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Russland | Wie Ostern für Wladimir Putin zur Enttäuschung wird


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Alles andere als ein Feiertag
An Ostern könnte Putin eine Enttäuschung erleben

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

10.04.2023Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident sähe die Russen lieber bei der Parade als in der Kirche, sagt Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident sähe die Russen lieber bei der Parade als in der Kirche, sagt Wladimir Kaminer. (Quelle: Mikhail Klimentyev/imago-images-bilder)

Wladimir Putin gibt sich als guter Christ. Mit Ostern hat er dieses Jahr allerdings ein mächtiges Problem, meint Wladimir Kaminer.

In meinem Dorf wird Ostern diszipliniert und ordentlich gefeiert, sogar die Natur macht mit, als hätte man dort die angestrebte friedliche Symbiose längst erreicht. Bereits Wochen vor Ostern habe ich mehrere Hasen auf dem Grundstück gesichtet, die vorher nicht da waren.

Auch die Hühner legen angesichts der bevorstehenden Feiertage dreimal mehr Eier als zuvor, und die Nachbarn kaufen Bier auf Vorrat ein. Wir haben nämlich wie jedes Jahr viel vor. Der "Ostermarsch" wird sorgfältig vorbereitet. Mein Nachbar Mathias fährt in aller Frühe mit seiner Elektropritsche los, voll beladen mit Bier und Wurst, um als Erster an unserem ausgewählten Osterplatz, dem Andachtsstein "Schröders Ruh", zu sein.

Dabei handelt es sich um einen großen Felsen, der mitten auf einem weiten Feld herausragt, das einem Bauer namens Schröder gehört. Über Generationen hat die Familie Schröder versucht, den großen Stein aus der Erde herauszuziehen: zuerst mit Muskelkraft und Zivilcourage, dann mit Pferd und Seil, später mit dem Traktor, dann mit einem für zehn Liter Schnaps angemieteten russischen Panzer, und nach der Wende mit den modernsten kapitalistischen Geräten der Gegenwart. Aber alle Mühe war vergeblich.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Durch die vielen Versuche ist der Stein nur größer geworden. Angeblich können Steine aus Trotz wachsen. Irgendwann hat die Familie Schröder dann das Handtuch geworfen und ließ den Stein einfach da, wo er ist. Seitdem heißt dieser Felsen im Volksmund "Schröders Ruh" und dient als Denkmal der Überheblichkeit in unserem Soziotop. Er erinnert uns daran, dass Menschen wie Steine sind. Egal, wie das Klima draußen ist, welches Jahrhundert wir schreiben, welches politische System herrscht – die Menschen verändern sich nicht. Sie passen sich bloß an.

Mein Nachbar hat jedenfalls die Aufgabe, als Erster beim Stein anzukommen, den Gasgrill anzumachen und das Bier kaltzustellen. Abends findet ein Osterfeuer bei der Feuerwehr statt. Dort sind früher die Feuerwehrfrauen angeblich übers Feuer gesprungen, und andere haben dem berühmten Spreewaldbrauch folgend nachts nackt Osterwasser aus dem Bach geholt. Dafür sind wir nun aber zu alt, bei uns springen nicht einmal die Katzen.

Wo sind nur die Nachbarn?

Stattdessen treffen wir uns alle zu Ostern, das ist der eigentliche Sinn des Festes. Wir haben gar nicht so viele Einwohner, offiziell sollen bei uns zweihundert Menschen gemeldet sein, gefühlt sind es fünf, die man einfach so auf der Straße treffen kann. Die meisten gehen nur in Begleitung ihres Hundes spazieren, sie achten darauf, dass das Haustier nicht nur im eigenen Garten pinkelt.

Menschen, die Hunde an der Leine mit sich führen, mitten im Nirgendwo, verleihen dem Dorf ein großstädtisches Flair. Der "Ostermarsch" um 9 Uhr früh ist dann das Großereignis, zu dem mehr Menschen kommen als zur Bundestagswahl. Ein guter Vorwand, die anderen, unsichtbaren Nachbarn kennenzulernen. Mit Jesus, seiner Kreuzigung und Auferstehung hat das Ganze wenig zu tun. Aber das war schon immer so.

Wir haben ukrainische und russische Geflüchtete im Dorf, die zwar vor demselben Krieg geflohen sind, aber trotzdem einander aus dem Weg gehen. Nur zu Ostern marschieren sie zusammen, wenn auch mit Abstand. In der Sowjetunion haben die Menschen einst Ostern allein aus Trotz gefeiert, um ihrem Staat eins auszuwischen.

Die Sowjetunion war ein atheistischer Staat, Kirchenfeste sollten nicht gefeiert werden. Dafür hat uns die Führung mit so vielen Aprilfesten ausgestattet, dass sie nicht einmal alle in den Kalender passten. Der Tag der Kosmonautik, der Tag der Polizei, der Tag der Gewerkschaft und Lenins Geburtstag, alles im April. Zum Tag der Kosmonautik wurden sogar vom Staat Kosmo-Kekse gebacken, mit einem lachendem Juri Gagarin und seiner Rakete darauf.

Anbiederung ans Volk

Im Fernsehen tanzte der Teufel, so viele Konzerte wie im April haben sie im ganzen Jahr nicht übertragen. Die Bürger taten jedoch so, als würden sie sich für die Weltraumforschung überhaupt nicht interessieren. Sie suchten sich irgendeine Kirche aus, zündeten Kerzen an, backten Osterkuchen ohne Gagarin und dankten Jesus dafür, dass er wiederauferstanden war.

Dieses Verhalten brachte den kommunistischen Staat mächtig auf die Palme. Aber nach dem Fall des Sozialismus hat die Führung doch versucht, die Sitten des Volkes zu übernehmen. Auf einmal gingen auch die ehemaligen Kommunisten, Parteifunktionäre, der Präsident und der Premierminister in die Kirche, zündeten dort medienwirksam Kerzen an – und hörten dem Priester zu, mit einem Gesicht, als hätten sie Jesus persönlich gekreuzigt und es würde ihnen nun unsäglich leidtun.

Als die Bürger ihre Staatsführer in der Kirche sahen, wollten sie prompt nur noch den Tag der Kosmonautik feiern, backten selbst die alten Kosmo-Kekse und kauften Bücher über Weltraumforschung. Dieses Jahr fällt das russische Ostern auf den 16. April, exakt zwischen Lenins Geburtstag und dem Tag der Kosmonautik, und kollidiert mit dem staatlich verordneten Feiertag des "Tags der militärischen Ehre". Die Führung will eine Parade, natürlich. Die Russen gehen lieber in die Kirche. Und Jesus lacht sich ins Fäustchen.

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