Essen mit Einschränkungen Warum bekommen wir immer mehr Lebensmittelallergien?
Kuhmilch, Weizen, Nüsse – darauf reagieren manche Menschen allergisch. Wie diese Allergien entstehen, ist jedoch noch nicht vollständig erforscht.
Hautausschlag, kratzender Hals oder Übelkeit: Treten diese Symptome bei Ihnen häufig nach bestimmten Lebensmitteln auf, kann es sein, dass Sie an einer Lebensmittelallergie leiden. Zwar ist eine solche Allergie recht selten – bisherige Schätzungen gehen von etwa vier Prozent der weltweiten Bevölkerung aus –, allerdings werden Allergien gegen Lebensmittel häufiger.
Zu diesem Ergebnis kamen einige Studien. So ergab eine groß angelegte Überprüfung der Krankenhausdaten, dass Fälle von algerischen Schocks (Anaphylaxie) unter anderem in den USA, Australien und Europa zunehmen – hauptsächlich ausgelöst durch Medikamente und Nahrungsmittel. In den USA etwa haben sich Krankenhausbesuche wegen Nahrungsmittelallergien von 1993 bis 2006 verdreifacht.
Allergie oder Unverträglichkeit?
Warum Nahrungsmittelallergien zunehmen und wie stark genau, ist allerdings schwierig zu bestimmen. Das liegt auch daran, dass viele Menschen glauben, an einer Allergie zu leiden, wenn es in Wirklichkeit eine Unverträglichkeit ist.
Bei einer Nahrungsmittel-Unverträglichkeit reagiert der Körper auf bestimmte Inhaltsstoffe der Nahrung mit Beschwerden – meist im Magen-Darm-Bereich. Es sind aber auch Symptome möglich, die einer Allergie sehr ähnlich sind, wie Kopfschmerzen oder allgemeines Unwohlsein. Eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit ist jedoch keine "echte" Allergie, weil das Immunsystem nicht beteiligt ist. Zu den häufigsten Auslösern echter Nahrungsmittelallergien gehören:
- Nüsse und Hülsenfrüchte: vor allem Erdnuss, Walnuss und Haselnuss
- Hühnerei
- Kuhmilch
- Soja und Weizen
- Kern- sowie Steinobst
- Sellerie und Möhren
- Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch
Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten wie eine Laktoseintoleranz, Gluten- oder Histamin-Unverträglichkeit sind wesentlich häufiger als Nahrungsmittelallergien.
Festzustellen, wie sehr Nahrungsmittelallergien zunehmen, wird zudem erschwert, da viele Länder keine Statistik zu den Häufigkeiten dieser Allergien führen. Und auch der Nachweis einer solchen Allergie ist nicht immer einfach.
Allergietests nicht immer aussagekräftig
Das weiß auch Ernährungsmedizinerin Yurdagül Zopf. Sie behandelt am Erlanger Universitätsklinikum regelmäßig Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland und dem Ausland, bei denen die herkömmlichen Allergietests unauffällig sind. Das liege zum einen daran, dass die Tests nicht zu 100 Prozent zuverlässig seien. Zum anderen gebe es Nahrungsmittel-Allergien, die nicht immer durch serologische Tests – also den Nachweis von Antikörpern im Blut – oder auf der Haut feststellbar seien. "Die diagnostischen Möglichkeiten sind häufig noch nicht ausreichend, um alle Nahrungsmittelallergien nachzuweisen."
Eine Möglichkeit, diese Allergien trotzdem festzustellen, bietet der Darm. "Der Darm ist ein riesiges Immunorgan", sagt Zopf. "Da müssen wir noch verstehen, welche Bedeutung er bei der Entstehung von Allergien und den allergischen Reaktionen hat." Dass er eine wichtige Rolle spiele, sei allerdings inzwischen bekannt. Das Universitätsklinikum nutzt ein noch wenig verbreitetes Verfahren, um dies genauer zu untersuchen. Bei der speziellen Darmspiegelung können die Mediziner die Essenz von Nüssen, Soja oder anderen Allergenen auf die Darmschleimhaut sprühen und beobachten, wie diese darauf reagiert.
Woher kommen Allergien: Ein unerforschtes Gebiet
Doch wie entstehen Allergien auf Lebensmittel wie Nüsse, Getreide, Kuhmilch, Hühnerei oder Fisch überhaupt? Vollständig erforscht ist das noch nicht. "Was bestimmt eine Rolle spielt, ist die Art und Weise, wie wir uns ernähren", sagt die Dresdner Allergologin Katja Nemat. So stünden stark industriell verarbeitete Lebensmittel im Verdacht, Allergien auszulösen. "Das ist aber sicherlich nicht der einzige Faktor. Es ist ein Zusammenspiel von Ursachen."
Auch die Gene stehen im Verdacht, eine Rolle zu spielen. Denn manche Menschen haben familiär bedingt eine erhöhte Neigung zu Allergien. Fest steht: Bei einer Nahrungsmittelallergie identifiziert das Immunsystem harmlose Proteine als Feind und reagiert heftig auf diese. Dafür reichen auch schon kleinste Mengen. Dass manche Eltern ihren Babys daher ganz bewusst keine Lebensmittel wie Nüsse, Ei oder Milch geben, die Allergene enthalten, hält Nemat allerdings für keine gute Idee. "Das hat leider den gegenteiligen Effekt. Das Immunsystem muss gerade im Babyalter Toleranz erlernen."
Medikamente können nach Angaben von Zopf ebenfalls die Entstehung von allergischen Reaktionen begünstigen. Säurehemmende Magenmedikamente können zum Beispiel dazu führen, dass Proteine nicht vollständig verdaut werden und größere Eiweißfragmente in den Darm gelangen. "Das kann bei Überempfindlichkeiten oder genetischer Disposition zu Unverträglichkeitsreaktionen führen", sagt sie. Auch Antibiotika stehen im Verdacht.
Allergien kommen und gehen?
Eine weitere Schwierigkeit bei Nahrungsmittelallergien: Sie können unerwartet entstehen – und auch wieder verschwinden.
Bei vielen Kindern verschwindet die Lebensmittelallergie mit der Zeit. "Das verwächst sich, weil das Immunsystem ausgereift ist und gelernt hat, damit umzugehen", sagt Zopf. Eine Milcheiweiß-, Weizen- oder Sojaallergie geht bei den meisten Kindern nach wenigen Jahren zurück. Bei Hühnereiweiß reagiere die überwiegende Mehrheit mit der Zeit nicht mehr allergisch, bei Erdnüssen sei es immerhin jedes fünfte Kind.
Erwachsene haben dagegen schlechte Karten: Bei ihnen ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Lebensmittelallergie wieder weggeht. Eine Allergie gegen Fisch oder Meeresfrüchte oder auch eine Nussallergie bleiben häufig dauerhaft bestehen.
Lebensmittelallergie: Was tun?
Die Lebensmittel meiden, auf die man allergisch reagiert und im Notfall die Symptome mit Medikamenten behandeln – mehr können Betroffene zurzeit nicht tun. Eine Immuntherapie, also eine Hyposensibilisierung wie bei Heuschnupfen, gibt es für Lebensmittelallergien in Deutschland bisher nicht.
In den USA ist nach Angaben von Nemat seit einigen Jahren eine orale Immuntherapie zugelassen, bei der Allergiker Erdnussprotein-Pulver schlucken.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa
- gesundheitsinformation.de: "Nahrungsmittelallergie". (Stand: April 2020)
- gesundheit.gv.at: "Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten: Was ist das?". (Stand: Januar 2023)
- sciencedirect.com: "Global Trends in Anaphylaxis Epidemiology and Clinical Implications". (Stand: April 2020)
- pubmed.ncbi.nlm.nih.gov: "Food allergy among children in the United States". (Stand: 2009)