Mehr Druck, weniger Denkleistung Dieser Faktor fördert Vergesslichkeit und Demenz
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Stress gehört zu unserem Alltag. Nimmt der Druck jedoch überhand, kann das schwere gesundheitliche Folgen haben und sogar Demenz begünstigen.
In zehn Minuten das nächste Online-Meeting, schnell Essen für die Kinder machen, danach noch ein Arzttermin, schlaflose Nächte aufgrund der Corona-Situation und Angst, die Arbeit zu verlieren: Viele Menschen stehen gerade extrem unter Stress – und werden vergesslich. Warum eigentlich?
Körperliche Folgen von Stress
Während gesunder Stress, auch Eustress genannt, Glückshormone freisetzt und unsere Leistungskraft kurzfristig sogar erhöhen kann, wirkt sich Disstress, also die ungesunde Form, langfristig negativ auf die Gesundheit aus. Negativer Stress hat vielfältige Auswirkungen auf den Körper – und auf die Denkleistung.
Unter Stress spannt sich die Muskulatur an, Atmung und Puls beschleunigen sich, Blutzucker und Blutdruck steigen. Bleiben Entspannungsphasen aus, kann der Körper die Stresshormone nicht abbauen und bleibt dauerhaft in diesem Alarmzustand.
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Das hat Folgen: "Bei übermäßigem, dauerhaftem Stress leiden Körper und Gedächtnis erheblich. Unter anderem wird das Immunsystem geschwächt. Es drohen Beschwerden wie etwa Magenschmerzen und Durchfall bis hin zu Diabetes und schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen", sagt Dr. Andreas Hagemann, ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik für Psychosomatik in Eschweiler bei Aachen.
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Gedächtnisstörungen: Warum macht Stress vergesslich?
Auch das Gehirn bekommt langfristigen Stress zu spüren. Das Gedächtnis lässt nach, wir werden vergesslich. Schuld sind unter anderem die Stresshormone Adrenalin und Cortisol, die in belastenden Situationen ausgeschüttet werden. Der Körper schaltet auf Überleben. Flucht oder Kampf, das ist, was jetzt zählt. Das Denkvermögen ist dabei zweitrangig.
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Wie der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erklärt, führt übermäßiger Stress zum einen zu einer Überstimulierung der Amygdala, wo unser "Angstzentrum" sitzt. Furcht, Hilflosigkeit, Angst und Nervosität sind daher Folgen von negativem Stress. Zum anderen beeinflusst Stress die Zellenproduktion im Hippocampus, einer für unser Erinnerungsvermögen besonders wichtigen Gehirnregion.
Chronischer Stress kann dem Experten zufolge Teile der Nervenzellen im Hippocampus deaktivieren und sogar schrumpfen lassen. Die Folge: "Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit werden unter Dauerstress gemindert", sagt Hagemann. "Zudem steigt die Anfälligkeit für demenzielle Prozesse und Phobien. Selbst depressive Erkrankungen sind eine mögliche Folge der biochemischen Veränderungen des Gehirns."
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Ursachen: Das Gehirn mag kein Multitasking
Auch das in stressigen Phasen verstärkt praktizierte Multitasking ist für das Gehirn eine Belastung und kann zu Gedächtnisstörungen führen. Vor allem bei Tätigkeiten, die höhere Ansprüche an unsere mentalen Fähigkeiten stellen, kommt das Gehirn an seine Grenzen. "Checke ich E-Mails, während ich gleichzeitig telefoniere, so bedeutet das eine Überforderung des Gehirns. Denn dieses ist nicht in der Lage, sich gleichzeitig auf zwei komplexe Tätigkeiten zu konzentrieren. Die Leistungsfähigkeit wird nicht gesteigert, sondern gedrosselt. Letztendlich gelingt nichts richtig", sagt der Facharzt. Besser sei es, sich nacheinander auf anstehende Dinge zu konzentrieren, als stets zwischen zwei komplexen Aufgaben hin und her zu springen.
Schlafmangel reduziert Gedächtnisleistung
Schlafmangel ist in stressigen Phasen ebenfalls ein häufiges Problem und verschlechtert die Denkleistung zusätzlich. Während guter Schlaf das Nervensystem stärkt, fördert Schlafmangel den Abbau von Nervenzellen und reduziert die Fähigkeit, logisch zu denken. Zu wenige Tiefschlafphasen führen dazu, dass Gedächtnisleistung und Erinnerungsvermögen abnehmen.
"Bei extremem Schlafmangel sind sogar Halluzinationen und epileptische Anfälle möglich. Zudem verhindert wenig Schlaf, dass sich beschädigte DNA wieder regeneriert. Stress erhöht das Risiko für Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz", warnt Hagemann. "Studien haben gezeigt, dass Demenzkranke einen höheren Spiegel des Stresshormons Cortisol aufweisen als gesunde Menschen."
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Vergesslichkeit – wann zum Arzt?
Gelegentliche Vergesslichkeit ist kein Grund zur Sorge. Nehmen die Gedächtnisaussetzer jedoch zu, sollte man aufmerksam werden, diese Entwicklung beobachten und gegebenenfalls den Rat eines Arztes einholen. So kann Vergesslichkeit nicht nur die Folge von Stress oder einer Demenzerkrankung sein. Vergesslichkeit kann auch auf eine Depression hindeuten. "Bei Depressionen sind Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten wie etwa Konzentrationsprobleme oder Vergesslichkeit nicht selten", sagt Hagemann.
Gegen Vergesslichkeit bei Stress: Das Gehirn braucht Ruhe
Damit das Gehirn seine Leistung abrufen kann und das Gedächtnis funktioniert, sind Ruhezeiten von großer Bedeutung. Das Gehirn braucht Auszeiten, in denen es keine Leistung bringen muss. Zudem können in Pausen Stresshormone abgebaut werden – was ebenfalls die Denkleistung unterstützt. Ideal ist ein Entspannungsspaziergang. Dieser kann in der Mittagspause ebenso wohltuend sein wie nach Feierabend.
Entspannungsmethoden wie die Progressive Muskelrelaxation oder sogenannte imaginative Techniken wie Traumreisen sowie Yoga und Meditation bringen ebenfalls mehr Ruhe ins Leben. Schalten Sie zudem öfter mal das Smartphone aus. Es tut gut, mal nicht erreichbar zu sein. "In akut belastenden Situationen ist es zudem hilfreich, sich in Gesprächen mit guten Freunden oder der Familie den Kummer von der Seele zu reden", rät Hagemann. "Oder Sie versuchen Atemübungen."
Mit der 4-7-8-Methode Stress abbauen und das Gehirn stärken
Der Experte empfiehlt zum Stressabbau in einer akuten Stresssituation die "4-7-8-Methode". Legen Sie die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne und atmen Sie durch die Nase ein (dabei bis vier zählen). Dann halten Sie den Atem an (dabei bis sieben zählen). Anschließend atmen Sie durch den Mund aus (dabei bis acht zählen). Das Ganze dreimal wiederholen.
Öfter mal "Nein" sagen
"Gut ist es außerdem, wenn Sie verstärkt auf eigene Bedürfnisse achten, öfter mal 'Nein' sagen und auch mal 'fünf gerade sein lassen', statt immer alles 150-prozentig machen zu wollen", rät Hagemann. Denn: Vielfach können gerade Perfektionisten nur schwer herunterfahren.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.