Flut in Russland Das Wasser steigt – Putin taucht ab
Während Teile Russlands mit Rekordüberschwemmungen zu kämpfen haben, ist von Präsident Wladimir Putin nichts zu sehen. In den betroffenen Regionen regt sich Kritik an den Behörden.
Russland wird an der Grenze zwischen Europa und Asien von den schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten heimgesucht. Im Gebiet Orenburg an den südlichen Ausläufern des Ural-Gebirges wurde für Freitag und Samstag der Höhepunkt der Flutwelle des Flusses Ural erwartet.
In der dortigen Gebietshauptstadt Orenburg, die über eine halbe Million Einwohner zählt, wurde eine Massenevakuierung ausgerufen. Zehntausende Menschen haben bereits ihr Hab und Gut verloren; ihre Häuser und Gärten stehen unter Wasser. Und auch wenn die Frühjahrsflut nach der Schneeschmelze in Russland jedes Jahr wiederkehrt, wirft der Umgang mit der diesjährigen Katastrophe doch Schlaglichter auf den Zustand des größten Landes der Erde.
Flut bricht sämtliche Rekordmarken
Nach einem schneereichen Winter führt der Fluss Ural so viel Wasser wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Vor mehr als 80 Jahren, im Jahr 1942, gab es eine große Flut mit einem Pegel von 9,4 Metern, wie der Orenburger Gouverneur Denis Pasler am Donnerstag bei einer Videoschalte mit Präsident Wladimir Putin sagte.
Am Freitagmittag betrug der Pegel in Orenburg fast 11,5 Meter, wie die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Behörden meldete. Bürgermeister Sergej Salmin rief die Bewohner mehrerer Stadtteile dazu auf, ihre Häuser zu verlassen. "Das ist kein Übungsalarm", schrieb er auf Telegram. "Diese Wasserstände sind gefährlich."
Experten erwarteten, dass der Wasserstand des Ural noch auf 11,6 Meter steigen werde. Der über 2.400 Kilometer lange Fluss, den Geografen als Teil der Grenze zwischen Europa und Asien definieren, entwässert nach Süden durch Kasachstan ins Kaspische Meer. Auch in Kasachstan herrscht Flutalarm. Dort sind etwa 100.000 Menschen evakuiert worden.
Putin taucht ab
"Putin, hilf!", rief Anfang der Woche eine Menschenmenge in der Großstadt Orsk, die als erste unter der Flut des Ural zu leiden hatte. In allen Nöten in Russland richten sich die Hoffnungen zuerst auf den Herrscher im Kreml.
Doch der im März mit einem angeblichen Rekordergebnis wiedergewählte Präsident hat das Flutgebiet bislang nicht besucht. Auch während der Heizungsausfälle in vielen Städten im Winter oder nach dem schweren Terroranschlag in einer Moskauer Konzerthalle mit mehr als 140 Toten ließ sich Putin nicht sehen.
Putin werde auf dem Laufenden gehalten, er gebe Anweisungen, versichern sein Sprecher Dmitri Peskow und andere Regierungsvertreter seit Tagen. Am Donnerstag veröffentlichte der Kreml die Mitschrift der Videoschalte mit den Gouverneuren der betroffenen Regionen. Danach hörte sich Putin deren Berichte an, dankte kurz – und dann war Schluss.
Krisenmanagement kommt nur schleppend voran
Dabei gibt es vor Ort viele Klagen über das schleppende Krisenmanagement der Behörden. Medien spekulieren, ob der Katastrophenschutz personell ausgedünnt sei, weil Russland seit zwei Jahren Männer für den Angriffskrieg gegen die Ukraine brauche. Gouverneur Pasler machte sich unbeliebt bei einem Treffen mit Betroffenen in Orsk. Auf die Frage, welche Verantwortung er trage, fragte er angeblich zurück, ob denn nicht alle gemeinsam Verantwortung für die Flut trügen.
Auch der von Putin ins Hochwassergebiet entsandte Katastrophenschutzminister Alexander Kurenkow rief Empörung hervor. Vor laufenden Kameras erklärte er, die Bewohner seien von den Behörden rechtzeitig – eine Woche vor Beginn des Hochwassers – vor der Überschwemmung gewarnt und zur Evakuierung gedrängt worden. Eine klare Falschaussage, denn wenige Tage vor dem Unglück hatten die örtlichen Behörden noch abgewiegelt.
Ärger wegen eines gebrochenen Deiches
Zum Symbol des Unmuts wurde ein Deich in Orsk, der an mehreren Stellen brach. Eigentlich hätte der für angeblich eine Milliarde Rubel (zehn Millionen Euro) angelegte Damm auf zehn Kilometer Länge die Stadt schützen sollen. Der Chef der Baufirma behauptete, dass wohl Nagetiere dem Deich geschadet hätten. Das nannte Bauminister Irek Faisullin aus Moskau lachhaft.
Es sei eher so, dass der unbefestigte Erdwall keine Milliarde Rubel wert gewesen sei. "Wie ich es sehe, kann man das keinen Deich nennen", sagte er. Es habe aber auch niemand eine Flut von zehn Meter Höhe vorhersehen können.
Wie viele Menschen betroffen sind, zeigt die Zahl von 200.000 Anträgen auf Soforthilfen, die bis Freitag im Gebiet Orenburg eingingen. Gezahlt werden 20.000 Rubel (etwa 200 Euro) zur Überbrückung, 50.000 Rubel bei Verlust von Eigentum.
Zeit der Frühjahrsflut beginnt erst
Auch in den benachbarten sibirischen Gebieten Kurgan und Tjumen breiteten sich Überschwemmungen aus. Die sibirischen Flüsse entwässern nach Norden in das Eismeer. Regelmäßig gibt es Überflutungen, weil sich das Schmelzwasser aus dem Süden an den noch zugefrorenen Teilen der Flussläufe staut.
Am Fluss Tobol wurde vorsorglich ein probates russisches Mittel ergriffen: Ein orthodoxer Priester mit Ikone flog im Hubschrauber den Fluss ab, um die schlimmsten Überschwemmungen abzuwenden.
- Nachrichtenagentur dpa