Ein rätselhafter Patient Klick-Tinnitus nach Zahnarztbesuch
Nach einer Wurzelbehandlung klickt es plötzlich in den Ohren eines Patienten. Seinen Tinnitus können auch andere Menschen hören. Doch die HNO-Ärzte finden weder im Gehörgang oder im Gehirn eine Ursache. Woher kommt das mysteriöse Geräusch?
Meistens klickt es im rechten Ohr. Manchmal aber auch im linken. Oder in beiden gleichzeitig. Beeinflussen kann der 31-Jährige das Geräusch nicht, mitunter verschwindet es, und dann hofft der Mann, dass es nie wiederkommt.
Wenn Menschen unter einem Tinnitus leiden, dann summt, saust, fiept, klingelt, rauscht oder brummt es in ihren Ohren. In den meisten Fällen hört kein anderer, was sie hören. Doch die Betroffenen sind geplagt von dem ständigen Lärm, besonders wenn die Umwelt leise wird, tönt ihr Geräusch für sie unüberhörbar laut. Eine Therapie ist oft schwierig.
Der Mann, der sich in der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung der Universitätsklinik Edinburgh vorstellt, leidet auch. Sonst unterscheidet er sich aber in vielen Punkten von typischen Tinnitus-Patienten: In seinem Ohr klickt es, und auch die Ärzte können das hören. Nähern sie sich dem rechten Ohr des Mannes, hören sie ein feines rhythmisches Klicken, auch auf der linken Seite nehmen sie es wahr, wenn auch schwächer. Außerdem kann der Mann das Geräusch nicht nur hören, er spürt es auch. Bei jedem Klick zucke sein Gaumen, berichtet er den Ärzten. Sie schauen in den Mund ihres Patienten und können tatsächlich sehen, wie sich der weiche Gaumen gleichzeitig mit dem Klickgeräusch bewegt.
Krämpfe am Gaumen
Der Mann erzählt, er habe diesen seltsamen Tinnitus schon seit drei Monaten. Begonnen habe er direkt nach einer Wurzelkanalbehandlung an seinem rechten Weisheitszahn. Dabei musste er den Mund so stark öffnen, dass er dabei das Gefühl hatte, das Kiefergelenk werde überstreckt. Ansonsten verlief der Eingriff aber ohne Komplikationen. Andere Krankheiten habe er nicht, berichtet der Patient, er nehme keine Medikamente. Da er allein lebe, wisse er nicht, ob das Klicken auch nachts da sei.
Die Mediziner haben bereits einen Verdacht und schicken ihren Patienten zur Kernspintomografie. Seine unwillkürlichen Muskelzuckungen der Gaumenmuskulatur werden auch als palataler Myoklonus bezeichnet. Auf den Bildern von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm suchen die Ärzte nach Veränderungen, die die Krämpfe auslösen könnten. Vorstellbar sind etwa Tumoren im Hirnstamm, kleine Blutungen, Infarkte oder Entzündungen. Diese Ursachen sind zwar selten, müssen aber unbedingt geprüft werden.
Die Aufnahmen vom Kopf des Patienten sind unauffällig. Damit haben die Ärzte weitgehend den sogenannten symptomatischen Myoklonus ausgeschlossen, der im Gehirn entsteht. Allerdings könnte es auch sein, spekulieren Jeff Lam von der Universiy of Edinburgh und seine Kollegen im "Journal of Medical Case Reports", dass ein bestimmter Nerv des Patienten bei der Wurzelkanalbehandlung beschädigt wurde, ohne dass die betroffene Stelle erkennbar ist. Sie halten diese These aber für unwahrscheinlich.
Nervengift sorgt für Ruhe
Neben dem symptomatischen Myoklonus gibt es den sogenannten essentiellen, von dem die Ärzte nun ausgehen. Dabei ist im Gehirn keine strukturelle Veränderung erkennbar. Eine Unterform davon ist der psychogene Myoklonus, bei dem die Betroffenen die Zuckungen willentlich beeinflussen können, was dem britischen Patienten nicht gelingt.
Zur Behandlung dieser seltenen Krämpfe haben Mediziner über Jahre verschiedene Therapien ausprobiert. Sie testeten die unterschiedlichsten Medikamente gegen epileptische Anfälle, um die überschießenden Bewegungen im Gaumen und damit das störende Geräusch einzudämmen. Diese Arzneien helfen jedoch nur bedingt, bringen aber zahlreiche Nebenwirkungen mit sich: Die Betroffenen werden schläfrig oder ihnen ist schwindelig, auch Blut- oder Stoffwechselveränderungen können auftreten. Die Medikamente sind daher nicht die erste Wahl. Auch Verfahren, bei denen Teile der betroffenen Muskulatur durch Hochfrequenzstrom verödet werden, wurden mit unterschiedlichem Erfolg ausprobiert.
Bereits in mehreren Fällen haben Ärzte ihren Patienten Botulinumtoxin gespritzt. Auch dem Patienten in Edinburgh verabreichen die Mediziner das Nervengift in den Gaumen, das die Erregungsübertragung zwischen Nervenzellen und Muskeln lahmlegt, weshalb es ein beliebtes Mittel gegen Mimikfalten im Gesicht ist.
Sofort nach der Spritze sind die Zuckungen weg und damit auch das störende Klicken. Doch die Therapie hat einen Nachteil: Das Gift wirkt nur einige Monate. Auch Falten, die sich mit Botulinumtoxin so schön glätten lassen, kommen dann zurück. Und so geht es auch dem 31-Jährigen: Nach sechs Monaten sind seine Beschwerden wieder da, weswegen die Ärzte ihn zu Kollegen schicken, die den Mann beraten sollen, ob eine Verödung mit Hochfrequenzstrom sinnvoll sein könnte.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.