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Imam Ahmad Popal: "Leute fürchten sich vor der Streitkultur"


Interview mit Imam Ahmad Popal
"Die Leute fürchten sich vor der Streitkultur"


03.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Imam Ahmad Popal: Der 34-Jährige ist in München geboren und aufgewachsen.Vergrößern des Bildes
Imam Ahmad Popal: Der 34-Jährige ist in München geboren und aufgewachsen. (Quelle: Ahmad Popal)

Ahmad Popal ist Imam, bezeichnet sich als Brückenbauer zwischen Religionen. Dafür möchte er sich auch mit potenziellen Extremisten an einen Tisch setzen. Was bringt ihn dazu?

Wo eigentlich Hochzeiten gefeiert werden, soll am 9. Mai ein Treffen verschiedener muslimischer Vertreter stattfinden. In Medienberichten gilt die Veranstaltung als Salafisten-Treffen, denn vier der fünf eingeladenen Gäste werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Einer von ihnen, Konvertit Marcel Krass aus Hannover, soll zudem Kontakt zu einem 9/11-Terroristen gepflegt haben.

Mittendrin: Der Münchner Imam Ahmad Popal. Er gilt als besonders liberal und weltoffen. Doch auch er ist in den vergangenen Wochen wegen seiner Teilnahme an dem Treffen in die Kritik geraten. Auf Facebook wehrt er sich gegen die Vorwürfe. t-online hat mit Popal gesprochen und ihn gefragt, weshalb er potenziellen Extremisten eine Bühne gibt, was Religion von Ideologie unterscheidet und wie der Nahostkonflikt den Blick auf Imame verändert hat.

t-online: In den letzten Wochen ist es laut um Sie geworden. Wie geht es Ihnen gerade?

Imam Ahmad Popal: Ich war bestürzt über die Berichterstattung. Auch meine Freunde, meine Angehörigen, meine Familie, alle waren sehr traurig, weil das Bild, das nach außen getragen wurde, nicht dem entspricht, was ich repräsentiere und wofür ich stehe. Es wurde ein Monster erschaffen.

Das geplante Treffen am 9. Mai wird von vielen Medien als Salafisten-Treffen bezeichnet. Zu Unrecht?

Ich bin davon überzeugt, dass das kein Salafisten-Treffen ist. Wahre Salafisten-Treffen gibt es schon immer wieder, auch in Bayern und auch in München. Aber nicht im Rahmen einer Veranstaltung, an der ich teilnehme. Ich bin kein Teil von solchen Sitzungen. Ich bin ein großer Freund von Diskussionen, von Vernunft und Streitkultur. Aber ich bin kein Freund von Sitzungen, an denen radikale Extremisten auf antidemokratische und antistaatliche Art und Weise versuchen zu diskutieren. An solchen Gesprächen nehme ich nicht teil.

Zur Person

Ahmad Schekeb Popal ist 34 Jahre alt und wurde in München geboren. Seine Wurzeln liegen in Afghanistan. Popal ist Imam und gilt in der Stadt als besonders offen und liberal. Er forderte mit rund einem Dutzend weiterer Imame im November ein Friedensgebet von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) angesichts des eskalierenden Nahostkonflikts. Weil er an einem Treffen mit potenziellen islamistischen Extremisten teilnehmen sollte, ist Popal in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten.

Ihre vier Mitredner vom 9. Mai werden alle vom Verfassungsschutz beobachtet. Macht es Ihnen in diesem Fall nichts aus, sich mit potenziellen Extremisten an einen Tisch zu setzen?

Ich habe mir natürlich darüber Gedanken gemacht. Als ein überzeugter Verfechter der Rechtsstaatlichkeit habe ich mich dennoch dazu entschlossen, teilzunehmen. Ich weiß, dass wir die besseren Argumente haben, wir Demokratinnen, wir Bürger in diesem Land. Daher sollten wir keine Angst vor dem Gespräch haben. Die sollten Angst haben, mit uns an einem Tisch zu sitzen. Wir haben die besseren Argumente, aber die müssen auch kommuniziert werden. Es gibt sehr wenige Leute, die Menschen mit gegenteiligen Ansichten von unserer Gesellschaft und unseren Werten überzeugen können.

Glauben Sie, dazu imstande zu sein?

Ich weiß, ich kann das, weil ich das tagtäglich mache. Die Polizei hat schon mehrmals Radikale, die zum Beispiel zum IS gegangen sind, mit mir in Kontakt gesetzt. Auch Frauen, die unter häuslicher Gewalt litten, werden öfter zu mir geschickt. Ich helfe Menschen, sich zu deradikalisieren und wieder in die Gesellschaft zu finden. Ich bin bis heute Ansprechpartner für Leute in derartigen Prozessen, sowohl für Afghanen als auch Nicht-Afghanen, für Araber und Nicht-Araber. Umso mehr schockt es mich, dass ich dann als Teufel dargestellt werde.

Der Konvertit Marcel Krass war letzten August schon einmal in München, nun soll er wieder für das Treffen in die Stadt reisen. Auf Instagram haben Sie in erster Reihe ein Foto mit ihm gepostet. Sind Sie befreundet?

Für eine Freundschaft haben wir zu wenig Kontakt, ich würde eher sagen, man kennt sich. Aber ich bin ein religiöser Mensch. Als Gandhi einen Brief an Adolf Hitler geschrieben hat, hat selbst er diesen mit den Worten "Ihr Freund, Mahatma Gandhi" beendet.

Krass soll früher Kontakt zu einem 9/11-Terroristen gehabt haben.

Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht. Aber wenn er wirklich diesen Kontakt hatte oder immer noch hat, würde er sich heute nie mit mir an einen Tisch setzen.

Wie meinen Sie das?

Er würde sich nicht öffentlich mit mir zeigen, weil er sonst seine Kontakte und seine Bühne verlieren würde. Er bekommt schon jetzt extreme Anfeindungen, gerade von Pierre Vogel (Anm. d. Red.: Pierre Vogel ist ein islamistischer Prediger und bundesweit bekannter Salafist). Dieser hat hinter der Bühne einmal über Krass gesagt, seine Aussagen seien eine Kriegserklärung an Leute wie ihn. Das ist aber keine Einbahnstraße. So wie er sich nicht mit mir an einen Tisch setzen würde, würde auch ich es nicht tun. Mit Terroristen rede ich nicht.

Wie genau rechtfertigen Sie, diesen Leuten eine Bühne zu geben?

Ich bin ein Mann der Gesellschaft, ein Bürger, Muslim und ein theologisch ausgebildeter Mensch. Und ich bin ein Brückenbauer. Ich möchte Menschen von den Werten überzeugen, von denen auch ich überzeugt bin. Religion bedeutet Spiritualität, Werte. Wenn Sie diese Werte nicht vermitteln, was haben sie dann noch für eine Bedeutung? Der Unterschied zwischen Ideologie und Religion ist der: Ideologie kennt kein rechts und kein links, sie kennt nur die eigene Gesinnung. Religion hingegen sollte in der Lage sein, auch andere Perspektiven anzunehmen. Und weil ich von diesen Werten überzeugt bin, bin ich auch davon überzeugt, an solchen Gesprächen wie dem im Mai teilzunehmen. Ich werde das auch in Zukunft tun.

Findet das Treffen am 9. Mai überhaupt noch statt? Vor Kurzem wurde bekannt, dass der große Gegenwind die Veranstaltung zum Bröckeln brachte.

Ich habe keine Kenntnis darüber, ob es nun stattfinden wird oder nicht, ob es in einer anderen Form stattfinden wird und ob ich überhaupt noch eingeladen bin. Das gilt auch für die anderen Gäste.

Laut Polizei haben zwei eingeladene Gäste inzwischen abgesagt. Sind Sie einer davon?

Ich weiß nicht, ob die Polizei mich gemeint hat. Aber ich weiß, dass ich unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr an so einem Treffen teilnehmen werde. In dem Kontext, der geschaffen wurde, fruchtet es jetzt nämlich nicht mehr so, wie ich das wollte. Die Leute fürchten sich vor dem Streitgespräch, vor der Streitkultur. Die ist aber umso wichtiger in unserer heutigen Zeit, in der die AfD höchstwahrscheinlich mehr Stimmen bekommen wird als die FDP.

Sie gelten in München als ein sehr liberaler Mensch und als ein weltoffener Imam. Haben Sie das Gefühl, dass dieses Bild von Ihnen gerade bröckelt?

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Ich weiß, dass gerade sehr viel Zweifel herrscht. Es stehen viele Vorwürfe im Raum. Die Leute, die mich persönlich kennen, die wissen, dass sie nicht stimmen. Diejenigen, die mich nicht kennen, werden nach der Berichterstattung der letzten Wochen aber wahrscheinlich gar nicht mehr offen sein für ein Gespräch. Mein Menschenbild hat sich aber nicht verändert, genauso wenig mein Respekt für alle Menschen. Jede Form von Extremismus und Radikalismus ist mir nach wie vor fremd.

Werden Imame in Deutschland derzeit zu schnell verurteilt?

Ja.

Können Sie das begründen?

Ich glaube, es herrscht sehr viel Angst und eine große Skepsis. Und da die Mehrheitsgesellschaft nicht muslimisch ist, scheitert es meist an der Kommunikation. Es gibt zu wenige Begegnungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, so kommt es dann zu Missverständnissen.

Ist der eskalierende Nahostkonflikt auch schuld?

Ich glaube, der Nahostkonflikt verschärft die ganze Geschichte, aber er ist nicht die Ursache. Vor dem Konflikt gab es bereits Muslime, Juden und Christen. Es gibt sie während des Konflikts und wird sie auch danach geben. Wenn man das Politische ausklammert, haben wir aber immer noch einen gemeinsamen Nenner: Wir sind Menschen.

Herr Popal, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Popal
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