düstere Weltgeschehen und dessen Akteure betrachten.

Wenn aber im Penis das Böse steckt, dann steckt im Fußball das Wahre. Er ist der Seelenspiegel der Nation, in ihm bildet sich der Zustand des Landes ab. An ihm kristallisieren sich die großen Befunde. Als der DFB dieser Tage bekannt gab, er lasse die Nationalmannschaft künftig die Leibchen des amerikanischen Sportartikelherstellers Nike tragen und nicht mehr die von Adidas aus Herzogenaurach, da appellierte Wirtschaftsminister Robert Habeck an den "Standortpatriotismus", der die Funktionäre von einem solchen Schritt hätte abhalten müssen.

Nun darf man mit einigem Grund die Frage stellen, ob Habeck bei seinem eigenen Tun und Wirken diesen Standortpatriotismus durchgängig an den Tag legt. Unsereins scheint es gelegentlich eher so, dass er sich bei der Wahl zwischen Standort und Klima immer für das Klima entscheidet. Eine Wahl, der dann ein eher globales Heimatverständnis zugrunde liegt.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online schreibt er jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Zugleich, das muss man ihm bescheinigen, ist der Wirtschaftsminister (gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius) einer der ganz wenigen in dieser Bundesregierung, der begriffen hat, was die Stunde geschlagen hat. Und welche Wahrheiten man als verantwortlicher Politiker aussprechen muss.

Pistorius und Habeck benennen die Konsequenzen, die das abstrakte Wort des Bundeskanzlers von der Zeitenwende bedeuten: Die staatlichen Investitionen müssen dramatisch zugunsten einer drastischen Aufrüstung umgeschichtet werden. In den kommenden Jahren wird Wladimir Putin 1,8 Millionen Soldaten an seiner Grenze zum Nato-Gebiet aufbieten und als Bedrohung aufbauen. Deutschland und Europa müssen verteidigungsbereit werden, damit es in den Köpfen der Leute ankommt, spricht Pistorius sogar von Krieg, von der Notwendigkeit, kriegstüchtig zu werden.

Diese Verabreichung eines politischen "Hallo-Wach!" ist dringend geboten. Denn bislang sieht es danach aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht verstanden hat, in welcher neuen Realität wir uns alle zusammen befinden. Und was das für dieses Gemeinwesen bedeutet: Mehr für dieses Gemeinwesen zu tun, und nicht mehr nur lieb gewordene Wohltaten wie selbstverständlich von diesem Gemeinwesen namens Staat zu erwarten.

Immer noch unterwegs in die falsche Richtung

Nichts davon ist im Moment zu erkennen. Im Jahr drei des Ukraine-Kriegs und im Jahr eins einer unmittelbaren Bedrohung auch für den Nato-Raum schafft es ein Gewerkschaftsführer namens Weselsky, die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchzuknüppeln. Eine Vier-Tage-Woche wird von Teilen des politischen Spektrums allen Ernstes als Ziel formuliert. Das Bürgergeld (ein irreführender Begriff, der bedingungslosen Anspruch ohne Gegenleistung wie beim Kindergeld suggeriert) wird um 12 Prozent erhöht, während sich die Inflation wieder normalem Niveau nähert, die Renten ebenso. Familienministerin Lisa Paus will von der Kindergrundsicherung nicht abrücken, die Sozialabgaben gehen Jahr für Jahr abermals in die Höhe. Geld, das für notwendige Investitionen in die Bundeswehr, aber auch in die marode Infrastruktur fehlt.

Neues Verständnis vom Staat als Gemeinschaft

Das geht so nicht weiter. Ein grundlegender Mentalitätswechsel tut Not. Der fängt beim Staatsverständnis an. Der Staat, das ist nicht entweder der Saugrüssel, der uns das Geld aus den Taschen zieht. Oder das böse Monster weit weg von den Menschen, in dem die Politiker ihr Eigenleben führen. Oder die Regenwolke, aus der warmer Geldregen rieselt.

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Der Staat, das sind wir. Alle zusammen. Und seine friedliche Existenz, sein Gedeihen ist eine gemeinsame Aufgabe. Wohlstandserscheinungen und Verdruss (das ist gar kein Gegensatzpaar, das eine erwächst paradoxerweise aus dem anderen) haben dieses Grundverständnis erodieren lassen. Es muss ganz schnell zurückkommen. Wenn Martin Brudermüller, der scheidende Chef von BASF und künftige Aufsichtsratsvorsitzende von Mercedes-Benz, am vergangenen Wochenende in der "FAZ" gesagt hat, ihm fehle in diesem Land (er hat sogar "Nation" gesagt) der "Kampfgeist“, dann meint er damit genau das.

Zu viele in diesem Land haben es sich in Jahrzehnten des Wohlstandes und des Friedens im Ohrensessel bequem gemacht und von dort das Weltgeschehen in der Tagesschau betrachtet, als betreffe es uns nicht. Es betrifft uns aber. Sogar existenziell.

Soziale Segnungen wie das Elterngeld sind Vergangenheit

Und deshalb gehört zur Wahrheit der Zeitenwende: Soziale Segnungen wie die vergangenen Jahre werden nicht mehr möglich sein. Beispiel Elterngeld/Elternzeit. Jedem Paar sei es nach Möglichkeit von Herzen gegönnt, die ersten Monate mit einem Säugling eng und innig zu verbringen. Es ist eine magische Zeit. Aber dieses Instrument, das neun Milliarden Euro im Jahr kostet, hat seinen eigentlichen Zweck komplett verfehlt. Es werden trotz des Elterngeldes nicht mehr Babys in Deutschland geboren. Und der Staat kann in diesen Zeiten ernster ökonomischer und militärischer Bedrohung nicht das Gehalt für zwölf Monate zu zwei Dritteln übernehmen, während der Arbeitgeber den Arbeitsplatz warmhalten muss. Abgesehen davon, dass viele das Elterngeld für einen staatlich subventionierten Familienurlaub in Kanadas Weiten oder sonst wo nutzen. Was schön ist. Aber nicht der Sinn der Sache.

Zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle hat eine Band namens "Geier Sturzflug" ein ironisch gemeines Liedchen davon geträllert, dass jetzt wieder in die Hände gespuckt würde, um das Bruttosozialprodukt zu steigern. Wenn der Geier, der ein Adler ist, nicht wirklich einen Sturzflug hinlegen soll, dann ist es dringend geboten, genau das zu tun, was die Liedzeile ironisiert hat. Junge Menschen sollten bereit sein, statt des gängig gewordenen "Gap Years" ein Jahr Dienst für die Allgemeinheit zu tun, auch und vor allem militärisch. Die Vorschläge der Jungen Union einer Kontingentwehrpflicht gehen da vernünftig und unhedonistisch in die richtige Richtung.

Und dann müsste ein maßgeblicher Politiker den Mumm aufbringen, das alles einmal ganz konkret auszusprechen. Es ist der unverzeihlichste Fehler des Bundeskanzlers, dass er bis heute so tut, als könne sich alles ändern, aber für die Leute bleibt alles gleich. Das ist nicht so. Und mit diesem Illusionstheater muss aufgehört werden. Vom Kanzler. Am besten obendrein vom Bundespräsidenten. Joachim Gauck hätte das getan.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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