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Nancy Faeser | Demokratiefördergesetz: Gut gemeint, schlecht gemacht


Meinung
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Faeser will die Demokratie retten
Gut gemeint, aber schlecht gemacht

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

26.03.2024Lesedauer: 5 Min.
Nancy Faeser: Sie ist die Bundesinnenministerin.Vergrößern des Bildes
Nancy Faeser: Die Bundesinnenministerin (SPD) will die Demokratie per Gesetz stärken. (Quelle: IMAGO/RAINER UNKEL/imago-images-bilder)

Nicht nur die Parteien der Mitte stehen unter Druck von rechts, auch unser demokratisches System wird attackiert. Nancy Faeser will die Demokratie schützen. Das ist gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Sie kennen Tim Bendzko, oder? Den Singer-Songwriter aus Berlin. Nancy Faeser kennen Sie auch, unsere Innenministerin. Was verbindet die beiden? Ihre hochgesteckten Ambitionen. "Muss nur noch kurz die Welt retten ...", sang Bendzko vor Jahren in seiner sanften Soul-Ballade. Faeser muss noch kurz die Demokratie retten, vor der nächsten Wahl. Wer weiß, was danach kommt.

Sorry, unsere Demokratie ist natürlich eine ernste Angelegenheit. Fake News, Hass-Postings, Russen-Propaganda, Höcke, Rechtspopulismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Kritik an der Ampel – überall lauert die Gefahr. Aber wir haben Nancy Faeser, und die hat einen Plan: die Feinde der Demokratie bestrafen, ihre Freunde belohnen. Den Plan schauen wir uns näher an.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Jeden Dienstag erscheint bei t-online seine Kolumne "Elder Statesman".

Zunächst das strenge Gesicht der Nancy Faeser. Als Innenministerin ist sie eine Art oberste Polizeichefin im Lande. Polizei und Staatsanwälte werden tätig, wenn der Verdacht besteht, dass Menschen Straftaten begehen: Volksverhetzung, Bedrohung, Nötigung, Beleidigung. Das alles ist verboten, auch wenn es um Politik geht. Es kommt aber trotzdem vor, insbesondere in den mehr oder weniger sozialen Netzwerken. Der Rechtsstaat kümmert sich darum. Er arbeitet langsam, aber beharrlich.

Faeser ist das nicht genug. Sie will nicht nur Menschen bestrafen, die sich strafbar machen. Sondern auch Leute, die schlechte Gedanken haben, die abseitige Sachen sagen, die sich in der rechten Ecke tummeln. Manchmal sitzt Ihnen so einer in der Straßenbahn gegenüber und meckert vor sich hin: Alles Verbrecher in Berlin, stopfen sich die Taschen voll, sollte man alle einlochen, und so weiter – prolliges Gebrabbel bis zur Endhaltestelle. Oder die Salon-Rechten, die akademisch und gewieft daherkommen, immer Zahlen, Daten und Fakten zur Hand haben, die den Kanzler für einen Kasper halten, Baerbock für ein Dummchen und die den Bundestag die Quasselbude nennen – das ist ihr Ausweis historischer Bildung, Kaiser Wilhelm II. hat den verächtlichen Begriff geprägt.

Faesers Kettenhund

Es sind Menschen, die den Staat verhöhnen. "Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen", forderte Faeser auf einer Pressekonferenz. Sie hatte Thomas Haldenwang mitgebracht, ihren Kettenhund – Pardon, den Präsidenten des Verfassungsschutzes. Er sagte, der Staat müsse sich nicht nur gegen Gewalt wenden, sondern auch gegen "verbale und mentale Grenzverschiebungen". Auch ein Handeln unterhalb der Strafbarkeitsschwelle könne "staatswohlgefährdend" sein.

Die Gedanken sind frei? Das ist keine Soul-Ballade von Tim Bendzko, sondern eines der schönsten deutschen Volkslieder. Frau Faeser und Herr Haldenwang stimmen da nicht mit ein.

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Faeser stammt aus Bad Soden in Hessen, Haldenwang aus Wuppertal. Wären sie im Osten aufgewachsen, hätten sie sicher noch eine Erinnerung an den Paragrafen 106 des Strafgesetzbuchs der DDR. Staatsfeindliche Hetze hieß das Delikt, geahndet wurde jegliche Aufwiegelung gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung. Nein, keine abwegigen Vergleiche! Es geht nur darum, etwas zu verstehen: Viele Ostdeutsche haben aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen eine Aversion gegen Politiker, die mit dem Geheimdienst kommen, um das System zu schützen. Das hilft auch nicht, die AfD zu verhindern.

Jetzt das andere, das gütige Gesicht der Nancy Faeser. Wieder eine Pressekonferenz, diesmal zusammen mit Lisa Paus, ihrer (grünen) Kollegin aus dem Familienressort. Die beiden haben gute Nachrichten: Wer der Demokratie hilft, wird belohnt. Zum Beispiel, wer sich dafür einsetzt, dass queere Menschen zu Mentor:innen ausgebildet werden. Oder wer eine Bundesjugendkonferenz für Romnja und Roma, Sintizze und Sinti veranstaltet (alles korrekt gegendert!). Oder wer sich, wie ein Verein in Berlin, in Schulen für einen Perspektivwechsel und mehr Ambiguitätskompetenz im Nahostkonflikt einsetzt – was immer das heißt.

Hilfe für die rotgrüne Familie

"Demokratie leben" heißt das Programm, mit dem diese und etwa 700 andere Projekte gefördert werden. 182 Millionen Euro stehen dafür jedes Jahr bereit. Da ist sicher auch Sinnvolles dabei. Aber wer die Liste der geförderten Projekte und Organisationen durchscrollt, dem fällt auf, dass aus der Sicht von Nancy Faeser und Lisa Paus der Demokratie am besten geholfen wird, indem der Staat Leuten Geld gibt, die im weiteren Sinne zur rotgrünen Familie gehören. Tante Nancy und Tante Lisa lassen ihre Nichten und Neffen nicht im Stich.

Das Programm gibt es schon seit 2015. Aber jetzt wollen Faeser und Paus nachlegen: Künftig soll die Projektförderung nicht mehr befristet werden. Das erspart den vielen Gruppen und Vereinen, die sich unter dem Label Zivilgesellschaft versammeln, die Mühe, ihre Anträge von Zeit zu Zeit zu begründen. Und ihre Aktivisten werden quasi als freie Mitarbeiter in den öffentlichen Dienst übernommen. Praktisch.

Das "Demokratiefördergesetz" ist im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbart. Aktuell zicken die Liberalen allerdings etwas. Sie haben wohl gemerkt, dass die Demokratie nicht käuflich ist. Und dass die Gedankenpolizei nicht ihr Freund und Helfer ist.

Aber was dann? Wie umgehen mit rechten Rassisten, rechten und linken Antisemiten, Lügnern auf TikTok, "Reichsbürgern" und Spitzenkandidaten der AfD bei Landtagswahlen?

Die Demokratie hat Gesetze, sie braucht keine Sondergesetze für ihre Gegner. Wo die Gesetze nicht ausreichen, kann das Parlament sie ändern. Juristen weisen zum Beispiel darauf hin, dass im (theoretischen!) Fall einer antidemokratischen Mehrheit im Bundestag die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts zu leicht ausgehebelt werden könnte. Ein Lob für Nancy Faeser: Diese Schwachstelle zu beheben, ist einer der wenigen vernünftigen Punkte in ihrem Programm.

Demokratie ist die Herrschaft der Mehrheit. Und sie schützt Minderheiten. Klingt simpel, kann aber sehr schmerzhaft sein. Denn: Auch die AfD ist eine Minderheit. Im Bundestag hat sie Rechte und Ansprüche als Opposition. Sie darf einen Vizepräsidenten des Parlaments stellen, in drei Ausschüssen hat sie das Vorschlagsrecht für den Vorsitz. Ihre Desiderius-Erasmus-Stiftung hat prinzipiell denselben Anspruch auf staatliche Finanzierung wie die anderen parteinahen Stiftungen, die jedes Jahr über 600 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt bekommen.

Kein Cent für die AfD-nahe Stiftung

Tatsächlich bekommt die AfD-nahe Stiftung keinen Cent aus dem Haushalt, weil die Parteien der Mehrheit sie mit allerlei Tricks ausbremsen. Die AfD besetzt auch keinen Ausschussvorsitz, weil die Abgeordneten der Mehrheit es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, einem rechten Politiker zu seinem Recht zu verhelfen. Wer aber die Regeln des Parlaments je nach politischem Gusto anwendet oder außer Kraft setzt, nimmt es mit der Demokratie nicht so genau. Und liefert der AfD die Argumente frei Haus.

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Wer die Demokratie stärken will, muss ihre Institutionen stärken und deren Regeln beachten. Und die Unabhängigkeit der Justiz sichern. Und die Freiheit der Medien verteidigen. Und die rechte Opposition nicht verbieten, sondern politisch bekämpfen. Das alles hilft gegen die unselige Melange aus Kriminellen, Verirrten und völkischen Extremisten, die gegen die Demokratie Front machen. Mehr braucht es gar nicht. Unsere Demokratie ist kein Betreuungsfall der staatlichen Fürsorge.

Glauben Sie eigentlich, dass Tim Bendzko die Welt gerettet hat? Immerhin, mehr als zehn Jahre nach seinem Lied ist sie noch nicht untergegangen. Meine Prognose: So ähnlich wird es der Demokratie ergehen. Die wird auch in zehn oder zwanzig Jahren noch sehr lebendig sein. Das hat dann aber nichts mit Nancy Faeser zu tun.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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