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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Jugendtrainer von Reus erinnert sich "Marco war unser Regisseur, Antreiber und Vollstrecker"
Vom ganz normalen Jungen zur BVB-Legende – vor dem letzten Heimspiel von Marco Reus blickt sein Jugendtrainer zurück auf den Start der Ausnahmekarriere.
Mit seinem letzten Heimspiel für Schwarz-Gelb wird Marco Reus Borussia Dortmund und seine Fans am Samstag (18. Mai) in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzen. Der Abschied von seinem Herzensklub ist auch Anlass, zurückzublicken – etwa auf die Anfänge seiner Karriere, als Reus als Jugendlicher vom BVB zunächst aussortiert worden war und bei Rot-Weiss Ahlen, dem früheren LR Ahlen, sein Glück fand.
Hier erwarb er sich ab dem Jahr 2005 das Rüstzeug für die spätere Profikarriere. Und hier wurde er schon in jungen Jahren im Rekordtempo zum "Regisseur, Antreiber und Vollstrecker", wie sich sein damaliger Trainer Martin Hanskötter im Interview mit t-online erinnert. Hanskötter ist heute 58 Jahre alt und kümmert sich als Koordinator beim VLFW-Kreis Beckum um die Aus- und Fortbildung und damit um den Trainernachwuchs. Mitte der 2000er-Jahre er Wegbegleiter von Marco Reus in Ahlen und trainierte ihn unter anderem in der U19-Bundesliga.
t-online: Herr Hanskötter, Sie haben als Jugendtrainer einige Talente gesehen. War Marco Reus der Beste?
Martin Hanskötter: Wir hatten in der Tat in Ahlen einige Talente: von Nils Ole Bok über Marcel Höttecke bis zu Kevin Großkreutz. Aber Marco gehörte mit Sicherheit zu den Besten und Talentiertesten.
Wie war Ihr erster Kontakt mit dem damals 15-jährigen Marco Reus?
Marco Reus ist damals über unser Ausbildungskonzept aus Dortmund nach Ahlen gekommen und hat bei uns vorgespielt. Beim BVB wurde er zu der Zeit nicht mehr gebraucht. Er fiel direkt auf mit seiner Wendigkeit, seiner Schnelligkeit und seiner Zielstrebigkeit. Wir haben gar nicht lange gebraucht, uns dafür zu entscheiden, dass er bei uns aufgenommen wird.
Und er hat die Hoffnungen, die er geweckt hat, auch erfüllen können?
Marco war auf dem Platz unser Regisseur, er war unser Antreiber und Vollstrecker. Er war ganz klar die auffälligste Kraft in unserem Kader. Wir haben natürlich mit 15, 16 Jungs Fußball gespielt, aber Marco war unser Zugpferd. Ohne ihn lief nicht viel zusammen, er war die wichtige Antriebskraft für unser Spiel.
Einer, der auch immer schon sehr treffsicher war.
Marco war sehr torgefährlich und hat mit seinen Treffern maßgeblich dazu beigetragen, dass wir damals in der Jugend-Bundesliga im Mittelfeld standen. Er war unser Leader vorne. Seine Ausrichtung war offensiv, mal als Stürmer, mal auch aus dem Mittelfeld heraus. Über die Flügel haben wir ihn damals eher nicht eingesetzt.
War damals im Abschluss schon der rechte sein starker Fuß?
Er hat von seiner Schnelligkeit gelebt, hat beidfüßig getroffen – nur mit dem Kopf nicht so oft. Marco hatte eine beeindruckende Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, das hat ihm gnadenlos geholfen. Auch seine Ballsicherheit war ein ganz wichtiges Attribut für sein Spiel.
Das klingt so, als könnte man da als junger Spieler auch mal Starallüren entwickeln?
Für Starallüren gab es keinen Grund – da musste man nur mal auf die Tabelle gucken, wie viele Mannschaften noch vor uns standen. Wir waren eine Mannschaft, die sich immer wieder steigern musste, um in der Liga mithalten zu können. Gegenüber den etablierten Vereinen waren wir meist der Außenseiter. Wir haben mit unserer Jugend meist eine gute Hinrunde gespielt, aber als Ausbildungsverein haben wir die jungen Talente, die Potenzial hatten, zur Rückrunde meist an den Seniorenbereich abgegeben.
Gab es auch etwas, was Ihnen bei Marco Reus nicht so gut gefallen hat?
Es sind alles junge Menschen gewesen, die mitten in ihrer Entwicklungsphase standen. Da macht man auch mal Fehler. Auch Marco war ein ganz normaler Junge, der auch mal lustlos war, auch mal sauer und angefressen und auch mal emotional. Das hatte er genauso wie alle anderen Jungen in seiner Altersklasse.
Einmal ist er in der U19-Bundesliga nach einer Tätlichkeit vom Platz geflogen. Es war seine einzige glatte Rote Karte neben dem Platzverweis als Profi 2019 im Derby gegen Schalke. Können Sie sich erinnern?
Wir haben damals hoch verloren, 1:6 in Aachen. Aber an den Platzverweis habe ich keine konkreten Erinnerungen mehr. Wahrscheinlich ist da einfach aus der Frustration heraus etwas passiert. Aber da ich mich nicht mehr wirklich erinnere, wird es nichts Dramatisches gewesen sein. Eine Rote Karte kann man mal kassieren, das ist anderen Spielern auch so ergangen.
Wie haben Sie Marco Reus damals als Menschen erlebt?
Wir haben in Ahlen immer darauf geachtet, dass wir eine homogene Einheit haben und die Gemeinschaft eine große Rolle spielt. Da hat sich Marco gut eingefügt. Sonst kann ich tatsächlich nicht viel darüber sagen, weil der Fokus immer auf dem Fußball lag. Wenn du in Dortmund wohnst und zum Fußball immer nach Ahlen gefahren wirst, dann bleibt auch kaum Zeit für private Dinge.
Sie haben ihn als ganz normalen Jungen beschrieben – hatte er denn auch ein paar Flausen im Kopf?
Wir haben mit unserem Trainer- und Ausbildungsteam sehr darauf geachtet, dass die Spieler in die Profistruktur hineinkommen. Auch Marco hatte den Fußball immer gnadenlos im Fokus und wollte sich entsprechend präsentieren in der Liga, um den nächsten Schritt in den Seniorenbereich zu machen. Da war er wie die meisten klar fokussiert auf die Trainingseinheiten und die Spiele. Wir haben sehr intensiv mit den Spielern gearbeitet. Und Marco hat dann ja auch tatsächlich bei unseren Senioren ab 2008 in der 2. Bundesliga unter Christian Wück als Trainer den nächsten Schritt gemacht.
Haben Sie früh geahnt, dass Marco Reus einmal eine derart erfolgreiche Profikarriere einschlagen würde – bis hin zur zweimaligen Wahl zum Fußballer des Jahres in Deutschland?
Mit der frühzeitigen Abgabe in den Seniorenbereich hat man gehofft, dass diese Chance für ihn Wirklichkeit wird. Dort hat er sich auch gut entwickelt, häufig gespielt. Da war noch einmal klarer, welches riesige Potenzial er mitbringt. Den Sprung 2009 direkt in die Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach konnte man nicht voraussehen – auch wenn sich jetzt im Nachhinein leicht sagen ließe: Das habe ich damals direkt gesehen! (lacht)
Haben Sie über all die Jahre noch Kontakt zu ihm halten können?
In Ahlen sind wir uns immer noch regelmäßig über den Weg gelaufen, als er bei den Senioren war. Mit seinem Wechsel nach Gladbach haben wir uns aber aus den Augen verloren. Wir sind uns in den vergangenen Jahren ab und zu zwar begegnet, aber eher selten. Es ist eine ganz andere Region und ein ganz anderes Umfeld, in dem er lebt. Privat gab es keinen Kontakt mehr.
Aber Sie haben seinen Weg sicher mitverfolgt.
Natürlich habe ich seinen Weg mitverfolgt, wenn auch nur über die Medien. Traurig in seiner Entwicklung und auf seinem Weg als Profi waren die schweren Verletzungen, mit denen er immer wieder kämpfen musste. Er konnte einige große Turniere nicht spielen, wie die Weltmeisterschaft 2014. Was das betrifft, klebte ihm ein wenig das Pech am Fuß. Das tat mir auch aus der Ferne unheimlich leid für ihn.
Hat es Sie gewundert, dass er zwölf Jahre dem BVB die Treue gehalten hat?
Einer wie er hätte auch problemlos im Ausland bei großen Klubs viel Geld verdienen können. Ich glaube, dass er ein sehr familiärer und bodenständiger Typ ist, was das betrifft. Er hat da auch ein Stück weit seine Vereinstreue zu Borussia Dortmund ausgelebt. Aus seinem Dortmunder Herzen hat er auch damals als Jugendlicher bei uns in Ahlen nie ein Geheimnis gemacht.
Marco Reus hat nie die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Bleibt er für immer ein Unvollendeter?
Im Profifußball ist es so, dass man oft an Titeln gemessen wird. Aber Marco kann trotzdem komplett stolz sein auf das, was er in seiner Karriere erreicht hat. In der ewigen Torschützenliste der Bundesliga ist er weit vorne mit dabei. Dass er es bis zu seinem Alter von fast 35 Jahren so weit gebracht und geschafft hat, ist aller Ehren wert. Und vielleicht holt er sich ja am 1. Juni im Champions-League-Finale noch den Titel, der dann alles abrundet. Ich drücke ihm kräftig die Daumen und gönne es ihm von ganzem Herzen, dass die Mannschaft die Kraft und das Glück hat, das durchzuziehen.
- Interview mit Martin Hanskötter