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Russland-Wahl: Selbst die Toten müssen ihr Kreuz für Putin machen


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Kolumne "Russendisko"
Die Russen würden lieber zum Urologen gehen

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

14.03.2024Lesedauer: 3 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident erwartet eine "rege" Beteiligung bei seiner "Wiederwahl".Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident erwartet eine "rege" Beteiligung bei seiner "Wiederwahl". (Quelle: Sergei Savostyanov/reuters)

Russland wählt, doch Auswahl gibt es nicht: Wladimir Putin wird der alte und neue Präsident sein. Zu Sowjetzeiten gab es bei "Wahlen" für die Menschen wenigstens noch etwas abzustauben, meint Wladimir Kaminer.

Die drei Tage währende russische Präsidentschaftswahl, von den meisten russischsprachigen Medien dezent als "elektorale Maßnahme" bezeichnet, scheint in Deutschland und Europa mehr Interesse zu wecken als in Russland selbst. Für die überwiegende Mehrheit meiner Landsleute ist der Gang zur Wahlurne zwar unangenehm, aber zum Schutz der eigenen Gesundheit erforderlich.

Fast wie der jährliche Gang zum Urologen zwecks Prostatavorsorge, die im ärztlichen Fachjargon als "rektale Maßnahme" bezeichnet wird. Nur dass laut Statistik höchstens fünf Prozent der männlichen Bevölkerung in Russland zum Urologen gehen, während die Führung im Kreml bei der Präsidentschaftswahl aber mindestens 75 Prozent Wahlbeteiligung erwartet. Davon sollen wiederum mindestens 75 Prozent für den amtierenden Präsidenten ihre Stimmen abgeben.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist gerade erschienen.

Natürlich können Wahlkommissionen die Ergebnisse fälschen und auf den Wahlzetteln der nicht zur Abstimmung erschienenen Bürger das richtige Kreuzchen an der richtigen Stelle machen. Doch jede Fälschung braucht trotzdem eine stabile Grundlage, sprich, es müssen schon Wähler da sein, damit man etwas zum Stimmenzählen hat. Und es sollten ein paar mehr sein als beim Urologen. Selbst gute Fälscher können die nötigen 75 Prozent nicht herbeizaubern, wenn gar keiner zum Wahllokal kommt.

Wie in einer steilen Machtvertikale üblich, wollen die regionalen Apparatschiks einerseits dem Chef in Moskau ihre Loyalität und Effektivität demonstrieren. Andererseits möchten sie keine Verantwortung übernehmen und Sündenböcke haben: für den Fall, dass zu wenige zur Wahlurne gehen. Die Verantwortung wird von oben nach unten abgeleitet. Die Fabrikdirektoren und Betriebsleiter sollen ihre Mitarbeiter zum Wahlgang animieren – mit Zucker oder mit Peitsche. Hochschulleiter sollen aufpassen, dass die Jugend nichts Dummes anstellt.

Die Toten müssen mitwählen

Die weit vom Zentrum der Macht entfernten Wahlkreise schummelten bereits im Vorfeld bei den Angaben zu den potenziellen Wahlberechtigten. Karelien hatte eine halbe Million Wahlberechtigte angegeben, bei einer Gesamteinwohnerzahl in etwa dieser Höhe. Aufgrund dieser Zahlen muss Karelien ein riesiges demografisches Problem haben. Die neuen Wahlkreise in den frisch einverleibten, besetzten Territorien der Ostukraine gehen mit einer Gesamtzahl von acht Millionen Einwohnern zur Wahlurne, obwohl nach den Schätzungen unabhängiger Beobachter dort weniger als zwei Millionen Menschen geblieben sind.

Der Großteil der Bevölkerung war geflüchtet, andere haben die russischen Pässe noch immer nicht angenommen, nicht wenige wurden weggebombt. Die verbliebenen Leichen werden nicht gezählt, damit die toten Seelen ihr Kreuzchen bei Putin machen können. In den großen zentralen Regionen dürfen die Wahlberechtigten neuerdings auch online ihre Stimme abgeben, wenn sie einen Computer mit Internetanschluss haben. Wenn nicht, können sie es mit dem Fernseher versuchen. Es reicht schon, einmal in Richtung Bildschirm zu nicken, wenn Putin in den Nachrichten erscheint.

Obwohl die Vorbereitung glänzend abgeschlossen wurde und eigentlich nichts schiefgehen kann, merkt man der Kreml-Administration eine gewisse Nervosität an. Intrigen fehlen dieses Mal bei der Wahl vollkommen: Bei den wenigen erlaubten Gegenkandidaten handelt es sich um Menschen, die keiner kennt, und von denen außer ihren Freunden und Familienangehörigen kaum jemand etwas vorher gehört oder gesehen hat. Der Hauptgegner des amtierenden Präsidenten wurde kurz vor der Wahl im Knast ermordet.

Alle Versuche der Staatsmedien, eine Spannung mit der Frage zu erzeugen, wer nun als zweiter zum Ziel kommt, haben nichts genutzt. Auch die staatlichen Umfragen zeigen, dass den Bürgern die Wahl egal ist. Viel mehr interessieren sie sich für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Amerika, im Herbst. Wer wird dort gewinnen? Der alte greise Amtsinhaber oder sein frecher Herausforderer? Die Russen würden gerne in Amerika mitstimmen, sie dürfen aber auch dort nichts wählen.

Ihrer eigenen alternativlosen Wahl fehlt jeder Witz. Meine alte Heimat, die Sowjetunion, wusste mit der Belanglosigkeit der alternativlosen Wahl noch umzugehen: Sie machte daraus immer ein Event. Es gab in jedem Wahllokal einen Verkaufsstand, wo die Bürger Delikatessen für zu Hause besorgen konnten, eine Dose Sprotten, eine Packung indischen Tee oder manchmal waren sogar Apfelsinen dabei.

Es spielte optimistische Musik, Blumen und Luftballons wurden verteilt und die Kinder konnten ein Eis essen, während ihre Eltern beim einzigen Kandidaten ihr Kreuzchen setzten. In Massen strömten die Menschen gleich zur Eröffnung in die Wahllokale, die Sprotten waren nach zwei Stunden alle und die Stimmen bereits zum Mittag ausgezählt.

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