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Kap Hoorn: "Der brutalste Törn der Seefahrtgeschichte"


"Der brutalste Törn der Geschichte"
Am Ende standen nur noch acht Mann an Deck


Aktualisiert am 24.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Die Mannschaft der "Susanna": Die Seeleute wurden längst für tot gehalten, als ihr Schiff plötzlich in Chile auftauchte.Vergrößern des Bildes
Die Mannschaft der "Susanna": Die Seeleute wurden längst für tot gehalten. (Quelle: Museum Kunst der Westküste)

Ein Hamburger Schiff hält bis heute einen denkwürdigen Rekord. Die Frau des Kapitäns trauerte schon, als sein Schiff plötzlich in Chile auftauchte.

Wasser von vorne, von hinten, von oben und von den Seiten. Peitschender Sturm, eisige Kälte, tosende See – und immer wieder schlägt der Ozean für immer über einem sinkenden Schiff zusammen. 800 Wracks liegen rund um das legendäre Kap Hoorn am Meeresgrund begraben, es ist der größte Schiffsfriedhof der Welt. 10.000 Menschen verloren hier ihr Leben.

Besonders schlimm wüteten die Stürme in den Wintermonaten der Südhalbkugel im Jahr 1905: Mindestens fünf Schiffe verschwanden spurlos, fünf weitere mussten von ihren Mannschaften aufgegeben werden oder strandeten, vom Sturm manövrierunfähig geschlagen, bei dem Versuch, einen Nothafen anzulaufen. Etliche Kapitäne gaben auf und drehten um. Auch viele deutsche Schiffe scheiterten in jenem Jahr am gefährlichsten Kap der Welt.

"Die Männer waren einsamer als die Astronauten"

Zu Hause auf Föhr trug eine Frau bereits Trauer: Rosine Amalia Jürgens, die Ehefrau von Kapitän Christian Simon Jürgens, wähnte sich als Witwe, denn ihr Mann, der auf dem Hamburger Frachtsegler "Susanna" das Kommando führte, gehörte zu jenen, die nicht abgedreht hatten. Seit Monaten hatte sie keine Nachricht erhalten. Das Schiff ihres Mannes galt als gesunken, die Versicherer hatten es bereits auf die Verlustliste gesetzt.

Die 80 Meter lange, stählerne "Susanna" mit drei Masten war 1892 auf der Hamburger Werft Blohm & Voss vom Stapel gelaufen. Mit 25 Mann Besatzung und 3.000 Tonnen Kohle an Bord stach sie im Dienst der Reederei G. J. H. Siemers & Co. im Juni 1905 in See.

Ohne Radar, Funk oder Satellitenüberwachung machte sie sich abgeschnitten vom Rest der Welt auf den Weg zum Salpeterhafen Iquique in Chile. "Die Männer vor oder hinter dem Mast waren einsamer als die Astronauten sechs Jahrzehnte später auf dem Flug zum Mond", schrieb der Autor Walter A. Kozian in einem Aufsatz über den "Katastrophenwinter vor Kap Hoorn im Jahre 1905".

Odyssee ums Kap Hoorn: Der Kapitän galt als furchtlos und zäh

Die "Susanna" kam zunächst gut voran, am 19. August passierte sie den 50. Breitengrad im Atlantik, damit begann ihre Odyssee ums Kap. Jetzt krachten die Stürme los, einer nach dem anderen erfasste das Schiff. Dort, wo sich Pazifik und Atlantik treffen, am äußersten Zipfel Südamerikas, nicht weit entfernt vom antarktischen Eispanzer, prallen kalte und warme Luftmassen hart aufeinander und erzeugen mächtige Orkane.

Kapitän Jürgens ließ hartnäckig weiterkreuzen. Er stammte aus einer alten Seefahrerfamilie, war mit 15 Schiffsjunge geworden. 1904 übernahm er als 29-Jähriger das Kommando auf der "Susanna". Er galt als furchtlos und zäh – eine Kapitulation vor den Naturgewalten schien für ihn unmöglich.

"Sturzseen über Deck. Anhaltendes Schneegestöber"

Anfang Oktober drohte sein Schiff zu zerschellen. Die "Susanna" driftete in bedrohliche Nähe des Kap Hoorn. Der Marinemaler Matthias Wunsch hat den Kampf ums Überleben dargestellt. "Der Wind weht aus Südwest und treibt eine gewaltige Dünung vor sich her, die das Schiff wie ein hilfloses Spielzeug herumwirft", beschreibt er sein Bild der "Susanna". "Die wenigen noch gesetzten Segel sind bis auf den Besan in Fetzen gerissen. Über dem drohend schwarzen Kap zieht eine gewaltige Sturmfront heran, die wie eine gigantische Hand nach dem Schiff zu greifen scheint."

Die "Susanna" entkam, wurde vom Sturm aber als Nächstes so weit nach Süden geblasen, dass jetzt aus der Antarktis herantreibendes Eis zur Gefahr wurde. Die nüchternen Einträge im Schiffstagebuch dokumentieren den ständigen Schrecken: "Sturm mit orkanartigen Böen. Gewaltige Sturzseen über Deck. Anhaltendes Schneegestöber", vermerkten die Offiziere. "4 Uhr: Heftiger Sturm mit orkanartigen Hagelböen, 8 Uhr: Gewaltig, hohe See, 16 Uhr: Orkan. Böen schnell aufeinanderfolgend, 20 Uhr: Heftiger Sturm, wilde See."

Brüche, Skorbut, Typhus: Die "Susanna" wird zum Krankenlager

Haushohe Wellen warfen das Schiff umher. Am 21. Oktober ging das Trinkwasser aus. Nun musste aus der Takelage Schnee geholt werden, und zwar von weit oben, denn unten war alles durch das Seewasser versalzen. Währenddessen tobten die Stürme weiter, die Mannschaft wurde schwer gebeutelt.

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Der Zweite Offizier brach sich das Nasenbein, der Koch erlitt mehrere Rippenbrüche und innere Verletzungen. Erfrierungen, Skorbut und Typhus setzten mehrere Männer außer Gefecht, andere hatten mit Geschwüren und tiefen Rissen an den Händen zu kämpfen. Das ewige Salzwasser ließ Fingernägel ausfallen, auf der Haut scheuerte die durchnässte, schwere Kleidung. Die Lufttemperatur lag um den Gefrierpunkt.

Gleichzeitig bereitete die Navigation Probleme: Die Sicht war so schlecht, dass sich das Schiffschronometer nicht anhand von Mond und Fixsternen eichen ließ. Kapitän Jürgens errechnete einen falschen Kurs.

Rückkehr nach Hamburg erst nach zweieinhalb Jahren

Doch am Ende glückte die Kap-Umsegelung doch noch. Die "Susanna" erreichte am 26. November endlich den 50. pazifischen Breitengrad, 99 Tage, nachdem die Umrundung im Atlantik begonnen hatte. Bis heute ist dies ein Rekord, kein anderes Schiff hat je länger gebraucht.

Als die "Susanna" schließlich am 17. Dezember in ihrem Zielhafen eintraf, waren nur noch acht Besatzungsmitglieder einsatzbereit: der Kapitän, zwei Steuermänner, der Schiffszimmermann, drei Matrosen und ein Leichtmatrose. Der Rest der Crew lag zerschunden unter Deck. Laut dem Föhrer Museum Kunst der Westküste gilt die Odyssee der "Susanna" als "der härteste, brutalste und tapferste Törn in der internationalen Seefahrtgeschichte".

Kapitän Jürgens kehrte erst im Winter 1907/08 nach Hamburg zurück, zweieinhalb Jahre nach dem Start. Die Reederei schickte ihn mit der "Susanna" noch nach Port Townsend im Nordwesten der USA, von dort mit Holz wieder nach Chile, anschließend nach Australien und ein letztes Mal nach Chile, bevor er die Segel gen Heimat setzen durfte.

In Deutschland angekommen, beendete Jürgens seine Seefahrer-Karriere sofort und für immer. Er zog zurück nach Föhr, wo er 1959 im Alter von 83 Jahren starb.

Verwendete Quellen
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