Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Video-Grafik Hier zeigt sich Chinas Zweischneidigkeit
China stößt weltweit das meiste CO2 aus, investiert aber gleichzeitig so viel wie kein anderes Land in erneuerbare Energien. Eine Expertin erklärt, wie das zusammenpasst.
Im Jahr 2022 war China für rund 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich und lag damit weit vor den USA oder Indien. Diesen Umstand nutzen Kritiker weitreichender Klimaschutzmaßnahmen gerne, um diese in Europa abzulehnen. Solange China nicht handele, seien Bemühungen hierzulande ohnehin vergebens, führen sie an.
Tatsächlich baut China auch aktuell seine Kohlekraftkapazitäten weiter aus. Gleichzeitig investiert das Land aber massiv in erneuerbare Energien. Dass dieses Vorgehen aus chinesischer Sicht durchaus Sinn ergibt, erklärt Expertin Nora Kürzdörfer. Sie arbeitet am GIGA in Hamburg, einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut, an dem zu politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika und Nahost geforscht wird.
Nora Kürzdörfer zeigt im Interview mit t-online auf, wie es um den Klimaschutz in China bestellt ist und warum zu scharfe Kritik aus Europa international negative Konsequenzen haben könnte.
Videotranskript lesen
Der Kampf gegen die Folgen der Klimakrise ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Kein Land wird sie alleine bezwingen können. Diesen Umstand nehmen Kritiker auch in Deutschland zum Anlass, auf große CO2-Emittenten wie China, die USA oder Indien zu verweisen. Solange diese Länder nicht handeln, seien Maßnahmen in Deutschland vergebene Liebesmüh. Dieses Argument will China-Forscherin Nora Kürzdörfer aber nicht gelten lassen.
“Richtig ist natürlich, dass der Klimawandel nur durch globale Bemühungen abgemildert werden kann. Insofern stimmt es auch, dass wir nicht auf Chinas Engagement verzichten können. Insbesondere, wenn wir betrachten, dass China seit 2022 weltweit den größten CO2-Ausstoß hat und damit auch die USA abgelöst hat."
"Was aber auch richtig ist, dass auch Deutschland zu den größten Verschmutzern weltweit gehört. In Europa beispielsweise hat Deutschland den höchsten CO2-Ausstoß. Insofern denke ich, dass Deutschland gut daran täte, quasi als leuchtendes Vorbild voranzuschreiten. Es ist natürlich nämlich auch so, dass die Tendenz, zunächst mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, auf China, aber auch auf Indien und andere Länder global nicht besonders gut ankommt.”
Tatsächlich war China im Jahr 2022 der mit Abstand größte Verursacher von CO2-Emissionen weltweit. Mit rund 30 Prozent der Emissionen lag das Land weit vor den USA und Indien. Deutschland lag mit knapp 1,8 Prozent auf Platz 9, damit aber vor allen anderen europäischen Staaten.
Und China setzt weiter auf fossile Energieträger. Diese Karte zeigt, wo im ersten Halbjahr 2023 neue Kohlekraft-Projekte in Planung oder bereits im Bau waren. Statistiken zeigen, dass China in den vergangenen Jahren weiterhin mehr Leistung durch neue Kohlekraftwerke hinzugewonnen hat, als es abbaut.
Gleichzeitig ist China das Land, das am meisten in erneuerbare Energien investiert. 2022 waren es rund 275 Milliarden Dollar und damit mehr als im Rest der Welt zusammen. Warum China seit einigen Jahren so stark in den Sektor investiert, ist nicht abschließend geklärt. Experten vermuten, dass die Regierung erneuerbare Energien als lukrativen Wirtschaftssektor erkannt hat. Doch wie passt das mit dem gleichzeitigen Ausbau der Kohlekraft zusammen?
“China setzt auf einen Ausbau erneuerbarer Energien, aber ist derzeit auch noch nicht bereit zu verzichten auf einen Ausbau von fossilen Energien.
Insgesamt ist es einfach so, dass Energiesicherheit in China ein hohes politisches Ziel ist und dass in den Augen der Regierung fossile und erneuerbare Energien dafür quasi gleichwertige Mittel sind, um diese zu erreichen.”
Dabei sollen offenbar auch Mammutprojekte helfen. Der Drei-Schluchten-Staudamm betreibt das größte Wasserkraftwerk der Welt. Am Bau gab es Kritik, da Lebensräume von Tieren und Pflanzen zerstört und ganze Dörfer umgesiedelt werden mussten. In der Kubuqi-Wüste entsteht zudem gerade das größte Solarkraftwerk der Welt. Auch in diesem Bereich geht China offenbar voran. Doch sind Mammutprojekte wie diese wichtige Beiträge zur Energiewende oder eher Prestigeobjekte?
“Die Antwort liegt dazwischen. Es ist natürlich so, dass China ein Land der Superlative ist und das zeigt sich in diesen Projekten ganz deutlich. Der Drei-Schluchten-Staudamm beispielsweise ist bereits der größte Staudamm der Welt. Es befindet sich aber derzeit ein weiterer noch im Bau nahe der chinesisch-indischen Grenze, der noch einmal dreimal so viel Kapazität haben soll."
"Ich denke, es ist letzten Endes eine Mischung aus Projekten, die wirklich die Tragkraft und die Kapazität zeigen, die China hat. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass solche Riesenprojekte immer auch eine Auswirkung auf lokale Ökosysteme haben. Und beispielsweise darf man bei den Solarkraftwerken in der Wüste nicht vergessen, dass sich nur wenige Kilometer entfernt auch Kohlekraftwerke befinden, die ebenfalls einen ganz wichtigen Beitrag leisten zu lokaler wirtschaftlicher Entwicklung. Auch hier haben wir wieder die Zweischneidigkeit in diesen Projekten.”
Dass China gleichzeitig auf erneuerbare und fossile Energieträger setzt, wird sich nach Einschätzung von Nora Kürzdörfer auch in naher Zukunft nicht ändern. Bis 2025 will China den Höhepunkt seiner Emissionen erreichen, bis 2060 klimaneutral werden.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. 2021 machte Kohle einen Anteil von mehr als 60 Prozent an der chinesischen Stromproduktion aus. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Kohleanteil bei unter 30 Prozent. Verzichten können wir bei der Energiewende auf China aber nicht. Denn in einem Bereich ist uns das Land weit voraus.
“Eine Vorbildrolle nimmt China auf jeden Fall ein, was zum Beispiel die Produktion betrifft von Technologien und auch Elementen, die benötigt werden, um grüne Technologien zu bauen. Das betrifft zum Beispiel wieder die Batterien für Elektrofahrzeuge, aber auch Solarpanele und Windturbinen. Es ist so, dass China den Großteil des Marktes für die Bauteile, die wir benötigen, um diese Technologien herzustellen, kontrolliert.”
Die zentrale Rolle Chinas sorgte hier zuletzt für Spannungen mit den USA, nachdem China Exportbeschränkungen auf wichtige Elemente wie Germanium und Gallium verhängt hatte. So wird der Kampf gegen die Folgen der Klimakrise auch geopolitisch heikel.
Wie China auf dem Energiemarkt derzeit vorgeht, was es mit Mammutprojekten für Wasser- und Solarkraft auf sich hat und wo China ein Vorbild im Kampf gegen die Klimakrise ist, sehen Sie im Video direkt hier oder oben.