Voyeurismus-TV "Promi Big Brother": Wen interessiert das eigentlich noch?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was als skurrile Sonderheit aus den Niederlanden zu uns schwappte, erfreut sich längst auch hier großer Beliebtheit: "Big Brother". Die Promiversion startet nun zum neunten Mal. Warum eigentlich?
Mit einer tiefen Stimme begrüßt "Big Brother" im Befehlston nun schon seit mehr als 20 Jahren seine Bewohner. Seit 2013 sind das auch Promis. Jenny Elvers war die erste, die als bekannte Siegerin aus der Realityshow hervorging. Sie konnte ihr angekratztes Image wieder aufpolieren. Seitdem tun es ihr etliche Promis gleich. Ob wegen des Geldes oder wegen einer Ansehenskur, sie alle versprechen sich etwas vom großen Bruder. Aber was versprechen sich die Zuschauer davon? Und wen interessiert das überhaupt noch?
Wenn man sich auf der Straße oder im Bekanntenkreis umhört, findet man mitunter niemanden, der einschaltet oder der zugibt, einzuschalten. "So etwas gucke ich nicht" oder "Das ist mir zu blöd", bekommt man nicht selten zu hören. Die Zahlen sagen etwas anderes.
Immerhin 1,77 Millionen Menschen schalteten im vergangenen Jahr bei einer regulären "Promi Big Brother"-Folge ein. Das machte einen Marktanteil von 8,0 Prozent aus und das, obwohl zur gleichen Zeit das Finale der Europa League ausgestrahlt wurde. Die Quote stimmt also, sonst würde sich das Format nicht alljährlich wiederholen.
Was ist das Erfolgskonzept der Show?
Warum schalten die Zuschauer immer wieder ein? Medienpsychologe Jo Groebel erklärt dazu auf Anfrage von t-online: "Das Format als solches ist so angelegt, dass ein altes sozialpsychologisches Prinzip genutzt wird. Man sperrt Leute zusammen und lässt sie unter erschwerten Bedingungen, nicht nur die räumliche Enge, sondern auch soziale Herausforderungen erleben." Das rufe bestimmte Dinge aus der Persönlichkeit des Einzelnen hervor, denen man normalerweise nicht begegnet.
Das Ganze habe außerdem Seriencharakter. "Man fiebert mit den Protagonisten mit und verfolgt, was von Folge zu Folge passiert", so Groebel. Es bietet sich, eben ähnlich wie bei Serien, die Möglichkeit Freunde und Feinde zu identifizieren. "Sympathen und Unsympathen bieten eine ganze Bandbreite an Projektionsmöglichkeiten." Außerdem stecke natürlich auch ein zu befriedigender Voyeurismus hinter dem Spaß an solch einer Sendung. "Der Realtheater-Effekt ist das Zentrale daran."
Die Menschen würden dabei nicht, wie so oft von ihnen selbst prophezeit ihr "wahres Gesicht" zeigen, da sie mit unnormalen Situationen konfrontiert werden. Vielmehr zeige sich aber ihr Verhalten im Miteinander. "Wenn Sie Leute in bestimmte Extremsituationen bringen, bekommen Sie Dynamik und das ist immer interessant. Das ist nichts anderes als ein Reality-Drama. Wenn es auch nicht immer um die ganz großen Themen geht."
Dennoch spielen sich im Kleinen gewisse Dramen ab, wenn es zum Beispiel um erotische Anziehung gehe oder Streitigkeiten ausgetragen werden, dann sind das handgemachte Dramen innerhalb dieses Kosmos.
Der Name macht's
Außerdem profitiert "Big Brother" von seinem Namen. Der ist ebenfalls Grund für den Erfolg des Formats. 21 Jahre sind eine lange Zeit, selbst wenn es von 2011 bis 2013 eine "Big Brother"-freie Zeit gab, gilt die Show als sehr langdauerndes Format und kann damit auf den Effekt des Wiedererkennens zählen.
Dabei spielt es gar keine Rolle, wer da mitwirkt, die Sendung an sich trägt den Erfolg und nicht die Protagonisten. So funktioniert auch das Dschungelcamp. Groebel vergleicht den Wiedererkennungswert der Show etwa mit Weihnachtsfilmen. Die Zuschauer seien an Formate gewöhnt, die jährlich wiederkehren und mit denen man eine besondere Tradition verbindet.
Wer zählt zu den Zuschauern?
Eine ganze Weile galt es als ungebildet, Reality-TV zu sehen, es war regelrecht verpönt. "Da sprach man auch von einem Trash-Publikum", so Groebel. Doch im Laufe der Zeit hätten Formate dieser Art "die gesamte Bandbreite eines demografisch zu beschreibenden Publikums abgebildet", selbst Intellektuelle und Akademiker gehörten zum Publikum. Reality-TV wurde lange als Voyeurismus-TV verhöhnt, mittlerweile gehört es allerdings zum absoluten Mainstream, auch wenn viele Zuschauer ihre Sehgewohnheiten lieber für sich behalten.
Einen Dämpfer für Formate dieser Art gab es erst im vergangenen Jahr, als gleich zwei Shows im Fernsehen mit wehenden Fahnen untergingen und für die sich die Verantwortlichen im Nachhinein schämten. Zum einen war das RTLs "Sommerhaus der Stars" und zum anderen das von Sat 1 ausgestrahlte "Promis unter Palmen". Letzteres fiel gleich in zwei Staffeln negativ auf. Mehr dazu lesen Sie hier.
Beide Formate zeigten erschreckendes Mobbing in einer Gruppe. Dabei positionierten sich die vermeintlich Stärkeren gegen die Schwächeren, schön anzuschauen war das nicht. Eingegriffen wurde trotzdem in beiden Formaten nicht, um dem Reality-Charakter nicht in die Quere zu kommen.
Wie sich "Promi Big Brother" gegen den falschen Weg wehren will
"Auf dem Weg zum Spaß muss einen ein gewisser Kompass mit Werten des Geschmacks leiten. Es arbeiten viele Menschen daran, das Ganze unter Kontrolle zu behalten", erklärte Daniel Rosemann, Senderchef von ProSieben nun offenbar gelernt aus der Vergangenheit vor Start der neuen Staffel "Promi Big Brother".
Und wie werde man sich nun verhalten, wenn sich die Protagonisten der Show eben nicht an diesen Kompass halten werden? Wenn es erneut zu Mobbing oder Diskriminierung in der Sendung kommt? "'Big Brother' wird nicht vom Kompass abweichen, er wird zu jeder Zeit eingreifen, wenn Dinge passieren, die uns nicht gefallen und zu denen wir nicht stehen. 'Big Brother' darf alles und darf auch Stopp sagen", erklärte Rosemann auf Nachfrage von t-online.
"Big Brother", damit ist die eingangs erwähnte tiefe befehlende Stimme erwähnt. Sie dient der Redaktion und den Verantwortlichen als Sprachrohr, anders als eben in den üblichen Formaten, kann und soll hier mit jenem Stilmittel direkt eingegriffen werden. "Es gab Situationen, wo wir mit uns gerungen haben und da wurde auch gehandelt. Bei diesem Format kann 'Big Brother' sanktionieren", erklärt Moderatorin Marlene Lufen. Ihr Kollege Jochen Schropp ergänzt: "Wenn wir das Gefühl haben, es drohen Dinge, die uns nicht gefallen, zu passieren, dann greifen wir ein. Wir machen trotzdem Reality und Unterhaltung. Hier dürfen Menschen weinen, streiten und lachen. Wir wollen das pure Leben zeigen."
- Eigene Recherche
- Interview mit Medienpsychologe Prof. Dr. Jo Groebel
- Sat.1: Pressekonferenz zu "Promi Big Brother"
- Quotenmeter: "'Promi Big Brother' steigert sich auf zweitbeste Quote der Staffel"