Spitzenmanager Uwe Hochgeschurtz "Man rollt Chinas Autobauern den roten Teppich aus"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auf der IAA zeigen chinesische Autobauer ihre neuen Modelle, während europäische Hersteller fehlen. Stellantis-COO Uwe Hochgeschurtz über aktuelle Risiken und Stärken.
Drinnen verlief alles wie immer. Die Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung IAA war steif wie ein Hemdkragen. Bundeskanzler Scholz sprach ein Grußwort, es gab mahnende Worte der Branchenvertreter und einen Gang über die Messe. Draußen hingegen, auf der Straße, will die IAA nun bunt, urban und sauber sein. Und noch etwas ist neu: Mit Marken wie BYD, Great Wall, FAW oder Xpeng stellen immer mehr junge Marken aus China ihre neuen Modelle aus – während etablierte Hersteller aus Europa fehlen.
Was bedeutet das? Im Interview mit t-online spricht Stellantis-COO Uwe Hochgeschurtz über die aktuelle Situation der Autobranche.
t-online: Noch vor wenigen Jahren konnten die Bühnen und Messeauftritte nicht groß genug sein: Auf der IAA zeigte vor allem die europäische Autobranche gerne ihre Macht und Stärke. Nun sieht Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VdA), stattdessen den Autostandort Deutschland in Gefahr. Teilen Sie diese Einschätzung? Und was ist nötig, um ihn zu retten?
Uwe Hochgeschurtz: Europa muss dringend an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten und ist leider momentan nur noch führend bei der Anzahl der Regularien. Die Energiepreise sind viel zu hoch – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas. Deutschland belegt hier aber klar den Spitzenplatz. Gleichzeitig tut die Europäische Union alles, damit Hersteller aus Süd- und Ostasien nach Europa kommen: Man rollt ihnen den roten Teppich aus.
Stellantis schnell erklärt
Der multinationale Automobilhersteller ging 2021 aus der Fusion der PSA-Gruppe (Peugeot, Citroën, DS, Opel/Vauxhall) und Fiat Chrysler Automobiles (Fiat, Chrysler, Jeep, Dodge, Ram, Alfa Romeo) hervor. Das Unternehmen mit Sitz in Amsterdam (Niederlande) erzielt einen Umsatz von rund 150 Milliarden Euro pro Jahr und ist der viertgrößte Autohersteller der Welt.
Inwiefern?
Indem man günstigere Importzölle gibt, als wir sie umgekehrt auf den Heimatmärkten der neuen Konkurrenten vorfinden. Das sind beste Bedingungen, damit sie Fuß fassen können.
Natürlich hat Europa auch Standortvorteile, beispielsweise die hohe Qualifikation der Fachkräfte und unsere Infrastruktur. Tesla-Chef Elon Musk etwa entschied sich ja aus guten Gründen für einen Standort in Grünheide vor Berlin. Trotzdem: Welche Folgen befürchten Sie?
Die Entwicklungen führen unweigerlich dazu, dass für Hersteller und Zulieferer die Standortbedingungen in Europa schlechter werden. Starke Regulierung und teure Energie sind nicht gut für das Investitionsklima. Viele Hersteller werden sich daher überlegen, wo sie künftig investieren.
Das ist Uwe Hochgeschurtz
Uwe Hochgeschurtz (60) leitet seit 2022 das Europageschäft des 14-Marken-Konzerns Stellantis (unter anderem Opel, Peugeot, Fiat). Zuvor war der Kölner unter anderem bei VW, Ford und als Vorstand bei Renault beschäftigt. An Spieltagen der Fußball-Bundesliga drückt der verheiratete Familienvater (drei Kinder) dem 1. FC Köln die Daumen.
Nachdem wiederum viele dieser Produzenten hier Milliardengewinne einfuhren. Sehen Sie bestimmte Hersteller oder Zulieferer akut bedroht?
So weit würde ich nicht gehen. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Auch ein Konzern muss einmal über eine Durststrecke hinwegkommen. Dennoch: Globale Player wie Stellantis mit seinen starken Marken und seiner starken Position in den verschiedensten Regionen werden sich vor ihren nächsten Investitionen genau anschauen müssen, wo die besseren Standortbedingungen herrschen. Und dann wird entschieden.
Der rote Teppich ist derzeit auch in München ausgerollt: Auf der IAA zeigen viele Automarken ihre neuen Modelle. Einige große Namen aus Europa fehlen, dafür sind viele Hersteller aus China vertreten. Sie haben deren Autos gesehen. Ihr Urteil?
Was wir hier sehen, ist sehr interessant. Es gibt viele neue Modelle mit spannenden Technologien, gerade in Bezug auf batterie-elektrische Fahrzeuge. Die chinesischen Hersteller hatten viele Jahre lang Zeit, diese Technologien auf ihrem Heimatmarkt auszureifen – und sie zum Großteil abzuschreiben. Diese Kombination aus langjähriger Erfahrung, Abschreibungen und niedrigen Energiekosten führt dazu, dass die Autos um bis zu einem Viertel günstiger angeboten werden als Produkte aus Europa.
Das klingt nicht so, als hätten Sie dem viel entgegenzusetzen?
Natürlich sind unsere Produkte technisch ausgereifter. Wir bieten vieles an, was die Konkurrenz nicht hat.
Zum Beispiel?
Unsere Qualität ist besser. Unsere Restwerte sind es auch. Wir haben starke und traditionelle Marken im Portfolio und sind bei der Elektrifizierung sehr weit. Nur zwei Beispiele: Der Opel Astra Sports Tourer Electric, ein in Deutschland entwickelter und gebauter voll-elektrischer Kombi. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, denn ein solches Produkt haben unsere chinesischen Wettbewerber zurzeit nicht. Oder der Fiat 500 Elektro. Aber am Ende entscheidet natürlich der Kunde. Und die niedrigen Preise der Fahrzeuge aus China sind eine Folge unserer Industrie- und Wirtschaftspolitik.
Restwert schnell erklärt
Der Restwert eines Fahrzeugs ist der geschätzte Geldbetrag, den es am Ende seiner Nutzungsdauer voraussichtlich noch wert ist. Er basiert auf verschiedenen Faktoren wie Alter, Zustand, Kilometerleistung und Nachfrage und beeinflusst den Wiederverkaufswert.
Genau wie die Erderwärmung. Neben vielen chinesischen Marken wird es deshalb wohl weitere neue Gäste auf der IAA geben: die Aktivisten der "Letzten Generation". Wie bewerten Sie diese Protestbewegung und ihre Aktionen?
Stellantis bekennt sich zur Bekämpfung des Klimawandels. Wir haben in unserem Strategieplan "Dare Forward 2030" das Ziel festgelegt, bis 2038 Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen. Schon 2030 verkaufen wir in Europa nur noch elektrische Pkw. Die Welt würde sich signifikant ändern, wenn wir nicht gegen den Klimawandel kämpfen würden. Das wollen wir nicht. Wir wollen dazu beitragen, das Problem zu lösen.
Aber noch einmal: Wie bewerten Sie die Aktionen der "Letzten Generation"?
Ich will mich dazu nicht politisch äußern. Ich sage nur: Ja, Regularien muss es geben. Die Erderwärmung ist reell. Wir respektieren diese Regularien selbstverständlich. Aber ich fordere auch von allen politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen: Wir brauchen Stabilität. Je mehr Stabilität und damit Möglichkeiten zu investieren wir haben, desto eher werden wir das Problem des Klimawandels in den Griff bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Persönliches Gespräch
- Nachrichtenagentur dpa