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DSDS: Der Niedergang der RTL-Show zeigt sich an vielen Stellen


20. Jubiläum der RTL-Sendung
Diese Zahlen zeigen den Niedergang der Castingshow

Von dpa, t-online, sow

Aktualisiert am 10.11.2022Lesedauer: 4 Min.
Dieter Bohlen: Kaum ein Anderer steht so wie er sowohl für den Erfolg von DSDS als auch für den Bedeutungsverlust der Sendung.Vergrößern des BildesDieter Bohlen: Kaum ein Anderer steht so wie er sowohl für den Erfolg von DSDS als auch für den Bedeutungsverlust der Sendung. (Quelle: IMAGO/Christoph Hardt)

Vom Straßenfeger zum Rohrkrepierer? DSDS hat seit seinem Start vor 20 Jahren eine Talfahrt hingelegt. Die Zahlen zur RTL-Show zeigen den Bedeutungsverlust.

"Hallo und herzlich willkommen zu 'Deutschland sucht den Superstar'": Mit diesen Worten von Michelle Hunziker beginnt am 9. November 2002 die allererste DSDS-Staffel. Erinnern Sie sich? Damals ist Gerhard Schröder noch geachteter Kanzler der Bundesrepublik und nicht der geächtete Gas-Lobbyist von heute.

Die erste DSDS-Staffel ist – und das zeigen sowohl die blanken Zahlen als auch das damalige Medienecho – das TV-Event des Jahres. Die RTL-Show gewinnt den Deutschen Fernsehpreis. Millionen Deutsche sitzen damals vor dem Fernseher und verfolgen, wie sich ein gewisser Alexander Klaws in einer weinroten Weste zum Sieg in einer Fernsehshow singt. 60.000 Menschen bewerben sich, der Hype um die Sendung ist enorm und das obwohl es mit "Popstars" bereits zuvor eine Castingshow im deutschen Fernsehen gegeben hatte.

Doch "Deutschland sucht den Superstar" ist anders, konzipiert nach dem Vorbild des englischen Formats "Pop Idol", das in Großbritannien sagenhafte Quotenerfolge feierte. DSDS bedeutet damals große Bühne, Drama, schrille Figuren – und hierzulande vor allem eines: Dieter Bohlen, der breitbeinige Lautsprecher und PR-Garant der Show.

"Internationaler Flair in der provinziellen Fernsehunterhaltung"

"Der Versuch, großes Entertainment zu machen, eine große Geschichte zu erzählen – das war in Deutschland neu. Das war anders", sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Medienwissenschaft an der SRH Berlin University of Applied Sciences der Deutschen Presse-Agentur. "Es brachte internationalen Flair in die doch etwas provinzielle deutsche Fernsehunterhaltung von damals."

Ein zweiter Faktor: DSDS verkaufte – zumindest am Anfang – die klassische Tellerwäscher-zum-Millionär-Behauptung. Frei nach dem Motto: Eben noch Kassiererin an der Supermarktkasse, morgen Christina Aguilera. Das passte in den sogenannten Nullerjahren in den Zeitgeist. Deutschland kämpfte mit hohen Arbeitslosenzahlen und stritt über die Hartz-Reformen. Die Aussicht auf einen kometenhaften Aufstieg durch eine telegene Erfolgsgeschichte kam da gerade recht.

Die erste Staffel im Jahr 2002 verfolgten bis zu 15 Millionen Zuschauer. In der Jury saßen Bohlen, Plattenboss Thomas M. Stein, Journalistin Shona Fraser und Moderator Thomas Bug. Am Ende setzte sich Alexander Klaws durch, eigentlicher Star war allerdings der Bayer Daniel Küblböck, der nicht sonderlich gut singen konnte, aber mit Eigenwilligkeit auffiel und rasch eine große Fan-Gemeinde hinter sich versammelte. Er wurde zur Blaupause späterer "schräger Vögel", mit denen DSDS Schlagzeilen machte – und in Erinnerung blieb.

"Es war wirklich einschlagend. Der Zuschauer war nicht nur rezipierend – also konsumierend – dabei, sondern er wurde Teil der Handlung", sagt Katrin Döveling, Professorin für Kommunikationswissenschaften und Medienkommunikation in Darmstadt der Deutschen Presse-Agentur. "Er hatte das Gefühl, dass er über das Schicksal der Kandidaten mitbestimmen kann. Die Telefon-Votings waren am Anfang sehr zentral und prominent. Dieser Mechanismus, den zuvor schon 'Big Brother' etabliert hatte, trug sehr zum Erfolg bei."

"DSDS ist doch nur noch ein inszeniertes Abwatschen armer Seelen"

Doch diese Erfolgsgeschichte bekam Kratzer. In den folgenden Jahren veränderten sich die Quoten teils drastisch. Begann die Show noch mit Marktanteilen von über 40 Prozent, kommt sie heute nur noch auf maximal 16 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe. Die Kurve (siehe Grafik oben) zeigt steil nach unten, ein zwischenzeitliches Aufbäumen in den Jahren 2009 und 2010 entpuppte sich mehr als Momentaufnahme denn als Dauerzustand. Doch der Bedeutungsverlust zeigte sich auch an anderer Stelle.

Die Behauptung bröckelte, dass da wirklich ein neuer "Superstar" gekürt wird. Die Seifenoper-Elemente der Castings wurden deutlicher. Maskottchen dafür wurde der meist glücklose Dauerkandidat Menderes Bağci, der immer wieder vergeblich versuchte, bei DSDS durchzustarten. 2016 münzte er seine erworbene Casting-Prominenz immerhin in einen Sieg im RTL-Dschungelcamp um.

Viele andere Kandidaten, die kleines Talent mit Selbstüberschätzung wettzumachen versuchten, traf es weniger glimpflich. Bevor sie im Schlund des Casting-Fernsehens verschwanden, warf ihnen Bohlen meist noch einen gehässigen Spruch hinterher. Sowas wie: "Vielleicht kannst du versuchen, mit der Stimme den Leuten die Beine zu enthaaren." Oder: "Ich hab' vorhin ein Schnitzel gegessen mit Gurkensalat. Und der Gurkensalat war musikalischer als Du." Als Bewerber brauchte man ein dickes Fell.

"DSDS ist doch nur noch ein inszeniertes Abwatschen armer Seelen, das befriedigt nur die niedersten Instinkte", urteilte Entertainer Stefan Raab 2007 im "Spiegel" über seine TV-Konkurrenz. Rückblickend lässt sich jedoch streiten, ob Bohlen eher Fluch (für die Kandidaten) oder eher Segen (für DSDS) war. Professor Kleiner sagt es so: "Wenn man Mainstream-Unterhaltung machen will, dann braucht man Kontroverse." Bohlen habe zugleich wie kaum ein anderer für Reichweite gestanden. Und Reichweite, das war DSDS einmal.

Auch der einstige RTL-Chef Helmut Thoma betonte das vergangenes Jahr im t-online-Interview. Bohlen abzusägen, hielt er für fatal. "Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler", urteilte er und erläuterte: "Es ist ja klar, was damit gemeint ist: Dass der Zuschauer Sachen sehen möchte, die dem Rest mitunter nicht passen. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Ein Fernsehsender muss Programm für die Zuschauer machen, nicht für sonst wen. Dieter Bohlen hat das fast 20 Jahre erfolgreich gemeistert und genau den deutschen Humor getroffen."

2022 versuchte RTL etwas komplett Neues und tauschte die ganze Jury aus – inklusive Bohlen, der von Florian Silbereisen ersetzt wurde. Eine Fehlentscheidung, wie der Sender mit seiner Rolle rückwärts schließlich selbst zugeben musste. Denn in der kommenden Staffel ist Bohlen wieder dabei. Sie soll zugleich das Ende der Ära markieren, die nach 20 Jahren bereits jetzt wirkt als wäre sie am Ende. Denn Reichweiten wie einst sind längst in weite Ferne gerückt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Quotenerhebungen und Daten von Statista
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