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HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

Friedrich Merz als Kanzler: Wahrscheinlich oder Fantasie?


Vorteil Merz
Er wird Scholz beerben

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

07.05.2024Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Friedrich Merz: Beim Parteitag der CDU wird ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Am Montag hat die CDU Friedrich Merz zum zweiten Mal zum Parteivorsitzenden gewählt. Das Ergebnis: eindrucksvoll. Aber Merz will mehr. Er will Kanzler werden. Wird er es? Und: Kann er das?

Ich falle gleich mal mit der Prognose ins Haus: Ja, Friedrich Merz wird spätestens im nächsten Jahr Nachfolger von Olaf Scholz. Das ist eine Prognose, keine Empfehlung. Wenn ich persönlich ein Anforderungsprofil für den zehnten Bundeskanzler unserer Republik entwerfen sollte, wäre ein 68-jähriger Sauerländer mit reichlich Berufserfahrung in der Hochfinanz, der seine Dienstreisen am liebsten am Steuerknüppel eines zweimotorigen Privatflugzeugs absolviert, nicht der Topkandidat. Da könnte ich mir einen Menschen, egal ob Mann oder Frau, aus der nächsten Generation eher vorstellen. Er oder sie müsste auch nicht im Big Business zu Hause sein, Alltagserfahrungen im Umgang mit knappen Eurobudgets wären mir wichtiger. Vielleicht jemand, der schon mal mit der S-Bahn zur Arbeit gefahren ist? Sauerland wäre aber okay.

Aber wir suchen keinen Abteilungsleiter für die mittelständische Schraubenfabrik in Olpe, sondern den Chef der Bundesrepublik Deutschland. Und das läuft politisch anders. Warum läuft es also pfeilgerade auf Friedrich Merz zu?

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman". Alle Texte lesen Sie hier.

Sie teilen wahrscheinlich meine Annahme, dass die Ampelkoalition keine zweite Chance bekommt. Sie hat keinen guten Job gemacht, die Partner wollen auch gar nicht mehr. Christian Lindner und Robert Habeck würden vermutlich eher die Wahl anfechten, als sich noch einmal miteinander in eine Regierung einsperren zu lassen. Der Einzige, der noch an die zweite Amtsperiode von Olaf Scholz glaubt, ist Olaf Scholz. Aber einer muss ja der Letzte sein.

Die SPD wird auch nicht wieder stärkste Fraktion im Bundestag – 2021 war eine Sondersituation. Die Ära Merkel ging zu Ende, CDU und CSU trugen einen erbitterten Streit aus, Armin Laschet war der falsche Kanzlerkandidat. So konnte Scholz mit 25,7 Prozent der Stimmen Kanzler werden. Diese Geschichte wiederholt sich nicht. Und die Grünen? Die diskutieren zwar intern darüber, ob sie wieder mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin in die nächste Wahl gehen sollen oder ob Robert Habeck seine Chance bekommt. Aber nach drei Jahren Regierungsbeteiligung ist im Land kein lauter Ruf nach einem Kanzler oder einer Kanzlerin mit grünem Parteibuch zu vernehmen. Nicht einmal ein leiser.

Dann wird die Union auch den Kanzler stellen

Die Union ist aktuell die stärkste politische Kraft in Deutschland. Alles spricht dafür, dass sie im nächsten Bundestag die größte Fraktion bilden wird. Dann wird sie auch den Kanzler stellen. Aber klar, Friedrich Merz ist nicht der Einzige, der dafür infrage kommt. Was ist mit Markus Söder, was ist mit Hendrik Wüst? Ein, zwei andere werden auch noch genannt, wie Daniel Günther aus Schleswig-Holstein oder Boris Rhein aus Hessen, aber das sind krasse Außenseiter, praktisch chancenlos.

Zunächst Söder: Der bayerische Ministerpräsident wiederholt seit Monaten gebetsmühlenartig, sein Platz sei in Bayern. Das hat er vor der letzten Wahl allerdings auch gesagt, dann zettelte er den giftigen Kleinkrieg gegen Laschet an. Söder weiß, dass er damit einen maßgeblichen Beitrag zur Niederlage der Union geleistet hat. Mit Merz ist er sich einig: Das wird uns beiden nicht passieren. Und er akzeptiert, dass der CDU-Vorsitzende unter normalen Umständen den ersten Zugriff auf die Kandidatur hat. Die Umstände sind durchaus normal.

Wüst, der Merkelianer

Hendrik Wüst wäre einer aus der nächsten Generation. Er amtiert erfolgreich als Ministerpräsident im größten Bundesland, hat also – im Gegensatz zu Merz! – Regierungserfahrung. Aber Wüst gilt in der CDU als "Merkelianer" und die Partei will kein Revival der Ära Merkel. Merz steht für eine andere CDU: konservativer, profilierter, klarer im Ton. Ich frage mich allerdings, ob er seine Partei tatsächlich in eine neue Ära führt oder ob sein Weg zurückgeht in die Zeit vor Merkel. Die CDU teilt solche Bedenken nicht. Die Botschaft, die von ihrem Parteitag ausgeht, ist klar: Friedrich Merz ist unser Mann. Die Kanzlerkandidatur ist ihm kaum noch zu nehmen.

Wird er dann auch Kanzler? Natürlich kann bis zur Wahl in anderthalb Jahren noch viel passieren. Kriege, Katastrophen, Pandemien sind nicht kalkulierbar. Vielleicht zerbricht die Ampelkoalition auch vorher, weil sie keinen Bundeshaushalt mehr hinbekommt. Dann läuft es ohnehin auf Merz zu. Aber abgesehen von allem Unvorhersehbaren sind noch drei Risiken erkennbar.

Erstens: das Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet demnächst über das neue Wahlgesetz, das die Ampelkoalition gegen die Stimmen der Opposition im Bundestag beschlossen hat. Wenn es so bestätigt wird, könnte es theoretisch passieren, dass die CSU im nächsten Bundestag gar nicht mehr vertreten ist, dann würden sich die Mehrheitsverhältnisse noch einmal völlig neu sortieren. Die Details sind Stoff für eine eigene Kolumne. Aber gerade, weil das passieren könnte, wird das Verfassungsgericht nach menschlichem und juristischem Ermessen dieses Gesetz nicht absegnen. Also: geringes Risiko.

Zweitens: die SPD. Es könnte ja sein, dass die Sozialdemokraten in einem Anflug von politischem Machtwillen den Kanzler wechseln. Pistorius statt Scholz. Daraus ergäbe sich eine völlig neue politische Lage. Pistorius ist populär, er genießt Vertrauen, er kommuniziert verständlich – alles im Gegensatz zu Scholz. Nur: Der Chef des Militärs wird nicht putschen, Scholz wird nicht aufgeben, die SPD wird den Ernst der Lage nicht erkennen. Also: sehr geringes Risiko.

Der messerscharfe Analytiker gewissem Risiko

Drittens: Friedrich Merz. Der Mann ist intellektuell brillant, ein messerscharfer Analytiker, ein sehr guter Redner. Im Bundestag ist er Scholz hart angegangen: "Sie können es nicht! Sie sind ein Klempner der Macht!" So tritt ein Oppositionsführer auf, ein Kanzler eher nicht. Und Merz' Lust an der provokanten Formulierung geht bisweilen mit ihm durch. Er nannte ukrainische Flüchtlinge Sozialtouristen. Jungen aus migrantischen Familien bezeichnete er undifferenziert als kleine Paschas. Er behauptete, Einwanderer ließen sich auf Kosten der Sozialkassen die Zähne machen, während Deutsche keinen Termin beim Zahnarzt bekämen. Bei der AfD geht so was als Meinungsäußerung durch. Eine CDU, die regieren will, darf nicht mit falschen Tatsachenbehauptungen Stimmung machen.

 
 
 
 
 
 
 
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Das Merz-Risiko muss Friedrich Merz selbst beherrschen, indem er sich beherrscht. Nichts gegen eine Portion Leidenschaft und Temperament im Kanzleramt. Aber ein Feuerkopf, der sich nicht im Griff hat, ist für dieses Amt ungeeignet. Da lassen wir uns am Ende doch eher von Scholz sedieren.

Wenn Merz Kanzlerkandidat wird und die Union die stärkste Fraktion im Bundestag stellt, dann braucht er immer noch einen, vielleicht sogar zwei Partner zum Regieren. Wie sähe die Merz-Koalition aus? Aus heutiger Sicht würde sein Wunschbündnis mit der FDP an der Schwäche der Liberalen scheitern. Mit der SPD ginge es. Früher nannte man das Große Koalition. Ein Kanzler Merz wäre in dieser Konstellation näher bei Merkel, als er sich das wünschen kann. Aber für Koalitions-Arithmetik ist es eigentlich noch zu früh, da gibt es fürs Erste viel zu spekulieren, wenig zu analysieren.

Merz und die Frauen

PS: Gegen Friedrich Merz als Kanzler(kandidaten) wird oft angeführt, er komme bei Frauen nicht an. Also politisch. Eine Frau hat da jetzt ein klares Zeichen gesetzt: Charlotte Merz, Vorsitzende Richterin am Amtsgericht Arnsberg, seine Ehefrau. Die beiden sind seit über 40 Jahren ein Paar, und sie hat "Bild am Sonntag" einen Einblick ins Private gegeben. Die Botschaft: Friedrich ist ein guter Ehemann. Ob das hilft? Schaden kann es jedenfalls nicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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