Massiver Pfleger- und Ärztemangel "Ich wünsche uns allen, nicht krank zu werden"
Die ärztliche Versorgung und Pflegesituation entwickeln sich zum Desaster. t-online-Leser, darunter zwei Ärzte und eine Krankenschwester, klagen ihr Leid.
Das Gesundheitswesen hat bereits ein großes Problem, in Zukunft wird es gewaltig sein. Momentan gibt es rund fünf Millionen Pflegebedürftige, die zwölftausend unbesetzten Stellen gegenüberstehen. In den kommenden Jahrzehnten werden Prognosen zufolge Hunderttausende Pflegekräfte fehlen. Hinzu kommt der allseits beklagte Ärztemangel.
Auch in der Leserschaft sind die Probleme bekannt. Nach Florian Harms' viel gelesenem "Tagesanbruch" erreichten t-online zahlreiche Zuschriften, die verdeutlichen: Es muss sich dringend etwas tun!
"Man kann nicht laut genug trommeln"
Gabriele Schütz schloss 1986 ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab. "Ich war voller Ideale und die Bezahlung war Nebensache. Ich wollte ein wertvolles Mitglied der sozialen Gemeinschaft Deutschlands sein", schreibt sie. 2013 wurde eine anerkannte Berufskrankheit bei der t-online-Leserin diagnostiziert, seitdem kann sie den Job nicht mehr ausüben.
"Man kann nicht laut genug trommeln und diese prekäre Lage zur Sprache bringen. Auch wenn ausländische Fachkräfte nützlich wären, werden sie nicht in der Pflege bleiben. Die miese Bezahlung, der angespannte Wohnungsmarkt und die schriftliche Dokumentationspflicht auf Deutsch werden sie fernhalten." Letzteres ärgert sie besonders. "Den deutschen Zettel- und Gesetzeswald durchblickt keiner und den Patienten hilft es nicht."
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"Den Fachkräftemangel hat man quasi selbst beschlossen"
Walter Hauf arbeitet als Arzt und schildert seine Perspektive auf den eklatanten Missstand: "Während kommunal getragene Einrichtungen und Krankenhäuser über Steuergelder massiv gestützt werden, müssen Arztpraxen irgendwie über die Runden kommen. Das ist einer der wesentlichen Gründe für den Mangel an Nachfolgern."
Zudem beklagt der Orthopäde und Psychotherapeut: "Über Arbeitszeitgesetze, die insbesondere in den Kliniken eine deutlich höhere Zahl an Pflegepersonal und Ärzten erfordert, hat man quasi den Fachkräftemangel selbst beschlossen. Wenn man solche Gesetze erlässt, sollte man auch im Vorfeld für die notwendigen Ressourcen sorgen, sprich Personal ausbilden." Die Zeiten, in denen es mehr Bewerber als Ausbildungsplätze gab, seien jedoch längst vorbei.
"Warum muss der Staat für alles verantwortlich sein?"
Anna Schühle besucht mindestens einmal pro Woche eine 92-Jährige im Pflegeheim, obwohl diese nur eine entfernte Bekannte ist. "Als praktizierende Christin fühle ich mich für sie verantwortlich und versuche, ihr bei jedem Besuch das Leben freudiger zu gestalten und sie im Alltag ein wenig zu begleiten." Die Töchter der Dame ließen sich hingegen nur sehr selten blicken, wofür die t-online-Leserin kein Verständnis hat.
Es führt sie zu der Überlegung: "Warum appelliert niemand an die persönliche Verantwortung den Eltern gegenüber? Warum muss der Staat für alles verantwortlich sein? Es werden immer mehr Wohltaten geschaffen und dadurch auch ein Anspruchsdenken generiert. Eigenverantwortung ist zum Fremdwort geworden. Selbstverwirklichung ist angesagt, Mitmenschlichkeit bleibt auf der Strecke."
Sie selbst habe sich geschämt, einen Elternteil ins Pflegeheim "abzuschieben", wie sie sagt. "Mit großer Kraftanstrengung habe ich es geschafft, trotz Berufstätigkeit und eigener Familie mit zwei Kindern, meine Eltern zu pflegen."
"Ich wünsche uns allen, nicht krank zu werden"
Christoph Schönle ist 71 Jahre alt und leistet als Arzt immer noch Nachtdienste, weil es zu wenig Personal gebe. "Auch im Tagdienst muss ich mitunter einspringen, wenn Kollegen krank sind", berichtet er. Er setze sich der Belastung aus, weil er Anerkennung und Dankbarkeit von Kollegen sowie manchmal auch von Patienten bekomme.
Doch nicht nur die Ärzteschaft habe ein Problem. "Die Pflege ist ebenfalls ständig unterbesetzt, komplett unterbezahlt und durch die Arbeitsbelastung in Form von Schicht-, Wochenend- und Feiertagsdiensten sehr gestresst. Dazu kommt die seelische Belastung wegen medizinisch schweren Fällen wie Schwerkranken und Sterbefällen sowie mangelnder Anerkennung der Klinikleitungen."
Der t-online-Leser fragt sich: "Wie kann man mehr Anerkennung, eine vernünftige Bezahlung der Pflege und eine bessere Organisation des Klinikalltags erreichen? Wie kann man Mitarbeiter für diese aufreibende Tätigkeit gewinnen, wo doch schon die (etwas) besser bezahlten Ärzte nicht aufzutreiben sind?"
Die Politiker interessiere das nicht, denn der (gesunde) Wähler wolle mit diesem Thema nicht behelligt werden, geschweige denn höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. "Also wird sich leider nichts ändern", lautet Christoph Schönles pessimistisches Fazit. "Ich wünsche Ihnen und uns allen daher, nicht krank und nicht zum Pflegefall zu werden."
- Zuschriften von t-online-Lesern