Literaturnobelpreisträgerin 2022 Wer ist eigentlich Annie Ernaux?
Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an die Französin Annie Ernaux. Doch welche Werke von ihr könnten Sie kennen und was ist über die Autorin bekannt?
Annie Ernaux wird als eine der prägendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur Frankreichs bezeichnet. Nur wenige schreiben so radikal über ihr Leben und ihre Herkunft wie sie. Auch in Deutschland werden ihre Bücher gefeiert. In diesem Jahr ist sie Literaturnobelpreisträgerin.
Seit über vier Jahrzehnten schreibt Annie Ernaux Bücher – über sich und ihre Herkunft. Dabei blickt sie nicht nur radikal auf ihr eigenes Leben, sondern reflektiert schnörkellos die Zeit und Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurde. Die 82-jährige Schriftstellerin bezeichnet sich als Ethnologin ihrer selbst.
Meisterin des Autofiktionalen
In Deutschland wird sie als Meisterin des Autofiktionalen gefeiert oder gar als weiblicher Proust, in Anspielung an ihren berühmten Landsmann Marcel Proust. Ihre Bücher schaffen es regelmäßig auf deutsche Bestsellerlisten. Eines ihrer jüngsten, auch in Deutschland erschienenen Werke ist "Das Ereignis". Das beinahe autobiografische Buch handelt von den fast schon grausamen Versuchen der Autorin abzutreiben, in einer Zeit, in der dies noch als unmoralisch und kriminell betrachtet wurde. Verfilmt wurde die Geschichte von Audrey Diwan, die dafür 2021 den Goldenen Löwen beim Filmfestival Venedig erhielt.
Die über 20 Bücher der Schriftstellerin lesen sich wie ein Selbsterkundungsprojekt. Sie versucht ihre persönlichen Erinnerungen im kollektiven Gedächtnis zu finden, denn für sie ist ein "Ich" nicht ohne die anderen und ohne Geschichte denkbar, so Ernaux. So gehen ihre Geschichten über ihre persönlichen Erlebnisse hinaus: Sie betten sich ein in kollektive Erfahrungen, die durch gesellschaftliche Zwänge und Ereignisse die "Ichwerdung" beschränken.
Ernaux kam 1940 in Lillebonne in der Normandie zur Welt und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihr Vater verdiente den Lebensunterhalt als einfacher Arbeiter. Ihre Kindheit war geprägt vom frühen Tod ihrer älteren Schwester. Nach dem Studium der Neueren Literatur arbeitete sie als Gymnasiallehrerin.
Im Jahr 1974 erschien ihr erster Roman "Die leeren Schränke". Als sie sich 1980 scheiden ließ, war sie Mutter von zwei Kindern. 1984 veröffentlichte sie "Der Platz". Der Roman, für den sie den renommierten Renaudot-Preis erhielt, handelt von ihrem Vater und ihrem eigenen sozialen Aufstieg. In "Eine Frau" beschwört sie die Erinnerungen an ihre Mutter herauf, in "Passion simple" ihre Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann.
"Hochmoderne, gewagte, meisterlich komponierte Literatur"
Zu ihren erfolgreichsten Büchern gehört "Die Jahre" von 2008. Das Werk ist eine Rückschau auf 60 Jahre ihres Lebens, ein Blick auf eine Frau, die sich verändert – zusammen mit der Welt.
Ernaux' Erzählstil ist neutral, distanziert. Sie selbst bezeichnet ihn als objektiven Stil, der erzählte Tatsachen weder auf- noch abwertet. Als sie 2019 den deutsch-französischen Prix de l’Académie de Berlin erhielt, lobte die Jury ihre Schriftstellerei als "hochmoderne, gewagte, meisterlich komponierte Literatur, die von Klassenkämpfen, den Zumutungen kultureller Differenz und der Emanzipation der Frauen erzählt".
- Nachrichtenagentur dpa