Ex-Nationaltrainer verrät Vogts: Darum war Matthäus als Spieler einzigartig
Welt- und Europameister als Spieler und Co- bzw. Chef-Trainer, Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse, Weltnationaltrainer – die Liste seiner Titel und Auszeichnungen ist unendlich lang. Ab sofort schreibt Berti Vogts regelmäßig Kolumnen für t-online.de. Im letzten Teil des großen dreiteiligen Exklusiv-Interview zum Start der Zusammenarbeit spricht die Fußball-Legende über die Nationalmannschaft und seine eigene Karriere. Und er verrät, wen er gerne mal trainieren würde.
t-online.de: Herr Vogts, hätten Sie in Ihrer Zeit auch gerne so einen breiten Kader gehabt wie Joachim Löw nach den Erfolgen beim Confed Cup und bei der U21-EM?
Berti Vogts (70): Das wäre natürlich ein Traum gewesen. Jogi Löw hat alles richtig gemacht. Der Confed Cup war wichtig für uns, um die anderen Weltmeister zu pushen, die nicht dabei waren. Sie werden schon den Blick auf den Fernseher gehabt und gedacht haben: „Hey, wer steht denn da auf meiner Position? Ich dachte, ich wäre die Nummer Eins.“ Nun werden die natürlich wieder Gas geben. Joachim Löw kann sich zurücklehnen, eine Zigarre rauchen und überlegen: „Wen nehmen wir denn heute?“ Er hat das selbst geschaffen.
Was bedeutet das für WM in Russland?
Wir werden nicht wieder ungeschlagen Weltmeister. Aber: Die Mannschaft, die Deutschland wirklich vom Thron stößt, muss erst gefunden werden. Wirklich, die muss man lange suchen.
Sie selbst sind Weltmeister, Europameister, Träger des Bundesverdienstkreuzes – welches war der größte Moment ihrer einzigartigen Karriere?
Für mich war mein größter Erfolg die Weltmeisterschaft 1990.
Sie waren im Trainerstab um Franz Beckenbauer.
Im Kader hatten wir 18 Spieler, die bei mir in der Jugendauswahl gespielt hatten. 22 Spieler wurden Weltmeister und davon waren 18 Spieler bei mir in der U16, U18 oder U21. Der größte Moment war am Vorabend des WM-Finals.
Im Hotel?
Ja. Franz und ich saßen zusammen und tranken ein Glas Rotwein. Das war der Moment, in dem ich dachte: „Verdammt nochmal, was ist aus diesen Kerlen geworden? So schlecht hast du beim DFB offenbar nicht gearbeitet.“ Ich hatte die Argentinier vorher gesehen und sagte: „Das Spiel können wir nicht verlieren, Franz.“ Zwei Spieler waren verletzt, zwei waren gesperrt. Mindestens vier Spieler waren weg.
Was war in der langen Karriere der schwierigste Moment als Spieler oder Trainer?
Der schwierigste Moment war 1994 das Ausscheiden gegen Bulgarien.
Sie waren Bundestrainer.
Wir hatten einen sehr guten Kader, aber wir hatten keine Mannschaft. Die Charaktere haben nicht gepasst.
Zwei Jahre später hat es dann gepasst. Sie wurden mit der Nationalmannschaft Europameister.
Ja, weil ich auch auf einige Spieler verzichtet habe. Da bin ich auch für kritisiert worden. Ich brauchte eine Gruppe, die miteinander harmoniert. Ein Alphatier kannst du gebrauchen, aber wenn du sieben oder acht Alphatiere hast, gewinnst du kein Spiel.
Hatten Sie unter all den Spielern und Stars einen Liebling?
Einen Liebling nicht unbedingt. Lothar Matthäus kam zu Mönchengladbach, da war er circa 17 Jahre alt. Nach ein paar Minuten dachte ich: „Was ist denn das für einer?“ Der hatte eine Dynamik, das habe ich in den 14 Jahren, in denen ich Profi war, nie gesehen. Der war auch so aggressiv, so frech. Udo Lattek war damals Trainer und kam zu mir: „Wie siehst du den?“
Ich hatte vorher schon mitbekommen, dass er Ende der Saison nicht mehr Trainer ist und weggeht. Da habe ich ihn extra negativ beurteilt, damit er ihn nicht mitnimmt. Unserem Manager hatte ich vorher gesagt: „Mach unbedingt schnell einen Vertrag mit ihm“. Das tat er auch. Auch Jürgen Klinsmann oder Oliver Bierhoff, Rudi Völler, Jürgen Kohler, Stefan Reuter, um einige zu nennen – ich habe schon tolle Spieler trainiert. Die wollten immer mehr trainieren, das gibt es heute kaum noch.
Werden junge Spieler heute zu sehr verhätschelt?
Ich mache den Spielern gar keinen Vorwurf. Ich mache den Managern Vorwürfe. Die Manager lassen die Spieler gar nicht erwachsen werden. Wie soll ein Spieler auf dem Spielfeld Entscheidungen treffen, wenn sein Manager ihm alle Entscheidungen außerhalb des Spielfeldes abnimmt? Deswegen mag ich es nicht, wenn Spieler mit 12 bis 15 Jahren schon von großen Clubs weggeholt werden. Meiner Ansicht nach sollten sie erst einmal in einem kleinen Verein bleiben und sich behaupten.
Gibt es von den aktuellen Talenten eines, das Sie wahnsinnig gerne trainieren würden?
Kimmich. Was der Junge alles leistet und auch wie er auftritt, ist wirklich toll. Es ist zwar nicht leicht, Philipp Lahm zu ersetzen, aber Kimmich wird es schaffen, weil er einen sehr guten Charakter hat. Zwar macht er gelegentlich einige Stellungfehler, ist in der Offensive aber überragend. Mit seinen 22 Jahren übernimmt er sogar schon eine Führungsrolle. Ich stelle mir vor, ich hätte als 20-Jähriger zu Günter Netzer gesagt: „Komm, wir müssen alle zusammenkommen.“ Da würde er antworten: „Du hast sie nicht mehr alle!“
Sie haben Ihre Beraterrolle in den USA nach dem Aus von Jürgen Klinsmann beendet. Möchten Sie nun wieder als Trainer arbeiten?
Ich werde schauen, welche Möglichkeiten sich ergeben – vielleicht auch als Berater in einem Verein oder in einem Verband. Der Sport ist zu schön und macht zu viel Spaß als dass ich damit aufhören würde. Mit Sicherheit nicht.
Was glauben Sie, wo Jürgen Klinsmann als nächstes aufschlägt?
Auf keinen Fall in der Bundesliga. Bis Ende 2018 zumindest nicht. Seine Tochter studiert jetzt auch in San Francisco, der Sohn ist in Berlin untergebracht. Im Normalfall gehe ich davon aus, dass er nach 2018 wieder eine gute Nation übernehmen wird.
Das ist Berti Vogts: Geboren in Büttgen (heute: Kaarst) in Nordrhein-Westfalen, legte Hans-Hubert "Berti" Vogts eine unglaubliche Spielerkarriere hin. 419 Bundesliga-Spiele für Mönchengladbach, 96 für die deutsche Nationalmannschaft – er wurde Weltmeister 1974, Europameister 1972, fünfmal Deutscher Meister, zweimal Uefa-Pokalsieger, DFB-Pokalsieger, Fußballer des Jahres. Als Trainer führte er die DFB-Elf 1996 zum Europameister-Titel, 1990 wurde er als Co-Trainer von Franz Beckenbauer Weltmeister. 1996 wurde er auch als Weltnationaltrainer und mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.